Weltreise Teil 3: China

Von Wonseong

Das hat jetzt sehr lange gedauert, bis ich zum Schreiben des China-Berichts kam. Aber ich wollte das erst etwas setzen lassen (und Bilder werden nachgereicht, sobald das mit der Übertragung klappt)…

Wo waren wir stehengeblieben? Ah ja, der Flug mit der B777 der Thai Airways von Bangkok nach Beijing. Es ist früh am Morgen als wir pünktlich in China’s Hauptstadt landen. Nach all‘ der Zeit in richtig heißen Ländern erwartet mich ein Temperatursturz um 50 Grad Celsius (von +39°C auf -11°C). Schon gut, dass ich daran gedacht habe und zusätzlich lange Unterwäsche und meine geliebte Montane-Daunenjacke (mit Kapuze!!) eingepackt hatte. Ich habe zusätzlich den schlimmsten Tag erwischt. Auch in China ist es gerade erst kalt geworden. Die meisten Blätter sind noch an den Bäumen, aber es schneit leicht, als ich mich auf dem berühmten Tian’anmen-Platz umsehe. Er ist der größte städtische Platz auf Erden (wie sich die Chinesen rühmen können, viele „größte“ Sachen zu haben und sich auch in dieser Kategorie mit den Amerikanern einen Ego-Wettstreit liefern).  Erster Eindruck: Er ist hässlich wie die Nacht und erinnert mich an die Ostzone (Verzeihung, neue Bundesländer) vor der Wende. Kein einziger Baum irgendwo. Stattdessen Größenwahnsinns-Architektur á la Hitler. Da das Wetter so bescheiden ist und ich die riesige Temperaturumstellung noch etwas verdauen muss, buche ich mich gleich mal ins Chinesische Nationalmuseum ein, selbstredend das größte Museum auf Erden. Zum Verlaufen. Aber glücklicherweise interessiert einen da ja auch nicht alles und für einen symbolischen Beitrag gibt es eine Broschüre, die alles ganz gut erklärt. Irgendwas ist besonders, denn überall sind Fernseh-Teams und interviewen irgendwelche wichtigen Leute – ich gehöre seltsamerweise nicht dazu.

Abends dann super lecker und günstig authentisch chinesisch essen mit meinem Freund Li. Am zweiten Tag dann besseres Wetter, aber ein eiskalter Wind aus Norden. Das hat den Vorteil, dass es keinen Smog gibt und die Luft kristallklar und kalt ist. Das übliche Programm: Die verbotene Stadt, der Himmelstempel, und jede Menge anderer Sachen…

Sofort fällt auf, wie „die Chinesen“ anders sind. Ich möchte hier um Himmels Willen nicht verallgemeinern. Gleichzeitig möchte ich zwei Beispiele bringen (zugegebenermaßen die krassesten), die ich in dieser Art überhaupt noch nie erlebt habe. Erstes Beispiel: Ich erreiche gerade das Ende der Tian’anmen-Einkaufsstraße und möchte mich orientieren, da kommt auch schon einer dieser Fahrrad-Rikscha-Jungs und bietet seine Dienstleistung an. Ich lehne höflich ab, da ich den „Temple of Heaven“ bereits auf meiner Karte entdeckt habe und gern das Stück gehen möchte. Er insistiert und bleibt am Ball. Ich mache den Fehler und steige in die übliche Preisverhandlung (technisch gesehen keine richtige Verhandlung sondern Feilschen) ein. Wir einigen uns auf 10 Yuan. Als wir am Tor ankommen, denke ich gerade noch so für mich, dass die kurze Strecke eigentlich nicht das Geld wert waren, aber für deutsche Verhältnisse natürlich kein Geld. Er will nun plötzlich 100 Yuan, das Zehnfache. Wenn mich Menschen verarschen wollen, werde ich ziemlich unangenehm. Ich kenne das von mir und muss mich dann selbst reflektieren und emotional regulieren. Ich bleibe sehr klar bei meinen 10 Yuan und biete ihm den Schein an, den er jetzt plötzlich nicht mehr annehmen mag. Ich sage ihm in meinem besten Hochdeutsch, dass er entweder den Preis von 10 Yuan (auf den wir uns vor drei Minuten geeinigt hatten) annehmen oder er es einfach lassen kann. Spätestens jetzt kommt der große Unterschied zum Inder: Der Inder würde jetzt lachen, sagen, dass man es ja mal bei einem dummen Touristen versuchen könnte, dass die Masche halt häufig klappt mit naiven, unbedarften Touris mit großem Geldbeutel und dass man es nicht persönlich nehmen sollte. Nicht so der Chinese. Der wird emotional aufbrausend, schreit einen laut an und wird ausfallend. Ich packe also meinen 10er wieder ein und überquere den Zebrastreifen. Er sieht, dass ich es ernst meine, wird noch lauter und noch ausfallender. Okay, ich benutze an dieser Stelle das F-Wort im Englischen, das er offenbar versteht. Von emotionaler Selbstkontrolle hat er offembar noch nie etwas gehört, sonst würde er vermutlich auch nicht bei dieser Affenkälte in seinem Alter Rikscha fahren müssen. Anyway, nun geht alles sehr schnell. Etwas hinterhältig nimmt er mit seinem Gefährt viel Schwung und versucht mich umzufahren. Irgendwie sehe ich das im Augenwinkel in letzter Sekunde, kann noch etwas ausweichen, aber er trifft mich mit seinem rechten Fuß in meine linke Kniekehle und ich gehe zu Boden. Vielleicht hat das eine Jahr Judo damals doch etwas gebracht, jedenfalls rolle ich gut ab. Es ist nichts passiert und ich bin schnell wieder auf den Beinen. Obwohl ich von Natur aus den Kampf ablehne, mache ich mich in dieser Sekunde bereit dafür. Aber es kommt wie so oft ganz anders. Ich stehe wieder und sehe, wie diese unkontrollierte Emotion direkt ins Desaster führt. Er kann das Momentum nicht mehr kontrollieren und rast fast ungebremst in das Taxi vor uns, das dort an der roten Ampel wartet. Ein guter Moment, die Szene zu verlassen, da nun alle mit dem Unfall beschäftigt sind. Die üblichen an jeder Ecke herumstehenden Hilfspolizisten haben natürlich auch keinen Plan und sehen nur unbeteiligt zu.

Zweites Beispiel (am selben Tag): Ich gehe in ein Restaurant an der Ecke und frage, ob ich auch nur einen Tee trinken kann. Selbstverständlich, kein Problem. Okay, mein Fehler hier: Ich verhandele nicht schon vorab einen Preis und die Karte gibt’s natürlich wieder mal nur in Chinesisch (Mandarin). Beim Bezahlen dann das gleiche Spiel: 68 Yuan bitte! Ich höre wohl nicht richtig. Doch, felsenfest wird behauptet dass ein Tee in diesem Restaurant eben 68 Yuan kosten würde (2 bis 3 Yuan wären vielleicht akzeptabel). Ich habe gerade meine großzügige Phase und biete 10 Yuan an. Wird natürlich abgelehnt und großes Palaver. Sofort wird auch jemand gefunden, der Englisch spricht und natürlich das Restaurant vertritt. Ich verlasse den Laden und gehe über die Straße zu den Hilfs-Sheriffs. Die haben wie immer keinen Plan (Kommunismus halt, das sind immer die Trottel, die zu nichts anderem taugen, die man dann in eine Uniform steckt und dann behauptet, wie sicher alles sei), sprechen kein Wort Englisch und zucken nur mit den Schultern. Als sie die Situation und die 68 Yuan hören, lachen sie sich nur schlapp. Long story short: Als ich androhe, die „richtige“ Polizei zu rufen, verzichten sie auf ihr Honorar und ziehen ab.

Was kann ich daraus für mich lernen, Jörg?

  • Die Gier ist nicht zufällig eine der Todsünden. Die Gier ist ein ganz schlimmes Laster und verblendet. Statt in beiden Fällen mit 10 Yuan (eh schon einem sensationell guten Geschäft) rauszugehen, gingen die Protagonisten mit Null nach Hause (beim Rikschafahrer sogar mit minus Irgendwas, da der Taxifahrer sicher auch etwas für die Beule in seinem Wagen haben will – wahrscheinlich mehr, als der Rikscha-Typ in einem Monat verdienen kann). Das ist einfach nur dumm.
  • Emotionale Selbstkontrolle ist wichtig. Es hilft, mich selbst im Griff zu haben und nicht emotional überzureagieren. Ein klarer Kopf und die Fähigkeit, sich von einer Situation etwas zu dissoziieren, hilft enorm.
  • Der Spatz in der Hand IST manchmal besser als die Taube auf dem Dach.
  • Wie Du in den Wald hineinrufst, so schallt es heraus (vielleicht das aus meiner Sicht wichtigste Sprichwort, dass so nebenbei in fast allen anderen Ländern/Sprachen/Kulturen existiert).
  • Wer misstrauen säht, wird Misstrauen ernten.

Und schließlich habe ich für mich gespürt, wie schön eine Kultur ist, wo man nicht wegen ALLEM verhandeln muss, sondern einfach einen fixen Preis bezahlt und gut. Interessanterweise meinte mein Freund Michael aus Kauai, dass er innerhalb von Sekunden wüsste, ob ein Tourist aus China oder Japan sei. Er machte es daran fest, wie man reagiert, wenn man aus Versehen angerempelt wird. Michael meinte, dass der Japaner sich die nächsten 3 Minuten in allen möglichen Formen auf’s Höflichste entschuldigen würde – auch wenn er nicht „schuld“ gewesen sei. Der Chinese hingegen würde einen auf unflätigste laut beschimpfen. Nachdem ich nun auch schon wieder über eine Woche in Japan bin, kann ich diese Beschreibung leider genau so unterschreiben. Nochmal: Das ist nur meine kleine n=1 Erfahrung, aber mit wem ich auch spreche, deckt sich das offenbar.

Puh. Das soll jetzt nicht so negativ rüberkommen und ich habe diesen kleinen Events schon viel zu viel Raum eingeräumt. Aber ich will ja auch authentisch informieren und keinen geschönten Bericht einer unrealistischen Traumwelt anbieten.

Aber weiter im Kontext: Nachdem ich am Abend in Dunkeltheit noch das berühmte Vogelnest (das olympische Stadium für 91.000 Menschen) sowie den Water Cube (das Aquatic Center gegenüber) angeschaut habe, blieb mir für den dritten und letzten Tag die noch viel berühmtere Chinesiche Mauer. Glücklicherweise erwischte ich einen fabelhaften Tag (der erste Tag in China war überhaupt der einzige richtig eklige Regentag des ganzen Trips soweit). Kristllklar, eiskalt und sogar noch diesen Hauch von Neuschnee auf der Mauer. Ich nahm den ganz normalen Bus für kleines Geld in eine dieser hässlichen Kommunisten-Einheitsstädte und von dort ein Taxi bis Mutianyu. Gerade als ich schon wieder mit einem der wartenden Taxifahrer verhandele, kommt Veronika mit dem nächsten Bus. Wir teilen uns das Taxi und den restlichen Tag. Sie ist Russin, lebt aber in Deutschland und spricht absolut akzentfreies Hochdeutsch. Für die Heimreise treffen wir noch ein deutsches Pärchen und teilen uns das Taxi. Abends Pekingente in DEM Pekingenten-Laden (West-Preise).

Hinsichtlich Volumen und Masse gilt die chinesische Mauer als das größte Bauwerk der Welt. Nach neuesten archäologischen Erhebungen gab das chinesische Amt für Kulturerbe im Juni 2012 die Gesamtlänge mit 21.196,18 km an. Davon sind aber lediglich 8,2% intakt und wenige Abschnitte sind für Touristen gut renoviert. Ich nahm den Aufwand hin und vermied die zwei touristischsten Abschnitte (trotz off-season) und genoss Mutianyu sehr. So musste man nicht slalom durch tausende Asiaten schlängeln, sondern hatte tatsächlich die Mauer ganz für sich. Sie ist wirklich beeindruckend, seit 1987 UNESCO-Weltkulturerbe und eines der „neuen“ sieben Weltwunder.

China bietet ein Dreitages-Visum an und so war ich (und alle anderen Deutschen) nur gerade so lang dort. Für einen ersten Geschmack reichte es und – ähnlich wie in Indien – reicht mir das auch insgesamt für dieses Leben. Bestimmte Dinge kann ich zwar so im Zen-Zustand hinnehmen, wie sie sind und brauche mich nicht ärgern oder negative Gedanken machen, aber deshalb muss man an diesem Ort nicht unnötig lange sein. Es gibt einfach viel schönere, nettere, hilfsbereitere, wärmere Menschen in wirklich gastfreundlichen Ländern. Was uns zum vierten Teil dieser Reise führt: Japan, das Land der aufgehenden Sonne…

Ich bestieg also am frühen Morgen wieder eine Triple-Seven der ANA und landete kurz nach Mittag in einer weiteren Millionen-Metropole, Tokio. Offiziell ist sie mit knapp 10 Millionen Einwohnern nicht nur die größte Stadt Japans, sondern natürlich auch deren Hauptstadt (inoffiziell hausen im Metropolgebiet Tokio über 35 Millionen Menschen). Aber dazu im nächsten Bericht mehr…