WELT AM DRAHT [1973]

Von Proletkult

Science-Fiction fällt nicht gerade in das gängige Sujet Fassbinders, doch hat er mit WELT AM DRAHT ein herausstechendes visuelles Glanzstück hingelegt und die philosophische Thematik aus der Literaturvorlage von Daniel F. Galouye (Simulacron-3, 1964) geschickt umgesetzt.

Die dargestellte Dystopie ist keine Zukunftsvision. Sie spielt in den 1970er Jahren, in der Gegenwart (zur Zeit der Ausstrahlung des Films) und erzählt die Geschichte von Fred Stiller (Klaus Löwitsch), der im Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung (IKZ) die Nachfolge als Direktor von Professor Henry Vollmer übernimmt, der unter mysteriösen Umständen gestorben ist, nachdem er seinem Kollegen Günther Lause von einer erschreckenden Entdeckung erzählt hatte. Das IKZ betreibt den Supercomupter Simulacron-1, der eine Kleinstadt samt seiner Einwohner simuliert, von denen nur eine einzige Person, eine Kontakteinheit, von der Simulation weiß. Günther Lause verschwindet kurz nach dem Tod Vollmers spurlos und Stiller wird misstrauisch und stellt Nachforschungen an, die ihn fast in den Wahnsinn treiben. Er entdeckt, wie einst sein Vorgänger, dass seine Welt ebenfalls eine Simulation ist, die von einer höheren Realitätsebene aus kontrolliert wird. Nicht nur muss er sich jetzt existenzielle Fragen über seine Identität und seine Umwelt stellen, sondern muss auch erkennen, dass er nun, da er zu viel weiß, beseitigt werden muss. Stiller wird zum Cartesischen Ich, der an allem zweifeln muss und dem als letzte Gewissheit nur noch sein Bewusstsein bleibt. Seine Umwelt verwandelt sich in Platons Höhlengleichnis, in dem Sein nicht mehr vom Schein getrennt werden kann.

Die Thematik der virtuellen Realität, von Täuschung und Manipulation boomt Ende der 90er Jahre in Filmen wie MATRIX [1999], DARK CITY [1998] oder EXISTENZ [1999] von Cronenberg aufgegriffen, und Simulacron-3 nochmal bei THE THIRTEENTH FLOOR [1999] neuverfilmt (und das leider furchtbar miserabel!). Offenkundig ein Thema, dass sich in den Neunzigern gut verkaufen ließ aber auch gegenwärtige Fragen behandelte, die durch den Privatgebrauch von Computern und dem Internet aufkamen. All das wurde 1973 von Fassbinder vorweggenommen und WELT AM DRAHT bietet – Dank der Kamerarbeit von Michael Ballhaus – wie Kubricks 2001: A SPACE ODYSSEY für künftige Weltraumfiktionen ein Vorbild für Simulations-Dystopien. Übrigens verweist Fassbinder auch selbst an Kubrick, als er in einer Szene Strauss’ An der schönen blauen Donau spielen lässt.

Neben den Kostümen, auf die ich gleich noch vereinzelt eingehen will, spielt auch das Szenenbild eine entscheidende Rolle im Film. Wie gesagt behauptet der Film keine Zukunftsvision zu sein, sondern bedient sich am modernen Stil der 70er Jahre. Die Möbel sind auf Design ausgelegt, auf Optik und Schein, die Materialien sind aus Plastik, Glas und Stahl, gelegentlich gespickt mit auffälligen Farben an Telefonen, Gardinen und Teppichen.

Der vom WDR finanzierte und beim ARD ausgestrahlte Film bot Fassbinder offenbar viele Freiheiten und in der Besetzung finden sich fast alle Stammschauspieler wieder, natürlich auch El Hedi ben Salem, von dem ich jetzt leider keinen Screenshot hab. Witzig aber die Aufmaachung der Schauspieler, die eine kuriose Gessamtwirklichkeit bilden, indem wir sie fast alle schon kennen, sie hier aber ganz eigenartig agieren (und aussehen): Eine passende Allegorie: Achilles und die Schildkröte.

Übermaskierte Figuren scheinen im öffentlichen Fernsehen völlig normal zu sein, denn Stiller scheint sich nicht über disen Klaus-Nomi-Double zu wundern.

Der einzige futuristische Aspekt, den WELT AM DRAHT enthält: Videotelefone

Was mir zunächst nur ästhetisch gefiel, schien mir später in seiner Absicht nachvollziehbar. Fassbinder/Ballhaus setzen ihre Figuren in eine Scheinwelt, in der sie permanent auf Oberflächen und Spiegeln reflektiert werden. Sie verlieren sich geradezu in einem Spiegelkabinett, durch die die Wahrnehmung verzerrt wird und wir bzw. Stiller nur ihre Abbilder erfahren:

Uschi, die Sekräterin (Ingrid Caven), ist immer top gestylt und omnipräsent, weil sie gemeinsam Rupp (Ulli Lommel) die kritische Instanz innerhalb der Simulation darstellt, aber natürlich nur innerhalb der vorgegebenen, vorprogrammierten Grenzen. Ihre roten, hochgesteckten Locken, die gepunkteten und bunten Kostüme und der weite Rüschenkragen erinnern an den Harlekinlook. Nicht weit hergeholt, wenn sie als oberflächliche Journalistin in einem vorgegebenen Rahmen das System propagandistisch unterstützt – ein Hofnarr:

Maya Schmidt-Gentner (Margit Carstensen) wird als Sekräterin des Direktors des Instituts entlassen. Sie stellt offenbar eine Gefahr dar, könnte durch die enge Zusammenarbeit mit Professor Vollmer zu viel wissen. So wirkt sie geschwächt, wie kurz vor der Abschaltung durch das System, und sieht in ihrem weißen Kleid und dem Stummfilm-Makeup aus wie ein ausgezehrer Geist:

Ich weiß nichts über Fassbinders Verhältnis zur Mode, aber nach seinen Filmen scheint er – ob er sich mit ihr auseinandersetzte oder nicht – ein außerordentliches Gespür für die Wahl der Kostüme gehabt zu haben. Schließlich findet sich in seinen Filmen auch keine Stammverantwortliche für das Kostümbild und für WELT AM DRAHT war in dieser Hinsicht eine Dame namens Gabriele Pillon verantwortlich, die aber außerdem nur noch für an einer Hand abzählbaren Fernsehproduktionen arbeitete. So lässt Fassbinder seinen Protagonisten durch eine moderne Einkaufspassage umherirren und er landet direkt vor ein französisches Kaufhaus mit interessantem Schaufensterdekor. Das erste deutsche Einkaufszentrum wurde erst wenige Jahre vor dem Film eröffnet und die Kunst der Schaufensterdekoration schwappte gerade erst us Frankreich rüber (das gezeigte Kaufhaus stand auch in Frankreich, wo größtenteils gedreht worden ist):

Stiller, der Wüstling, ist im Film offenbar nicht nur auf der Suche nach der Wahrheit, sondern auch nach Liebe (oder Abenteuer). So treibt er es gleich mit zwei Protagonistinnen:

Die erste Liebhaberin ist Stillers neue Sekräterin Gloria Fromm (gespielt von der großartigen Barbara Valentin). Eine richtige Wuchtbrumme ist sie darin, mit einer riesigen blonden Lockenpracht und großen Babydoll-Augen. Sie soll ganz offensichtlich Stiller verführen, um ihn vor seinen Recherchen abzulenken und spioniert ihn gleichzeitig aus, denn immer sieht man sie im Hintergrund lauernd und starrend, und wenn sie eine Entdeckung macht, greift sie routiniert zum Telefon. Am Ende hilft sie Stiller jedoch bei seiner Flucht, denn Gloria ist viel zu sinnlich für die streng programmierte Welt. So bedient sich Glorias Look einerseits dem Männertraum (der wohl heute ganz anders aussieht), andererseits der perfekten Sekräterin, in ordentlichen Kleidern und Röcken mit Glockenärmeln, doch dazwischen mit einem Hauch nackter Haut und hohen Plateausandalen. Ihr Gesicht und das perfekt sitzende Haar repräsentieren ihre mechanische Funktion innerhalb der simulierten Welt:

Eva Vollmer (Mascha Rabben) ist zunächst die schöne mysteriöse Tochter des verstorbenen Direktors und widerspricht dem konstruierten Ideal, das Gloria darstellt. Sie scheint eine “Frau von Welt” zu sein, ist stilvoll gekleidet, imer in schwarz oder beige, sie ist schließlich in Trauer, scheint aber auch ein Geheimnis zu verbergen. Der Name ist natürlich kein Zufall, denn Eva ist es auch, die Stiller auf die richtige Fährte lockt und ihm von seiner wahren Existenz erzählt:

Stiller erfährt von ihr, dass er bloß eine Projektion ist, nach dem Ebenbild seines Erschaffers geschaffen (siehe Schöpfungsgeschichte). Schließlich verhilft sie Stiller, in die wahre (oder zumindest die als neue wahre erkannte) Welt zu gelangen. Er lässt sich erschießen, während sie das System so manipuliert, dass Stiller kurz vor seinem Tod noch das Bewusstsein mit dem wahren Stiller tauschen kann, so dass Stiller im Körper seines Erschaffers in der wahren Welt weiterleben kann und so in die Realität findet. Eva schenkt ihm also gewissermaßen das Leben. Und interessant ist es auch, dass die wahre Eva nicht länger in schwarz gekleidet ist, sondern in einem zeitgemäßen, warmen Orange und einem langen Blumenrock.

Eine mit seinem “Happy End” viel optimistischere Umsetzung der Buchvorlage, untermalt von Fleetwood Macs Albatross, wofür ich Fassbinder nur noch mehr lieben muss!