Andreas Altmann – Das Scheißleben meines Vater, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend
Ganz selten gibt es Bücher, von denen man weiß, dass man sie lesen muss. Ich sah den Autoren in einem kurzen Fernsehinterview und wusste, dass ich sein Buch lesen muss; dass Andreas Altmann mir etwas zu sagen hat.
Er hat ein Buch geschrieben, dass von Einigen vor allem deshalb gelobt wird, weil es die ungeheuere Verlogenheit aufzeigt, mit der im Namen der katholischen Kirche Kinder zu psychischen Krüppeln gepresst werden. “Met Prüjelstroof un Bibelsprüch woots nit nur do ‘zom Mann’ jequält.” (Niedecken – 1987)
Doch es braucht dazu keinen Katholizismus. Auch ganz ohne Religion gibt es Eltern, die ihre Kinder nicht lieben. Nicht lieben können. Weil sie selbst ungeliebte waren.
Wenn Altmann sein Buch “Das Scheißleben meines Vater, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend” nennt, dann ist das auch das Anerkenntntnis, dass seine Eltern nicht anders handeln und sein konnten, wie sie waren. Er hält sie nicht für “schuldig” – aber er wird ihnen ebenso wenig verzeihen können. Wie auch?
Jeder Mensch, jedes Kind insbesondere, geht erst einmal davon aus, dass er das Recht hat, geliebt zu werden. Dass er “des Liebens wert” ist. Altmann erkennt mit knapp vierzig, dass dieser Mangel an unvoreingenommener Liebe nicht wiedergutzumachen ist. Er nimmt dieses Gefühl an. Und lebt damit – und dem Wissen, selbst nie unvoreingenommen lieben zu können. “Denn ich, und jeder andere mit einer ähnlich vernichtenden Erfahrung, würde die Liebe nicht zulassen.” (S. 252)
Er benötigte vierzig Jahre, um zu verstehen, dass all seine Versuche, seinem Vater ein anerkennendes Wort abzuringen, vergeblich waren. Ob er sich als Radsportler versuchte oder als Musiker; ob er guter oder schlechter Schüler war; es ist bedeutungsloses Unterfangen. Denn das Wissen schon am Beginn, dass der Vater nichts anerkennen würde, bremst so sehr aus, dass jeder Versuch scheitern muss. “Obwohl ich ihn hasste, wollte ich von ihm bewundert werden – vor allem von ihm. Wie verwirrend, wie widersprüchlich. Aber so war es: Er war die letzte Instanz.” (S. 146) Nur das anfänglich heimliche Schreiben rettet ihn. Und der unbedingte Willen, sich den Willen nicht brechen zu lassen.
Es ist schwer, sich von diesem Gefühl, “immer an allem Schuld zu sein” zu befreien; wie gräßlich es ist, als “Versager” tituliert zu werden – und dadurch zu versagen. Weil es am Selbstbewußtsein fehlt; weil eigene Gefühle, eigener Willen nicht “erlaubt” sind. Eltern und vor allem Väter sollten dafür da sein, den Kindern auch Fehler zu erlauben, ihnen zuzusehen beim Suchen nach dem eigenen Weg. Ab und an eingreifen und Hilfe anbieten. Altmanns Vater jedenfalls war weit davon entfernt.
Er hat irgendwann die Erkenntnis gewonnen “Nur Du kannst Dein Leben leben, keiner kann Deinen Weg für dich gehen. Sprich: Du bist allein. Die Erkenntnis war deprimierend. Und heilsam. Weil sie die letzten Schlupflöcher für Ausflüchte verstopfte, die letzten Zuckungen von Selbstmitleid und Schuldzuweisungen…” (S. 240) Das klingt ein wenig nach Satre; ist aber eine der wichtigsten Erkenntnisse des Buches.
Das Buch hat für den Autoren sicherlich auch einen therapeutischen Grund. Gerade auch für ihn, dem das Schreiben über all die Jahre beim Überleben half. Es ist schonungslos ehrlich, man riecht förmlich den Mief der sechsziger Jahre; man erlebt die sexuelle Verklemmtheit und gleichzeitige Geilheit, die die frömmelnden Nachkriegsdeutschen auszeichnete, mit. Es ist so grundlegend ehrlich, weil Altmann ein weiser Mensch wurde. Ohne Verbitterung be-schreibt er, als wären die Dinge nicht ihm, sondern Anderen geschehen. Und bleibt doch beim “ich”.
Vielleicht hilft das Buch dem einen oder Anderen, Dinge zu verstehen, die ihm undurchsichtig vorkommen. Vielleicht aber auch bestätigt es auch die eigenen Kämpfe und Niederlagen. Und den Mut, jeden Tag neu weiter zu machen. Ich habe beim Lesen beides erlebt: die ohnmächtige Wut des Unterdrückten; die Trauer des Eingestehens, nichts dafür zu können, in eine solche Familie hineingeboren zu werden. Aber auch die Kraft, das zu überstehen.
Nic
Zu dem Buch gibt es beim hpd bereits eine Rezension von Fiona Lorenz – und einen podcast (Direktlink).
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