150 Grad (vermutlich)!
Schmoren ist eine wunderbare und deshalb sehr beliebte Gartechnik. Im besten Falle ist sie in der Lage, herrliche Röstaromen, einen reichhaltigen, intensiven Jus und saftiges, mit dem Löffel zerteilbares Fleisch zu produzieren.
Allerdings steht dem perfekten Ergebnis ein – freundlich formuliert – schwer wiegendes Informations-Tohuwabohu entgegen.
Durchsucht man nämlich Kochbücher und das Internet nach Schmorrezepten wie Hirschgulasch, Lammkeule oder Ochsenbäckchen, so variieren Garzeiten und -temperaturen gewaltig.
Man könnte meinen, wie lange etwas bei welcher Temperatur vor sich hin schmort, sei völlig egal.
Zudem hält sich hartnäckig die Annahme, man könne bestimmte Gerichte gar nicht lange genug schmoren.
Das stimmt aber nicht!
Denn: selbst wenn man Fleisch in Flüssigkeit “schmort” (was nebenbei bemerkt nicht “Schmoren” sondern “Kochen” ist, doch dazu später), gibt das Fleisch Flüssigkeit an die Umgebung ab. Das heißt: es trocknet aus. Zu langes Schmoren produziert demnach unweigerlich trockenes Fleisch. Selbst gutes, perfekt durchwachsenes Fleisch von z.B. glücklichen Hirschen, verliert während des Schmorens locker 30% seines Gewichtes an Flüssigkeit.
Aber ganz von vorne…
„Modernes“ Schmoren
Die Methoden „Schmoren“, so wie man sie heute vielfach in Kochbüchern findet, meint: erst anbraten, dann – im Zweifelsfall – viel Flüssigkeit zugeben und in einem geschlossenen Gefäß, zum Beispiel einem Topf oder Bräter, köcheln. Ob das Köcheln auf der Herdplatte oder im Ofen stattfinden, ist dabei nicht von größerer Bedeutung.
Zentral ist dagegen, dass diese Art “Schmoren” dem Eintopf sehr viel näher ist als dem traditionellen Schmoren. Denn das Fleisch wird in der Flüssigkeit gekocht und nicht, wie es im klassischen Sinne vorgesehen ist, “geschmort”. Das bedeutet: nach dem Anbraten entstehen keine – oder nur sehr wenige – zusätzliche Röstaromen.
Traditionelles Schmoren
Früher stellte man zum Schmoren einen sehr gut schließenden Topf mit dem Schmorgut und sehr wenig Flüssigkeit in einer Vertiefung im Boden auf glühende Kohlen, bedeckte den Topf von oben ebenfalls mit glühenden Kohlen und wartete ab.
So war sichergestellt, dass das Gargut von allen Seiten ausreichend und gleichmäßig Hitze abbekam und nicht in der Flüssigkeit kochte sondern – im eigentlichen Sinne – schmoren konnte.
Anbrennen kann bei dieser Methode nichts.
Wieso?
In der Regel reicht es aus, den Boden eines Bräters mit Flüssigkeit zu bedecken um ein Anbrennen zu verhindern. Im Optimalfall hat das Fleisch dann keinen Kontakt zur Flüssigkeit, denn es ist auf – gerade genug – Schmorgemüse gebettet.
Der Clou: besitzt man einen guten – meint: dicht abschließenden Bräter – entstehtdurch die Flüssigkeit des Fleisches und/ oder die wenige zugegebene Flüssigkeit eine ausreichend feuchte Umgebung im Bräter, um das Fleisch vor dem Austrocknen zu schützen.
Die Feuchtigkeit bildet nämlich nicht nur eine Schutzschicht um das Fleisch. Hohe Luftfeuchtigkeit fördert auch die Umwandlung von Kollagen in Gelatine und verhindert – zumindest zum Teil – das Abgeben von Feuchtigkeit vom Fleisch in die Luft, da die Luft ja schon relativ hoch mit Wasser gesättigt ist.
Und: das Fleisch schmort tatsächlich. Es köchelt nicht.
Durch die höheren Temperaturen am Fleisch bildet sich eine Kruste. Außerdem findet die – erwünschte – Maillard-Reaktion nicht nur beim Anbraten sondern über den gesamten Garprozess hinweg statt. Die daraus entstehenden Aromen landen dort wo sie hin sollen: im Sud.
Das Ergebnis ist ein extrem zartes Stück Fleisch, das nicht durch zusätzliche Flüssigkeiten beeinflusst wurde und ein sehr geschmackvollerer Sud.
Wer Zweifel an der potenziellen Dichtigkeit seiner Schmor-Gerätschaften hat, der kann sich mit einem einfachen Teig behelfen, mit dem man den Bräter einmal rundherum abdichtet.
Standard-Teig zum dichten Verschließen von Schmortöpfen
200 Mehl
1 EL neutrales Öl, z.B. Rapsöl
Einige EL Wasser
Mehl, Öl und Wasser mit einem großen Löffel zu einem Brotteig-artigen Teig verkneten. Damit den Bräter verschließen. Fertig!
Welche Temperatur ist denn nun die richtige?
Wer Schmorrezepte vergleicht stellt fest, dass die angegebenen Temperaturen – auch für dieselben Stücke – deutlich variieren. Mit Kerntemperaturen zu arbeiten macht beim Schmoren darüber hinaus wenig Sinn. Was ist nun die beste Temperatur?
Es fällt auf, dass in Schmorrzepten überdurchschnittlich häufig 150 Grad als Ofentemperatur angegeben ist.
Und das aus gutem Grund.
Denn ab einer Temperatur oberhalb von 150 Grad trocknet das Fleisch stark aus. Unter 150 Grad verlängert sich die Kochzeit deutlich, ohne dass das fertige Fleisch am Ende deutlich zarter und/ oder saftiger würde. Außerdem bilden sich ab 150 Grad die erwünschten Röstaromen.
Davon ausgehend sind - nach allen Indizien aus der Literatur - 150 Grad Celsius die ideale Schmortemperatur.
7 Stunden Lamm frei nach Anthony Bourdain und Wolfgang Siebeck
1 Lammkeule mit Knochen (ca. 2,6 Kilo)
4 Knoblauchzehene, geschnitten
Salz und Pfeffer
2 kleine Zwiebeln, dünn geschnitten
4 Karotten, geschält
1 bouquet garni
1 Tasse trocknen Weißwein
Teig zum Verschließen (s. oben)
Den Ofen auf 150 Grad vorheizen. Das Lamm gut mit Olivenöl einreiben, mit Salz und Pfeffer würzen, in den Schmortopf legen auf das Gemüse legen und Wein dazu geben. Den Deckel auf den Topf packen und mit dem Teig zu verschließen.
Den Schmortopf in den Ofen stellen und sieben Stunden vergessen (vgl. Bourdain, 2004, S. 160).
Weiterführende Links
Das Buch “The Science of good cooking” enthält sehr gute und vor allem praxisnahe Hintergrundinformationen. Für überdurchschnittlich Wissbegierige ist das Opus Magnum Modernist Cuisine empfehlenswert. Nach der Lektüre dürften wenige Fragen offen sein.
Physikalisch interessierte schauen zusätzlich bei Aurant.