Weiterhin keine belastbaren Informationen in der Familienpolitik

Von Stefan Sasse
Die Familienpolitik ist neben Schuldendienst und Arbeitslosenunterstützung einer der größten Posten im Bundeshaushalt; Kindergeld, Elterngeld, Erziehungsgeld und Witwenrente sorgen dafür. Es ist überraschend, wie wenig Informationen über die Wirksamkeit und Akzeptanz dieser Leistungen es gibt, ein Missstand, dem eltern.de abhelfen wollte und Forsa beauftragt hat, eine Studie (ausführliche Version) anzufertigen. Die Ergebnisse sind zwar teilweise interessant; ihr Nutzen aber wird durch grundlegende methodische Probleme stark verringert. 
Die erste interessante Erkenntnis dürfte sein, dass Eltern überdurchschnittlich oft Grünen-Wähler sind. Auf 22% kommt die Partei in der Umfrage, zulasten von LINKE, CDU und Sonstigen. LINKE und CDU können wohl als die beiden konservativen Parteien gelten und finden bei Eltern weniger Anklang als beim Rest der Bevölkerung, trotz der Konzentration der CDU auf eine "moderne" Familienpolitik. Dazu passt, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten sich nicht in der Lage sah, die familienpolitischen Ziele der einzelnen Parteien genau zu benennen. Falls die CDU also dachte, das zu einem Eckstein ihrer Präsentation machen zu können, sollte sie besser umdenken. Wenig überraschend ist dagegen, dass nur ein Drittel der Befragten ein "konkretes Ziel" der Familienpolitik ausmachen kann; ein solches Ziel ist in der Politik eines demokratischen Staates ohnehin ständig im Fluss und daher schwer auszumachen. Dieses Ergebnis kann kaum als Kritik der Familienpolitik dienen. 
Wenig überraschend ist auch die Erkenntnis der Studie, dass die Eltern diverse Maßnahmen zur Familienförderung (Frühforderung, Ehegattensplitting, kostenloses und verpflichtendes letztes Kindergartenjahr, etc.) mit überwältigender Mehrheit befürworten, ohne dass große Unterschiede zwischen den Parteipräferenzen auszumachen wären. Problematisch ist hier aber bereits, dass jede dieser Maßnahmen extrem teuer ist. Wir wissen aber nicht, wie wichtig den Eltern die Maßnahmen jeweils sind (soll heißen: wären sie bereit, dafür zu bezahlen, etwa durch höhere Steuern oder Streichungen an anderer Stelle?) oder welcher sie die Präferenz geben würden, wenn nur eine umsetzbar wäre. Das wird durch die Frage, ob die jeweiligen Themen die Wahlentscheidung beeinflussen, nur ungenügend qualifiziert. Bei dieser Frage sind die Antworten jeweils rund 20% niedriger als bei der Zustimmung, aber ob irgendetwas davon wahlentscheidend wäre steht in den Sternen. Ich wage zu bezweifeln, dass jemand von den 65%, die Frühförderung für benachteiligte Kinder als wahlbeeinflussend ansehen, über diese Frage seine Wahlentscheidung ändern würde, wenn er oder sie nicht persönlich betroffen ist.
Sehr interessant dagegen ist, dass es große Mehrheiten dafür gibt, die Familienförderung auf Haushalte mit einem Einkommen unter 100.000 Euro zu begrenzen. Diese Unterstützung sackt rapide ab, sobald es an Kürzungen geht, die alle gleich betreffen (Elterngeld, Kindergeld). Hier könnte die Politik dies tatsächlich als Handlungsanweisung verstehen. Der aufgeblähte Haushalt des Familienministeriums könnte eine Kürzung durchaus vertragen, und eine Streichung von Leistungen für die Gutverdienenden ist politisch wesentlich leichter durchzusetzen als eine Steuererhöhung. Problematisch könnte höchstens der Gleichbehandlungsgrundsatz werden; hierfür bräuchte man ein juristisches Gutachten. Trotzdem sollte über diese Maßnahmen ernsthaft nachgedacht werden, denn die Haushalte mit Einkommen über 100.000 Euro brauchen diese Förderung schlicht nicht. Es ist eine reine Umverteilung ohne Sinn und Verstand, besonders wenn im Gegenzug die Steuern erhöht werden sollten. Die Streichung des Kindergelds oder wenigstens des Elterngelds würde hier wesentlich mehr durchschlagen. Problematisch aber bleibt die Konzentration auf Haushalte, denn diese unterstützt traditionelle Arbeitsmodelle - was auch die überwiegende Unterstützung für das Ehegattensplitting erklärt, und hier kommen wir zur Crux der Studie. 
Die SZ etwa hat die weitgehende Unterstützung von etwa 85% für das Ehegattensplitting als Aufhänger dafür genommen, dass die aktuelle Familienpolitik den Interessen der Eltern nicht entgegenkomme. Das aber kann man aus den Zahlen so nicht schließen, denn natürlich ist die Abschaffung des Ehegattensplittings ohne eine Kompensation nichts, was Zustimmung fände (die 15% sind da schon überraschend). Würde man aber ein taugliches Gegenmodell aufstellen - etwa eine größere steuerliche Bevorteilung von Kindern statt dem Ehestand - dürften die Zahlen bereits wieder ganz anders aussehen. Wo aber keine Alternativen diskutiert oder die Folgen deutlich gemacht werden, sind überwiegende Zustimmung (für konsequenzenfreie Fördermaßnahmen) oder Ablehnung (für ersatzlose Streichung von Leistungen) zu erwarten. 
Indirekt lässt sich aus den folgenden Zahlen nämlich genau das ableiten. Forsa befragte die Eltern nämlich nach ihren Präferenzen für die Gestaltung des Berufs- und Familienlebens. Während rund 40% der Eltern keine Probleme mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf entdeckten, hatten je 15-20% große und und immerhin 40% einige Probleme. Diese Ergebniss spiegeln sich in den Umfragewerten für die verschiedenen Formen der Arbeitsteilung wieder, die in meinen Augen das Herz der Studie sind. Einige interessante Beobachtungen sind zu machen. Erstens, das traditionelle Modell eines männlichen Hauptverdieners und eines weiblichen Teilzeitverdieners und Hausfrau ist mit 57% das am häufigsten praktizierte, wird aber nur von 40% auch gewünscht - eine Diskrepanz von fast 20%, die sich zudem noch auf die Schultern der Niedrigverdiener verteilt, die überwiegend in diesem Modell leben und es, wohl mit Blick für die Realitäten, wünschen. Noch extremer fällt es beim reinen Modell mit dem männlichen Alleinverdiener aus: obwohl dies in 14% der Haushalten die Regel ist, wollen nur 6% dieses Modell überhaupt haben, also weniger als die Hälfte. Wenig überraschend ist die hohe Deckung, wenn beide Partner Vollzeit arbeiten (13% gewünscht, 16% in Realität), denn dies ist fast immer gewollt und eher ein Mittel- und Oberschichtenphänomen. Ein Schlag ins Gesicht für die Familienpolitik ist dagegen die letzte Zahl: 38% der Eltern würden gerne beide mit reduzierter Arbeitszeit (rund 30 Stunden) arbeiten und den Haushalt zu gleichen Teilen managen. Sagenhafte 6% leben in einem solchem Verhältnis. 
Leider schlüsselt die Studie nicht auf, warum die Eltern nicht im von ihnen präferierten Modell leben können und erlaubte Mehrfachnennungen, was eine Einordnung der Ergebnisse stark erschwert. Genannt werden vor allem Gehaltseinbußen bei der Abweichung und mangelnde Unterstützung der Arbeitgeber. Die Zahlen sind aber effektiv unbrauchbar, weil aus ihnen nicht hervorgeht, welche Gründe von den Befürwortern welches Modells vorgebracht werden. Es ist anzunehmen, dass die Niedrigverdiener mit ihrer Vollzeit/Teilzeit-Kombination eher Gehaltsgründe anbringen als mangelndes Verständnis des Arbeitgebers, das vor allem der ausschlaggebende Punkt für die Diskrepanz der gleichberechtigten Arbeitsverhältnisse zu sein scheint. Ohne eine Aufschlüsselung der Forsa-Zahlen muss das aber reine Spekulation bleiben.
Wenig überraschend sind da wieder die Ergebnisse, die von zu wenigen Kita-Plätzen und dem Unwillen der Eltern, den Pflichtplatz einzuklagen sprechen. Auch typisch ist die pauschale Kritik am Schulsystem ("veraltet" sagen 60%), während gleichzeitig über 50% die Aussage machen, persönlich keinerlei schlechten Erfahrungen gemacht zu haben. Diese Zahlen kann man wohl guten Gewissens ignorieren. Die restlichen Ergebnisse befassen sich erneut mit der Aufteilung der Hausarbeit (eine reichlich überflüssige Frage, denn die wird durch die Arbeitsverhältnisse bereits vorgegeben und ist wenig überraschend auch praktisch identisch) sowie mit der Frage, wann der geeignete Moment für eine Rückkehr in den Beruf nach der Geburt wäre. 42% der Frauen empfindet drei Jahre oder später als gut, während der Rest zwischen einem und zwei Jahren warten will. Früher möchte kaum jemand. Diese letzten Zahlen zeigen ein weiteres grundsätzliches Problem auf: die Reintegration von Frauen in den Beruf nach der Geburt nach ein bis zwei Jahren ist extrem schwierig, und viele Frauen wollen nicht nur ein Kind, was die Ausfallzeiten weiter erhöht. Zu erwarten dagegen ist die Verteilung nach Bildungsabschlüssen: je höher der Bildungsabschluss, desto früher wollen die Frauen wieder arbeiten. Kein Wunder, dass es Teilzeit-Aldi-Kassiererinnen weniger zurück in den Beruf drängt als etwa Lehrerinnen.
Das Wichtigste Ergebnis der Studie dürfe die große Diskrepanz bei der Vereinbarkeit von Vollzeitstellen und Familie sein. Obwohl dies seit dem Amtsantritt von Rot-Grün 1998 ein erklärtes Ziel der Familienpolitik ist, hat sich hier wenig verbessert. Noch immer müssen Frauen gewaltige Nachteile durch Ausfallzeiten bei der Geburt hinnehmen, die es gleichzeitig Männern extrem unattraktiv machen, diese Ausfallzeiten teilweise selbst auf sich zu nehmen (Stichwort Elterngeld). Die traditionelle Struktur des Arbeitsmarkts in Teilzeitmodelle (vor allem 400-Euro-Jobs) und Vollzeitstellen mit mindestens 35 Stunden pro Woche, tendenziell aber deutlich mehr, ist Gift für eine gleichberechtigte Aufteilung und Vereinbarkeit mit der Familie. Dieses heiße Eisen geht die Familienpolitik aber praktisch überhaupt nicht an; sie ergeht sich stattdessen in einer gießkannenartigen Förderung bereits bestehender Modelle. Der Wunsch vieler Eltern, gleichberechtigt zu arbeiten und den Haushalt zu führen, wird daher wohl auf absehbare Zeit Utopie bleiben.

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