Von Stefan Sasse
Es ist immer wieder schön, wenn eigene Vermutungen durch Studien belegt werden. Den Plan der grün-roten Baden-Württembergischen Regierung, die bisher verpflichtenden Grundschulempfehlungen von Lehrern unverbindlich zu machen und den Eltern freie Schulwahl zu geben halte ich für falsch, und eine in der FAZ besprochene Studie belegt mir das: freie Schulwahl verstärkt den durch Lehrerempfehlungen ohnehin gegebenen Effekt der sozialen Zementierung. Kinder von Hauptschülern landen wahrscheinlicher auf der Hauptschule, auch wenn sie eigentlich für das Gymnasium geeignet wären, und umgekehrt. Überraschend ist das eigentlich nicht: auf der einen Seite steht der Dünkel von höhergebildeten Eltern, für die ein Kind, das "nur" Hauptschule oder Realschule besucht undenkbar ist. Auf der anderen Seite stehen Eltern aus bildungsfernen Schichten, für die Gymnasium elitäres Kokolores ist und die es auch mit ihrem eigenen Selbstbewusstsein nicht vertragen können, dass ihre Kinder "besser" sind als sie.
Ich kenne beide Fälle aus Bekanntschaft und Verwandtschaft. Die Studienergebnisse überraschen mich deswegen nicht. Es überrascht mich auch nicht, dass Grüne und SPD die unverbindliche Empfehlung durchziehen wollen; das gehört seit Adam und Eva zur bildungspolitischen Haltung dieser Parteien und ist fester Teil dessen, was man gerne als "Markenkern" der Parteien begreift, ebenso wie der Erhalt des dreigliedrigen Schulsystems, der verbindlichen Empfehlung und der Kopfnoten sich in jedem CDU-Wahlprogramm finden werden. Bevor hier Missverständnisse aufkommen: ich gehe mit der CDU nur insofern d'accord, als dass ich die verbindliche Empfehlung beibehalten würde, vielleicht sogar ergänzt durch eine unabhängige Prüfungseinrichtung, die immer dann angerufen wird wenn Lehrerempfehlung und Elternwunsch voneinander abweichen.
Die beste Möglichkeit, die bestehenden Ungleichgewichte besonders on der Sozialverteilung weiter abzubauen dürfte in zwei Schritten bestehen: einerseits muss das ständige Gerede von der "Bildungsrepublik Deutschland", dem höchsten Gut Bildung etc. pp. - also das beständige Wahlkampfgeschwafel - endlich einmal insofern Wirklichkeit werden, als dass die überwältigende Mehrheit in Bildung tatsächlich ein echtes Ziel und einen großen Mehrwert erkennt und dass nicht die Mittelmäßigkeit und das Proletentum in höchsten Tönen gelobt wird. Dazu gehört auch, dass es nicht immer Ausdruck von besonderer Volksnähe von Politikern ist, wenn sie nur möglichst prollig im Bierzelt sind und so tun als ob Mamas Eintops das höchste der kulinarischen Gefühle wäre. "Volksnähe" dadurch zu demonstrieren, dass man seine Bildung möglichst gut versteckt ist eigentlich eine Beleidigung eben dieses Volkes, aber es gehört zum politischen Standardritual seit es Wahlen gibt.
Der zweite Schritt besteht in der Durchsetzung von Ganztagsschulen. Der Trend geht ohnehin bereits in diese Richtung, aber es ist notwendig das endlich auf breiter Front durchzusetzen. Je länger die Schüler Zeit miteinander in der Institution Schule verbringen, desto mehr werden soziale Unterschiede abgebaut - das haben diverse Studien belegt, und das ist auch das einzig positive, was sich an der Einführung des G8 finden lässt. Wenn schulische Erfolge ihre Basis weniger im Lernen zuhause finden, wo sie von den Fähigkeiten der Eltern und ihrem Geldbeutel und Offenheit bezüglich Nachhilfeunterrichts und entsprechender Freizeitbetätigungen sind (das berühmte Erlernen eines Instruments etwa), sondern stattdessen in die Schule verlagert werden, die selbst AGs zur Freizeitgestaltung und Kurse für Schüler anbietet, die Probleme mit dem regulären Curriculum haben, dann werden diese Unterschiede eingeebnet. Vollständig ignoriert werden sie natürlich nie, und die totale Gleichheit ist eine Illusion.
Es wäre allerdings wirklich an der Zeit, die tausendfach bemängelte soziale Selektion des deutschen Schulsystems endlich zu reduzieren und nicht nur ständig darüber zu reden. Dazu hilft es nicht, wenn gut gemeinte, aber nicht gut gemachte Reformen aus der ideologischen Mottenkiste durchgeführt werden, wie Grün-Rot das jetzt tut. Was es braucht sind tatsächlich umfassendere Betreuungsangebote auf allen Ebenen. Was das braucht ist Geld. Es ist notwendig, endlich tatsächlich ins Bildungssystem zu investieren, anstatt ständig nur kosmetische Operationen durchzuführen, die möglichst wenig Geld kosten.