Weil wir uns Liebe leisten können

Von Evelin Chudak
Auf Reisen sind meine Gedanken im Fluss. Es kommen Dinge in mir hoch, von denen ich nichts ahnte. Ich lerne mich besser kennen. Ich kann meine wahren Sehnsüchte erkennen, anstatt sie in Stress und unendlich vielen Beschäftigungen zu begraben. Ich bin sensibler, netter zu mir selbst, erlaube mir schwach zu sein.

Hier ein Auszug aus meinem Reisetagebuch:

Ich sitze in Thailand im Bus, um einen der zig schönen Tempel zu besichtigen. Hinter mir sitzt ein ca. 70 jähriger Mann, europäischer Herkunft. Neben ihm ein thailändischer Junge, der wenn überhaupt schon in der Pubertät ist. Der ältere Mann streichelt den Oberschenkel des Jungen. In welchem Verhältnis die beiden zueinander stehen ist mehr als offensichtlich.

Ich werde nachdenklich.

In Thailand ist Prostitution weit verbreitet. Frauen ziehen ins Ausland zu fremden Männern – für Geld! Weil sie sich und ihrer Familie ein besseres Leben ermöglichen wollen. Dafür verkaufen sie sich!

Und wir, die sich echte Liebe leisten können, haben angst davor. Angst vor Gefühlen. Angst davor verletzt zu werden.

Sind Gefühle nur noch was für Mutige?

Beziehungen werden immer kürzer. Die Parties werden immer länger. Die Musik immer lauter. Die Auswahl immer größer. Das Leben immer schneller. Verbindlichkeiten immer geringer.

Festlegen war gestern.

Wir wollen offen sein. Frei sein. Wer braucht da schon veraltete Denkweisen, wenn wir die ganze Welt haben können.

Nichts reicht uns. Wir wollen immer mehr. Hungrig nach neuen Erfahrungen. Wir werden einfach nicht satt.

Wir sind die Generation, die nach mehr sucht. Nach dem Sinn halt.

Nur verlieren wir uns nicht bei der ganzen Sucherei?

Foto: https://www.flickr.com/photos/levishiach/