Weil ich es mir wert bin

Ich will günstig einkaufen, billig Dienste geleistet bekommen, will jeden Tag neue Schnäppchen. Ich will, dass das, was heute billig ist, morgen noch ein klein wenig billiger wird. Ich bin ja nicht für niedrige Löhne und Personalabbau, damit billig verkauft werden kann - aber ich bin dafür, nicht zu viel Portemonnaieabbau betreiben zu müssen. Ich selbst will ja auch einen ordentlichen Lohn, ich habe ein Anrecht darauf, ich leiste ja gute Arbeit, ich bin loyal und engagiert. Ich bin es wert, ich bin es mir wert - denn unterm Strich zähl’ ich.
Ich will freundlich umworben werden, begrüßt und empfangen, egal wohin ich auch komme. Was schert es mich, dass die Empfangsdame unterbezahlt ist. Das kann sie ärgern, aber nicht an mir ablassen. Denn ich bin Kunde und der Kunde ist König - ich bin König. Ich habe ein Recht darauf, bevorzugt behandelt zu werden. Ich bin doch zu mir selbst auch nett. Ich will Freundlichkeit erleben, Aufmerksamkeit erfahren, ich will umgarnt und versorgt sein. Das ist mein Anspruch als Kunde. Letztlich zähle nur ich, denn ich bezahle die Rechnungen derer, die mein Geld wollen. Ich sorge dafür, dass sie essen, ich bin ihr Arbeitgeber. Da ist es recht und billig, dass man mich hegt und pflegt und liebevoll umsorgt.

Ich will versorgt, ich will im Alter abgesichert und behütet sein. Ich will nicht, dass mein schwer erarbeitetes Geld im Staatsrachen landet, ich möchte mein Geld behalten, ich möchte es privat anlegen, denn ich möchte hohe Renditen erwirtschaften. Solidarität ist ein tolles Wort, ich bin dafür - aber nicht auf meine Kosten. Ich sehe das gar nicht ein. Was habe ich denn davon, wenn man Fremde von meinem Geld durchfüttert? Es ist nur gerecht, wenn ich mein Geld für mich behalte, um es dann für Sozialprojekte auszugeben, die ich bevorzuge. Am sozialsten ist es immer noch, Arbeit zu schaffen, ist es immer noch, wenn ich mein Geld in Discounter trage, damit mein Geld dort Arbeitsplätze sichert.
Ich will Spaß, ich geb' Gas. Ich will laute Musik hören, trinken, speisen, tanzen. Ich will günstig in den Urlaub fliegen, günstig tanken, ein günstiges Auto. Drei, zwei, eins - meins! Ich will Freude am Leben, will erstklassig bedient werden, will herausragende Events für kleinen Preis. Auf Kosten meiner Mitmenschen? Was kümmert es mich denn? Ich bin mir selbst Mitmensch genug, ich habe es mir verdient, mich in die Spaßindustrie zu werfen, dort billig und tüchtig liebkost zu werden. Schade, dass dort Menschen ausgebeutet, Niedriglöhne ausbezahlt werden, aber ich kann darauf keine Rücksicht nehmen, wenn ich Zerstreuung und Erholung suche. Ich muß doch auch mal an mich denken!
Ich will nicht warten, ich will mich nicht in einer Reihe anstehen, ich will nicht schweigen, wenn eine Kassiererin offensichtlich zu langsam tippt. Ich lebe doch im Jetzt, nicht im Später. Ich plärre dann, ich schreie durch den Laden. Dieses Recht habe ich, denn ich bin es dem Unternehmen wert, zufriedengestellt zu werden. Ich will keine Wartezimmer von Innen sehen müssen, ich will nicht erst der Vierte sein, der drankommt. Ich will auch nicht der Dritte oder Zweite, ich will Erster sein, immer Erster sein, egal wo. Das ist mein Anspruch, ich bin mir wichtig genug, immer ganz vorne landen zu dürfen. Notfälle hin oder her, Schmerzpatienten so oder so, der schlimmste Notfall bin immer ich, gleichgültig, was mir fehlt. Habe ich einen harmlosen Schnupfen, bin ich schlimmer dran, als ein fremder Krebskranker. Seine Krankheit ist nicht meine. Mein Leid ist mein Leid, meine Not geht mir ans Herz. Ich habe ein Recht darauf, sofort und kompetent behandelt zu werden - ich zuerst, ich vor allen anderen.
Ich will den besten Lebenspartner, schön muß er sein, intelligent, humorvoll, ein geiler Zahn, immer bereit für Sex, wenn ich Befriedigung brauche. Ich habe mir ein Musterexemplar als Gegenstück verdient. Er muß zu mir passen. Solange er passt, passe ich gerne zu ihm. Aber ich muß die Freiheit haben dürfen, mich auch trennen zu dürfen, wenn es mir nicht mehr passt. Dann sondiere ich wieder den Markt. Ich gehe mit jeder zweibeinigen Möglichkeit ins Bett, wenn es mir danach ist. Ich will Spaß haben, ich will Orgasmen, ich will hemmungslos stöhnen und fauchen, ich will Befriedigung. Wenn ich dann einen Rohdiamanten finde, dann schleife ich ihn, poliere ihn mir zurecht, damit er detailgenau zu mir passt. Ich erziehe mir meine Partner, ich trimme sie, schneidere sie mir zu, wie ich sie brauche. Schlechte Angewohnheiten und unnütze Hobbies gewöhne ich ihnen ab, ich entwerfe mir die Liebe so, wie sie mir gefällt.
Ich spreche gerne von mir, das gönne ich mir. Ich habe ein Recht darauf, von mir reden zu dürfen. Ich finde mein Leben spannend genug, ich will mich nicht zu viel mit den Leben anderer Menschen abgeben. Ihre schätze ihre Privatsphäre sehr, denn so behelligt mich ihr Leben nicht zu stark. Ich habe mit mir genug zu tun, genug zu erzählen. Ich habe kaum Zeit, mich um andere zu sorgen. Ich sorge mich um mich schon genug. Wenn jeder auf sich selbst achten würde, anstatt bei Mitmenschen rumzustochern, mehr Eigenverantwortung zeigen würde, dann würde ich auch in einer besseren Welt leben. Wer sich um seinen Mitmenschen kümmert, tut manchmal Gutes, aber viel zu oft Böses. Ich nicht! Ich tue alles was ich tue für mich. Ich tue mir oft Gutes, manchmal versehentlich Böses. Nur so läßt sich das Böse ausmerzen, indem jeder auf sich sieht, sich selbst um sich kümmert. Das ist der einzige Weg, den die Menschheit in der Zukunft gehen kann. Jeder für sich, jeder friedlich für sich alleine. Nebenbei ist es ein schöner, angenehmer Weg, das kann ich bestätigen. Nie hatte ich einen so guten Draht zu mir, zu meinem Körper, nie vermochte ich es, so verständig in mich hineinzuhorchen, nie fand ich meine Mitte so punktgenau.
Dieser Text erschien schon mal, in etwas anderer Form, im Oktober 2009.
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