Verschwunden
Der Himmel ist ganz grau, die Luft klirrt vor Kälte. Ein weißes Glitzern kündigt die ersten Schneeflocken des Jahres an. Weiße Weihnachten. Wie sehr ich es mir gewünscht habe. Nur noch ein paar Schritte, dann bin ich wieder im Warmen.
Als ich die Tür öffne, ist es ungewöhnlich still. Ich klopfe meine Stiefel ab und hänge meinen Mantel an die hölzerne Garderobe. Sie ist verwaist. Die grünen Mäntel meiner Gäste sind verschwunden. Ist etwas passiert? Seit Wochen sind Herr Nachhaltig, Frau Vegan, Tochter Minimal und Sohn Zero Waste hier sesshaft. Warum sollten sie ohne ein Wort der Ankündigung verschwinden?
Mir wird heiß und kalt. Was ist, wenn ihnen etwas zugestoßen ist? Doch Panik hilft mir jetzt nicht weiter. Tief durchatmen. Ich suche sämtliche Räume ab. Die Wohnstube, die Küche, die Schlafräume. In keinem dieser Zimmer finde ich sie. Die Tür zu meinem Archiv steht einen Spalt offen. Vielleicht finde ich sie dort?
Im Archiv
Im Archiv hat Herr Nachhaltig sehr viel Zeit verbracht. Er hat dort etwas gesucht. Aber bis heute weiß ich nicht, was es war. Der runde Raum mit seinen hohen, in den Wänden eingelassenen Regalen wird nur spärlich von einer Schreibtischlampe in der Mitte des Zimmers erleuchtet. Draußen dämmert es bereits und das Schneegestöber wird stärker. Durch die kleinen Bullaugenfenster über den Regalen dringt kaum noch Licht.
Als ich auf den Tisch in der Mitte zuschreite, sehe ich, dass einer meiner Texte aufgeschlagen oben aufliegt. Unser Beitrag für eine vegane Zukunft. Je weiter ich mich ihm nähere, desto mehr staune ich. Über dem Text schwebt eine pulsierende, grüne Lichtkugel. Soll ich sie anfassen? Ihr Leuchten und die Wärme, die sie ausstrahlt, ziehen mich in ihren Bann.
Es schmerzt nicht, als meine Finger sie berühren. Im selben Moment löst sich die Lichtkugel auf und es erscheint ein offenes Portal vor mir. Ich spüre, dass ich dahinter die Antworten auf meine Fragen finden werde.
Wanderung im Schnee
Mein Vertrauen darauf, dass ich Herrn Nachhaltig finden werde, ist stärker als die Angst und die Unsicherheit darüber, was ich da eigentlich tue. Die ersten Schritte in das Licht fühlen sich an, als würde ich im Nebel laufen. Sehen kann ich nichts. Die Wand aus Licht und weißem Dunst ist für meine Augen undurchdringbar. In der Ferne sehe ich immer noch die grüne Lichtkugel pulsieren. Intuitiv folge ich ihr.
Aus dem Nebel wird knirschender Pulverschnee. Die Hügel in der Landschaft glitzern wie tausend Sterne im Mondenschein. Vor mir im Schnee sehe ich die Spuren von vier Personen. Ich bin mir sicher, dass sie zu Herrn Nachhaltig und seiner Familie gehören. Doch was treibt sie an diesen Ort?
© Pixabay, jplenioSchneebedeckte Tannen, so hoch wie Mammutbäume säumen den Weg. Es ist, als hätte jemand großzügig Puderzucker über diese Welt geschüttet.
Die Kälte macht mir zu schaffen. Wenn ich das geahnt hätte, wäre mein Mantel mit auf dieses Abenteuer gegangen. Ich zittere am ganzen Körper. Die letzte Reise, die ich mit Herrn Nachhaltig unternommen habe, war weit weniger bitterkalt.
Die Treppe und Frau Vegan
Mein Blick ruht auf dem grünen Licht. Es wandert nicht mehr und ich komme ihm nun näher. Die Fußspuren führen geradewegs auf das Licht zu. Warum auch immer ich hier gelandet bin: Die Antworten finde ich hoffentlich dort.
Je näher ich der Lichtkugel komme, desto größer wird sie. Ich staune nicht wenig, als ich nur noch 5 Meter vor ihr stehe und sie haushoch vor mir in den Himmel ragt. Ihr Licht ist warm. Weil ich kurz vor der Eisstarre bin, zögere ich nicht lange und laufe direkt in sie hinein.
Für einen kurzen Augenblick habe ich einen Widerstand gleich einer massiven Wand erwartet. Und wenn es nur für einen Wimpernschlag war. Stattdessen fühle ich einen Sog und eine Hand, die mich am linken Arm packt.
“Greenful Spirit! Da bist du endlich.” Frau Vegan strahlt mich an. Sie steht alleine vor mir. Nun ja. Schwebt trifft es eher. Wie während der ersten Reise, die ich bereits mit meinen Gästen unternommen habe, fühle ich mich schwerelos. Der Raum, in den wir uns befinden, hat keine richtige Form. Alles ist nur von diesem warmen, grünen Licht erfüllt.
“Wo bin ich? Wo sind Herr Nachhaltig, Minimal und Zero Waste?” Ich blicke Frau Vegan fragend an.
“Mein Mann hat endlich gefunden, wonach er solange in deinem Archiv gesucht hat. Komm mit.” Sie lockert ihren Griff um mein Handgelenk und zeigt auf eine steile Wendeltreppe, die sich nun vor unser Augen in die Höhe schlängelt.
“Da hoch?” Frau Vegan sieht mir das Unbehagen im Gesicht an. “Der Weg ist weniger lang, als es zu sein scheint. Komm.” Mit diesen Worten beginnt sie den Aufstieg der moosbewachsenen Treppe aus Pflanzenranken.
Ich habe keine andere Wahl, als Frau Vegan zu folgen. Denn einen Weg zurück kann ich nicht erkennen. Vorwärts und aufwärts sind meine einzigen Möglichkeiten. Auf was habe ich mich da nur schon wieder eingelassen…?
“Wohin gehen wir?”
“Zu dir”, war ihre knappe Antwort. Je länger wir Stufe um Stufe den grünen Turm aus Ranken, Moos und schillernd bunten Blumen hochsteigen, um so mehr Fragezeichen bilden sich in meinem Kopf. Dieser Ort ist zauberhaft. Ich verstehe aber immer noch nicht, was das mit Herrn Nachhaltig und mir zu tun hat. Und warum Frau Vegan alleine auf mich gewartet hat. Wieso ich durch den klirrend kalten Schnee laufen musste. Und das alles an Heiligabend. Das ergibt für mich einfach keinen Sinn.
“Greenful Spirit. Du machst gerade eine Entwicklung durch. Die Stimme tief in dir drin weiß es schon lange.” Frau Vegan spricht, während sie vor mir die Stufen hoch steigt. “Du wirst deinen Beitrag für die vegane Zukunft leisten. Auf deine Art und Weise.”
In diesem Moment erinnere ich mich, dass genau dieser Text es war, der aufgeschlagen im Archiv lag und mich bis hierher gebracht hat.
Auf dem Plateau
Wir steigen eine Weile schweigend hintereinander immer weiter die Treppe hinauf. An diesem Ort habe ich kein Zeitgefühl. Schmetterlinge, strahlend wie Amethysten und Rubine fliegen von den Blumen an uns vorbei. Träume ich? Es ist wie ein korkenzieherförmiges Dschungelparadies, das sich in den Himmel schraubt.
Während meine Füße blind Stufe um Stufe nehmen, verfolgen meine Augen fasziniert das hypnotische, grün-bunte Schauspiel dieser Treppe.
“Wir sind da.” Frau Vegan nimmt die letzten Stufen und erreicht ein genauso von Ranken umschlungenes Plateau.
Ganz aus den Gedanken gerissen, stolpere ich die letzten Stufen hoch und lande in Frau Vegans Armen, die mich vor dem Sturz bewahrt. “Danke.”
“Du hast dich also für deine innere Stimme entschieden.” Herr Nachhaltig reicht mir die Hand.
“Ich weiß nicht mal, wo und warum ich hier bin.”
“Greenful Spirit. Dein Archiv ist voller Texte. Du schreibst mit deinem ganzen Herzblut. Ich habe den Schlüssel gesucht, den wir drehen müssen, um deine volle Kraft zu entfesseln.”
Zu dem Berg Fragezeichen in meinem Kopf kommen gerade noch eine weitere Ladung, wendeltreppenhoch dazu.
“Ja, ich schreibe…”, setze ich an, unsicher, was mich erwartet.
“In Unser Beitrag für eine vegane Zukunft hast du die Eckpfeiler für deine vegane Mission abgesteckt. Doch das bist nicht mehr du.” Herr Nachhaltig blickt mir tief in die Augen. Innerlich spüre ich, was er meint. Trotzdem finde ich noch nicht die Antwort auf diese fantastische Reise, auf die ich hier geschickt wurde.
Vom Zauber der Worte
“Du bist durch anstrengende Zeiten gegangen, die dich Kraft gekostet haben, körperlich ausgezehrt haben. Aber du wusstest, dass wir, Nachhaltigkeit, Veganismus, Minimalismus und Zero Waste eine Stimme brauchen. Eine Stimme, die lauter ist, als jede abstrakte Aufzählung von Zahlen und Benefits für das menschliche Ego. Wenn du schreibst, spricht dein Herz. Du gibst Phantasien ein neues Heim und schaffst Welten voller Liebe, Mitgefühl und Gedankenkulissen.”
Es wundert mich nicht, dass meine Gäste bereits wissen, dass in meinem Geist Worte wie im Tropengewächshaus sprießen.
“Du erzählst Geschichten, welche die Menschen im Herzen berühren.” Tochter Minimal sieht mich mit funkelnden Augen an. “Wenn ich lese, was du aus der Aneinanderreihung von Buchstaben machst, bin ich fassungslos, dass du es schon aufgeben wolltest, damit zu zaubern.”
“Was hat das mit diesem Text aus meinem Archiv zu tun?”
“Du bist heute noch einmal durch alle Tiefen und Höhen gewandert, die du seit deiner Missionsbekundung durchlebt hast. Dieser Text ist die Vergangenheit von Greenful Spirit. Heute bist du eine vegane Geschichtenerzählerin.”
“Ja, das weiß ich…”, antworte ich langsam. Noch bin ich nicht an dem Punkt angelangt, an dem ich verstehe, warum ich mitten in einem bunt-grünen Nirgendwo stehe. Und wie ich wieder nach Hause komme.
“Deine Kraft liegt im Zauber der Worte. Hör auf von Online Marketing zu sprechen. Wenn du der Welt deinen veganen Dienst erweisen willst, schreibe. Erzähle Geschichten und verbreite sie.”
Wie vom Donner gerührt fällt mein Mund auf und zu. Ist es tatsächlich das, was Herr Nachhaltig von mir will?
Die Kraft liegt im Zauber der Worte | © Pixabay, Pezibear“Diese Welt, die du heute durchquert hast, hast du mit deiner eigenen Kraft erschaffen. Versprich mir bitte, dass du den Menschen mit deiner Magie der Worte den Weg zum Veganismus und zum Erhalt unseres Planeten zeigst. Bitte.” Sein Blick war durchdringend und flehend.
Was kann ich am besten? Ist es wirklich die Macht der Worte, die mir obliegt, um das Überleben des Planeten weiter voran zu treiben?
“Es war von Anfang an mein Ziel, Homo Sapiens zu zeigen, was auf dieser Welt vor sich geht. Wenn es einen Weg gibt, auf dem ich viele von dieser Spezies fühlen lassen kann, was auf unserer Erdkugel falsch läuft, werde ich ihn beschreiten. Ich werde den Menschen nicht nur mit Fakten um ein nachhaltiges Leben kommen. Die Worte, um sie die Konsequenzen emotional spüren zu lassen, werde ich finden.”
Wieder Zuhause
Herr Nachhaltig reicht mir seine Hand. “Dann entlasse ich dich nun wieder in deine äußere Welt. Kehre zurück und erschaffe vegane Geschichten. Lass die Menschen fühlen, wie dringend es ist, dass sie jetzt handeln.”
“Danke. Kommt ihr mit zurück?”
“Wir sehen uns auf der anderen Seite.” Mit diesen Worten löst sich die leuchtendgrüne Dschungellandschaft in weißem Licht auf. Alles dreht sich und mir wird schwarz vor Augen.
“Greenful Spirit.” Die Stimme von Sohn Zero Waste dringt an mein Ohr.
Ich blinzle. Bin ich wirklich wieder Zuhause? Ich richte mich auf. Unter mir ist der hölzerne Boden des Archivs. Um mich herum stehen meine vier Gäste.
“Danke für dein Versprechen. Nun lass uns dies Fest feiern, dass Homo Sapiens mit so unsäglich vielen Tierleichen zelebriert. Wir tun es nachhaltig, vegan, minimalistisch und Zero Waste.”
“Das halte ich für eine gute Idee. Fröhliche Weihnachten Euch allen.”
Das ist der Jahresabschluss auf Greenful Spirit für 2018. Ich hoffe, der dritte Teil der “Herr Nachhaltig-Reihe” hat Euch gefallen. Gerne hätte ich den Text zum 24.12.2018 fertig gestellt. Doch die Weihnachtszeit verlangt offline viel Aufmerksamkeit von mir. Und ich will Euch keine halbherzige Geschichte vorsetzen.
Lasst mich gerne in den Kommentaren wissen, wie Euch die Geschichte gefallen hat und teilt sie.
Für mich ist jetzt Blogpause angesagt. Am 03.01.2019 geht der erste Newsletter des Jahres an die Abonnenten raus und am 07.01.2019 bin ich mit einem neuen Blogpost am Start.
Macht es gut, feiert noch weiterhin ein tierleidfreies Weihnachtsfest und wenn Ihr in 2019 stolpert, versucht, nicht mit der Nase zu bremsen. Wir lesen uns wieder im neuen Jahr.
Farah
Weitere Artikel zum Thema:
- Wer ist eigentlich dieser Herr Nachhaltig?
- Teekränzchen mit Herrn Nachhaltig
- Survivalguide für die Geschenkezeit
- Greenful Spirit: mehr als ein veganer Blog
Der Beitrag Weihnachten mit Herrn Nachhaltig erschien zuerst auf Greenful Spirit.