Weder Bürgerkrieg noch Klassenkampf - eine Replik auf Jens Berger

Von Stefan Sasse
Wir brauchen nicht darüber zu reden, dass die Medien der Agenda-Ära eine höchst unrühmliche Rolle gespielt haben. ISNM-Beauftragte als unabhängige Experten, die Bewertung sozialstaatlicher Einschnitte einzig und allein am "Schmerz", der so erzeugt wurde - je mehr, desto besser -, völlig unkritisches Bejubeln der Reformideologie und keinerlei Hinterfragen derjenigen, die daran verdienten, haben die Reformen wohl mehr diskreditiert als Schröder es je hätte tun können. Ohne die aktive Beteiligung der Massenmedien und ihre aggressive Meinungsmache, das sei unbestritten, hätte die Reformpolitik in ihrer Form nicht stattfinden können. Allein, weiter im geistigen Schützengraben zu sitzen und den notwendigen Kampf dieser Zeit unverändert fortzuführen ist meines Erachtens nach falsch und entbehrt auch der Grundlage (das Gleiche gilt im Übrigen für die aggressive Opposition gegenüber allem, was die SPD tut). Die Massenmedien haben sich gigantische Fehlleistungen zuschulden kommen lassen, und von einer ausgewogenen Berichterstattung oder einer größeren Resistenz gegenüber Kampagnen (Stichwort Griechenland) sind sie meilenweit entfernt. Sie sind aber auch nicht mehr die Sturmgeschütze des Finanzkapitalismus; dazu ist einfach viel zu viel passiert. 
Als ich die zunehmende "Wir gegen Sie"-Mentalität der "Gegenöffentlichkeit" angriff, ging es mir nicht darum eine völlige indifferente Neutralität in Blogs zu fordern. Wir veröffentlichen Meinung, und das ist auch gut so. Niemand von uns hat vor, eine Alternative zu den Massenmedien aufzustellen (auch wenn uns das manchmal vorgeworfen wird). An solchen Großmachtallüren leiden wir nicht. Ohne die Massenmedien könnten wir effektiv nicht existieren. Wir ergänzen sie. Worum es mir geht ist daher nicht, Bernd Raffelhüschen und Konsorten eine Plattform zu bieten, beileibe nicht. Worum es mir geht ist es, den Blick nicht ideologisch zu verengen und alles sofort in ein Freund-Feind-Schema einzuordnen, denn das ist der Tod jeglichen intellektuellen oder auch nur intelligenten Diskurses. Die martialische Rhetorik, wie man sie immer öfter in der "Gegenöffentlichkeit" vernimmt, scheint aber gerade dieses Freund-Feind-Schema anzunehmen und es mit dem Etikett "kritisch" zu legitimieren. 
Wir sollten uns aber einen offenen Blick bewahren. Selbst konservative Journalisten, oder liberale, ja selbst neoliberale, können interessante Einsichten offenbaren. Der Unterschied zwischen diesen, auf der anderen Seite des Meinungsspektrums stehenden Menschen und solchen, die handfeste Interessen verfolgen, droht jedoch vollständig zu verwischen. Oft gleicht der Ton der Kritik den schrillen Arien irgendwelcher Verschwörungstheorien. In diesem Weltbild muss der Spiegel einen Plan haben, wenn er Augstein eine Kolumne schreiben lässt. Vermutlich will er ihn als U-Boot benutzen, um unter dem Deckmantel von Meinungspluralität seine geheime Agenda zu verfolgen! Wenn Frank Schirrmacher seine früheren Ansichten auf den Prüfstand stellt, plant er damit in Wahrheit nur uns in Sicherheit zu wiegen, ehe der nächste Streich kommt. Und über all dem schwebt lauernd mit Habichtsgesicht Liz Mohn, die nur darauf wartet in einem fatalen Moment der Schwäche zuzustoßen. Ich halte eine solche Konstruktion aber für genau das: eine Verschwörungstheorie. Sie entbehrt jeglicher Realität. Wenn es eine Kontinuität in allen Medienkampagnen gibt, dann die, dass man gerne von einer - möglicherweise auch nur eingebildeten - Massenmeinung mitgerissen wird. Alle fanden Reformen gut, dann war plötzlich Kapitalismuskritik en vogue, jetzt mag keiner Griechenland. Dahinter einen Mastermind zu vermuten halte ich für übertrieben.
Sicher, die Situation ist alles andere als optimal. Einige wenige üben Kontrolle über die Massenpublizistik aus, einige wenige mit Geld, und entsprechend ausgerichtet ist sie auch. Es gibt vieles, was sich hier verbessern ließe. Eine vollständige Kontrolle, oder auch nur eine weitgehende, wie sie die "Gegenöffentlichkeit" postuliert und wie sie immer wieder vorgetragen wird, kann ich allerdings nicht erkennen. Es gab immer wieder Erfolge darin, allzu offensichtliche Plattitüden zu zerstören, wenn der Mainstream ihnen aus reiner Bequemlichkeit folgte. Wir stehen nicht in einem Kampf "wir gegen die". Dafür fehlt das "die", und ganz offen gesagt, um das "wir" war es auch schon besser bestellt. 
Was folgt daraus für Blogs und andere Vertreter der "Gegenöffentlichkeit"? Sicherlich nicht, dass wir neutrale Plattformen sein müssen. Wir können, sollen gar eine dezidierte Meinung haben und diese auch vertreten; Agenturmeldungen per copy+paste einfügen können wir getrost Stern, Spiegel und Co überlassen. Wir müssen aber auch sehen, dass wir den Blick auf andere Felder offen halten. Wir sollten in der Lage sein, einen Artikel aus dem "gegnerischen" Lager zu lesen, ohne ihn sofort und vollständig nur wegen seiner Herkunft zu verdammen. Selbst Fleischhauer hat schon ein, zwei Sachen geschrieben, denen man zustimmen kann. Wir müssen besser sein als die, die wir kritisieren, und Pluralität und Meinungsfreiheit einen tatsächlichen Stellenwert beimessen. Auch der Abschied vom "Feind meines Feindes ist mein Freund" sollte dringend auf unsere Agenda. Dass manche radikale Spinner auch Opfer von Medienkampagnen werden macht sie nicht zu Freunden oder Verbündeten. Nur weil Radikale ebenfalls Reformen für die Finanzwirtschaft fordern, müssen wir uns nicht mit ihnen in ein Boot setzen. Wir befinden uns weder in einem intellektuellen Bürgerkrieg gegen eine Medienelite noch in einem Klassenkampf gegen eine schmale Elite von Meinungsmachern. Die Situation ist ein bisschen komplizierter.

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