Als ich gerade mein web.de-Postfach öffnete und sich eine offizielle Meldung von ebendiesem Kundenservice vor den Posteingang drängelte, dachte ich zuerst an die zwölftausendsiebzehnte Aufforderung mich doch bitte dem web.de-Club anzuschließen. Das hatte ich vor Jahren schon einmal testweise getan und bereue es zutiefst: Wer wirklich einsam ist, sollte sich dort anmelden – so viel Post habe ich Zeit meines digitalen Lebens nicht bekommen!
Nachdem ich den Text einmal quergelesen hatte und dauernd die Wörter „Speichererweiterung“ und „500mb“ auftauchten, war allerdings schnell klar, dass es sich um eine Phishing-Mail handeln musste, die mich wieder auf Gewinnspiel-Porno-Wetten-Geldverdiener-Websites locken will, wo ich meine PC-Gesundheit unwissentlich gegen die vermeintliche Chance auf ein iPhone 4 aus Steve Jobs persönlichem Nachlass tauschen soll. Speichererweiterung bei web.de?! Nichts hätte absurder erscheinen können… Es war bestimmt noch in den 90ern, als ich hier mein erstes Postfach eröffnete und mich ab sofort stolz zur digitalen Bohème zählte. Damals waren 12mb Speicherplatz eine Menge – zumindest in Disketten-Kapazität oder WordPad-Seiten gerechnet. Gefühlte Erdzeitalter später steigt mindestens einmal täglich der Wut-Frust in mir hoch, wenn der web.de-Admin wieder verkündet, dass mein Speicherplatz schon wieder auf dem letzten Loch pfeift. Sogar väterliche Mails mit lustigen Clips von sprechenden Katzen oder verbannten Werbespots musste ich zwischenzeitlich ablehnen.
Folgendes hatte der Admin dieses Mal zu sagen:
Sehr geehrter Herr Philipp,
der Speicher Ihres WEB.DE Postfachs wird ab sofort von 12 MB auf 500 MB erweitert. Das bedeutet 40 mal mehr Platz für Ihre E-Mails.
Zur Aktivierung des zusätzlichen E-Mail-Speichers, benötigen Sie eine Programmerweiterung, die Sie hier kostenlos und ohne Verpflichtungen herunterladen können. Bitte klicken Sie auf „Aktivieren“, um Ihr Postfach von 12 MB auf 500 MB kostenlos zu erweitern und die nötige Programmerweiterung zu installieren.
Unsere Garantie: Die Erweiterung des E-Mail-Speicherplatzes ist für Sie dauerhaft kostenlos – kein Abo, keine verstecken Kosten.Ihre WEB.DE Kundenbetreuung
Minutenlanges Kopfschütteln und Schimpfen auf die Virensoftware später, kann „Herr Philipp“ es immer noch nicht glauben: web.de schenkt mir mehr Speicherplatz! Ungefragt! Kostenlos! Mit Garantie! Einfach so! read on
Einfach so? Nein, ein kleines Tool müsse vorher noch „nötigerweise“ installiert werden, schreibt man mir und suggeriert technische Erfordernisse. Kommt jetzt doch noch der Phishing-Hammer? So ähnlich: Ohne die Installation der web.de-Toolbar, die so unfassbar nützliche Features bietet wie einen Direkt-Link zu Amazon und Ebay (ein Schelm, wer dabei an Affiliate-Provisionen denkt!), läuft nichts. Kein Speicherplatz ohne einen verkleinerten Bildschirm, die Gewissheit auf Pop-Ups und ein sauber dokumentiertes Surfverhalten.
Warum schafft die ebenfalls kostenlose Schwesterfirma GMX, was bei web.de unmöglich erscheint? Mit 1gb gibt es hier bereits seit Jahren ausreichend Platz für Mails – selbst für solche mit Papa’s lustigen Katzenclips. Die beiden gehören schließlich gleichberechtigt unter das Dach von United Internet Media…
Die prominent platzierte Hotline von web.de, die mir „gerne helfen“ würde, ist übrigens bei Minutenpreisen von 1,86 EUR (Festnetz!) kein geeigneter Beschwerdekanal. Und während ich noch überlege, wie ich den Brandbrief an web.de am beißendsten formuliere, verschwindet langsam der Schaum vor dem Mund, macht sich die (schlimme) Einsicht breit: die müssen ja auch von irgendwas leben, und so gehe ich am Ende geknickten Hauptes den Weg des geringsten Widerstands: Toolbar installieren, Speicherplatz abholen, Toolbar löschen. Aber merkt euch, Freunde: Wenn ihr das nächste Mal versucht, eure überflüssigen Werbe-Tools in die Browser unschuldiger Freemailer zu installieren und das als technische Notwendigkeit für eine seit Jaaaahren überfällige Anpassung eures Angebots verkauft, dann… dann schreibe ich den Brief zu Ende. Mindestens. Das habt ihr jetzt davon!
siehe auch: heise / windowsblog