Web und Welt (I)

Ich bin zu jung, um sowas zu sagen wie “Früher war alles besser!” (und ich möchte nie alt genug sein, das sagen zu können), aber ich habe das Internet so kennen gelernt, wie es ein zu großer Teil der älteren Generation heute noch sieht. Ein anonymer Spielplatz, wo man sich älter, jünger, hübscher oder größer machen kann, wo man ungestraft Unsinn reden kann, wo man jederzeit jemanden findet, der einem die ewige Liebe schwört. Und wenn es anfängt, zu nerven, macht man den Rechner aus und verschwindet auf Nimmerwiedersehen.

Eigentlich war es nichts anderes, als vorher mit Büchern – Fantasiewelten, in die man sich flüchten, Helden, von denen man träumen oder Familien, die man sich als seine eigene vorstellen konnte. Nur eben zum Mitmachen, selbst gestalten.

Ich erinnere mich, dass es sogar schon ein komisches Gefühl war, wenn man sich zu einem Telefongespräch überreden ließ. Zu echt, zu nah, zu real life. Ich hätte auch nicht gewollt, dass einer von Stephen Kings Figuren plötzlich bei mir anruft oder vor meiner Tür steht.

Anonym? Pustekuchen!

In den letzten Jahren erlebe ich das Web aber ganz anders, was natürlich auch daran liegt, dass ich mich mittlerweile auch beruflich viel dort herumtreibe. Anonym? Pustekuchen. Foren, Blogs, Social Networks – es gibt Tools, die das Netz nach Benutzernamen oder E-Mail-Adressen durchsuchen, so dass man sogar bei Fake-Identitäten aufpassen muss, wenn man sicher gehen möchte, dass jemand, der nach einer Verbindung sucht, keine findet. Anonym fühle ich mich im Web einfach nie.

Also achte ich darauf, was ich sage, schreibe, welche Bilder von mir im Netz herumgehen, welche Artikel ich “like”, welche Tweets ich retweete. Ich achte darauf, meinen Freunden und/oder beruflichen Kontakten keine Statusupdates à la “Webmädchen hat ein Dinosaurier-Meerschwein adoptiert.” auf die virtuellen Pinnwände zu packen, weil ich das selbst nicht leiden kann. Ich achte online darauf, wie und wo ich (im Wort- und im übertragenen Sinn) herumlaufe, zuweilen viel mehr, als im “Real Life”, und natürlich ist das Selbstdarstellung – aber ich halte es für wichtig und richtig. Ich bin nicht in einer Fantasiewelt unterwegs, sondern im Web, und der Eindruck, den ich dort hinterlasse, ist nachhaltig, bleibend, zurückzuverfolgen.

Und noch ein Faktor beeinflusst meine Selbstdarstellung im Web erheblich: Es gibt keine zweite Chance für einen ersten Eindruck, und im Netz weiß ich nicht, wo dieser erste Eindruck entsteht. Also versuche ich mich immer von meiner besten Seite zu zeigen. Für alles andere habe ich das “Real Life” ;) .


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