Waves
9DramaDas Traurige kann so schön sein. Mit Waves hat Trey Edward Shults ein emotionales Familien-Drama geschaffen, dass auf allen Ebenen überzeugt. Wenn man nicht gerade den Tränen nahe ist, erfreut man sich an ästhetischen Bildern oder dem durchdringenden Soundtrack.
Jung, erfolgreich, glücklich. Tyler Williams (Kelvin Harrison Jr.) führt ein Leben wie es sich jeder Teenager in seinem Alter wünscht. Wenn er nicht gerade Trophäen im Ringen gewinnt, besucht er Partys oder fährt mit seiner Freundin (Alexa Demie) durch das sonnige Florida. Zuhause wird er durch eine liebevolle, aber fordernde Familie unterstützt. Sein Vater (Sterling K. Brown) trichtert ihm ganz ohne Samthandschuhe ein: Wenn du es zu Etwas bringen willst, musst du hart dafür arbeiten! Und was sich anfangs wie die klassische Story vom amerikanischen Traum anhört, gerät schnell aus den Fugen. Tyler hat mit einer Verletzung zu kämpfen, seine Freundin stellt ihn vor unerwartete Probleme und die Anforderungen seiner Familie werden schnell zur Überforderung. Tyler gerät in eine Abwärtsspirale, aus der er sich nur selbst befreien könnte.
Von der ersten Sekunde an hat man als Zuseher nicht das Gefühl einen Film, sondern eine reale Geschichte präsentiert zu bekommen. Dieses Gefühl wird einem durch subtile Hinweise und Gesten vermittelt, das normalerweise in unnötigen Dialogen wiedergegeben werden würde. Zum Beispiel kommt es im ersten Drittel zu einer Interaktion zwischen den Eltern in der Küche. Der Blickkontakt, die Körpersprache und die Reaktionen geben uns in nur wenigen Sekunden eine Einsicht in die Beziehung der zwei Charaktere. Als Zuseher fühlt man sich dadurch ernst genommen und kann sich seine eigene Meinung zu dem Gezeigten bilden. Generell sollte man hier keine klassischen Hollywood-Vorgehensweisen erwarten, was den Verlauf der Geschichte betrifft. Das ist erfrischend und hält das Publikum, trotz der tragischen Ereignisse bei Laune.
War gerade davon die Rede, dass Waves sehr real wirkt? Weit gefehlt. Im Hinblick auf die Bildkomposition und das Farbenspiel, dem sich Trey Edward Shults stilsicher bedient, gleicht der Film mehr einem surrealen Gemälde. Kontraste zwischen Dunkelheit, Schatten und Licht sind so wunderschön herausgearbeitet, dass sie jede Szene ein Stück besser machen. Außerdem ist es faszinierend wie gegengleich aber doch passend Ästhetik und Tragik hier zusammengefügt werden.
Waves wirkt wie ein gemaltes Bild? Auch falsch. Der allgegenwärtige, zeitweise dröhnende Soundtrack, lässt viele Passagen, wie Kamerafahrten aus einem Musikvideo aussehen. Bei wem jetzt die Alarmglocken alla Suicide Squad läuten: kein Grund zur Sorge. Anders als in dem Comic-Desaster von 2016, jagt nicht grundlos ein Popsong den Nächsten. Vielmehr schaffen es Trent Reznor und Atticus Ross, die für den Score verantwortlich waren, einen stimmigen und zu der Lebenswelt der Protagonisten passenden, Grundton zu komponieren. Die Musik nimmt einen Großteil dieses Werkes ein und fällt immer dann auf, wenn sie dann doch aussetzt. Genau so muss man das Medium einsetzen. DC darf sich hier gerne eine Scheibe abschneiden.
Muss man bei so vielen großartigen Aspekten überhaupt noch über die schauspielerische Leistung sprechen? Oh, ja! Was hier jeder Einzelne der zahlreichen Protagonisten abruft ist meistens gut und manchmal sogar überwältigend. Auch ihre herausragende Arbeit verleiht der Geschichte die anfangs angesprochene Nähe zur Realität. Umso mehr schmerzt es dem Zuseher, wenn man die Ereignisse mitlebt und mitfühlt.
Waves ist bei genauerer Betrachtung ein Werk, zusammengefügt aus sehr unterschiedlichen stilistischen Mitteln. Lässt man die 135 Minuten aber als Ganzes auf sich wirken, ist man in einem Strom aus Gefühlen, Musik und Farben gefangen. Definitiv einer der Filme die man 2020 gesehen haben muss.
Regie und Drehbuch: Trey Edward Shults, Darsteller: Taylor Russell, Kelvin Harrison Jr., Alexa Demie, Sterling K. Brown, Clifton Collins Jr., Filmlänge: 135 Minuten, Kinostart: 19.03.2020