Wavebuzz Top-30 Lieblingsalben 2016 – Part I (Marino)

Weihnachtszeit ist Ranglistenzeit. Auch Wavebuzz will da nicht aussen vor bleiben. Zur Feier bringen wir dieses Jahr nicht wie sonst fünfzehn, sondern sagenhafte 30 Lieblingsalben des Jahres. Ich mache den Anfang: etwas unzufrieden mit der Auswahl, denn so schwer wie dieses Jahr, das vor guter Musik nur so überlief, fiel es mir noch nie, eine Auswahl zu treffen. Nichtsdestotrotz: das Format der Rangliste fordert seinen Tribut, die Favoriten wurden eingeschränkt und sollen nun ihr Lob empfangen. Viel Spass!

DRIVE-BY TRUCKERS: AMERICAN BAND
«It all started with a border…» – Der erste Satz des Albums «American Band» der Grandseigneurs der US-amerikanischen Rockmusik ist programmatisch: für ihre Message, aber auch für das politische Jahr 2016. Die Band aus Alabama schafft es, eine Stimme zwischen Südstaaten-Stolz und linksliberalen Identitätsdiskursen zu finden, die eindrücklich aufzeigt, dass das scheinbar Unvereinbare durchaus zusammen denkbar ist. Musikalisch traditionelleren Spielarten der elektrischen Gitarrenmusik verpflichtet, loten Drive-By Truckers auf «American Band» lyrisch wichtige Grenzen aus – kritisch, menschlich, weltoffen. Üblicherweise bin ich am Ende der Jahre nicht in Ranglistenstimmung, heute mache ich eine Ausnahme: «American Band» ist das Album des Jahres 2016.
Anspieltipps: Ramon Casiano, Guns of Umpqua, Ever South.

MARCHING CHURCH: TELLING IT LIKE IT IS
Elias Bender Rønnenfelt, ehemaliger Sänger der dänischen Band Iceage, veröffentlicht unter dem mittlerweile zum vollwertigen Bandprojekt ausgereiften Pseudonym «Marching Church» das zweite Album. «Telling It Like It Is» sammelt die düsteren Visionen eines überbordenden Geistes. Finsternis, Abgrund, qualvolle Leidenschaft: Rønnenfelt lässt keine Nuance des Schwarzen aus. Trittsicher vermengt jedes Genre, das ihm in die Quere kommt, zu einer einzigartigen Collage, die dahin führt, wo es wehtut, wo der Schmerz nicht mehr zu leugnen ist. Ein Künstler, mit dem man rechnen muss.
Anspieltipps: Let It Come Down, Up For Days, Heart of Life.
Hier geht’s zur ausführlichen Rezension

ED HARCOURT: FURNACES
Ed Harcourt, britischer Zeremonienmeister des elegischen Pianos, greift auf seinem ofenfrischen Meisterwerk «Furnaces» tief in die Kiste der dramatischen Tricks. Majestätische Pauken, tausendstimmige Engelschöre und zartbittere Streicher zaubert er daraus hervor und legt sie mal mit federleichter Zärtlichkeit, mal mit brachialer Gewalt um seine, wie immer, überlegenen Songs. Harcourt gelingt es – als einem von sehr wenigen Künstlern? – die rauen Klänge von Garagerock mit dem anschmiegsamen Plüsch perfekt arrangierten Souls makellos zu kombinieren.
Anspieltipps: The World Is On Fire, Loup Garou, Dionysus.

REGINA SPEKTOR: REMEMBER US TO LIFE
Seit mittlerweile mehr als 15 Jahren macht Regina Spektor als aussergewöhnlich fantasiebegabte Sängerin, Texterin und Pianistin auf sich aufmerksam. Und mit jedem neuen Album fügt sie ihrem Oeuvre neue lyrische und klangliche Facetten hinzu, arbeitet an ihrem unverwechselbaren musikalischen Kosmos; scheinbar aus der Zeit gefallen und doch stets nahe am Puls des Geschehens. Aus Jazz, klassischem Singer/Songwriter-Handwerk und deftigem Mainstream-Pop erschafft sie verführerische Songperlen, die bisweilen richtiggehend süchtig machen. «Remember Us To Life» verbindet wiederum Erzählkunst, cineastische Arrangements und einprägsame Melodien zu einem bemerkenswerten Gesamtkunstwerk.
Anspieltipps: Bleeding Heart, Older And Taller, The Trapper And The Furrier.

KISHI BASHI: SONDERLUST
Kaoru Ishibashi, Gründer von Jupiter One und Violinist von of Montreal, sucht – so will es mindestens der Albumtitel «Sonderlust» suggerieren – das Abseitige, das, was ausserhalb der Konventionen liegt. Wie aber ist diese Annahme mit der Tatsache vereinbar, dass Ishibashi mit «Hey Big Star» vielleicht den eingängigsten, euphorischsten, glorreichsten Popsong des Jahres 2016 geschrieben hat? Mit seiner Falsettstimme, den quirligen Gameboyklängen und den omnipräsenten, stets vor dem Überdrehen stehenden Streicherarrangements positioniert er sich eben dennoch abseits des Mainstreams, gerade so weit weg, dass ihm der wohlverdiente Chart-Erfolg nicht vergönnt war (Das Album erreichte #153 der US-Billboard 200). An elektronischer Musik der 1990er-Jahre scheint sich Kishi Bashi ebenso zu orientieren wie am Soul der 1970er und dem verqueren Artpop seiner Kollegen von of Montreal. «Can’t Let Go, Juno» (der zweitbeste Popsong des Jahres?) verbindet alle diese Elemente, während sich anderswo Ennio Morricone, Booker T. und Pink Floyd ein Stelldichein zu geben scheinen («Who’d You Kill»). «Sonderlust» ist ein ideenreiches, detailversessenes Kunstwerk, das wiederholte Aufmerksamkeit verdient.
Anspieltipps: Can’t Let Go Juno; Hey Big Star; Who’d You Kill.

SPRINGTIME CARNIVORE: MIDNIGHT ROOM
Die junge amerikanische Singer/Songwriterin und Multi-Instrumentalistin Greta Morgan schickt sich mit ihrem zweiten unter dem Namen «Springtime Carnivore» veröffentlichten Album an, einen festen Platz am Himmel des Dreampop zu erobern. Mit ihrer biegsamen Stimme, die scheinbar mühelos zwischen ungeahnten Höhen und unergründlichen Tiefen pendelt, veredelt sie ihr bereits sehr elegantes Songwriting zusätzlich. Die Songs kreisen um die Herausforderungen der Liebe: um das, was gemeinsam erreicht werden kann, um die Kompromisse, die eingegangen werden müssen, um die schweren Entscheidungen, um angegriffene und angriffige Gefühle. Kein lyrisches Neuland, aber ein perfect match für diese zauberhafte Musik.
Anspieltipps: Face In The Moon, Into The Avalanche, Raised By Wolves.

JAMIE T: TRICK
Jamie T. zeigt sich auf seinem mittlerweile vierten Studioalbum als zitierfreudiger Kenner britischer Popkultur, als ehrwürdiger Paranoiker, als Künstler, der unwiderstehlichen Pop-Appeal mit intellektuellem Anspruch verbindet. Solomon Eccles, ein im Londoner Pestjahr 1665 bekannt gewordener halbnackter Strassenprediger, der die nahende Apokalypse verkündete, dient Jamie T. als Richtschnur. Er ist auf dem Albumcover zu sehen, ihm ist einer der besten Songs des Albums gewidmet. Daneben rockt und rollt sich T. wild durch politisches Tagesgeschehen, Drohnenkrieg und Polizeigewalt, Liebesschmerz und vernichtende Selbstkritik, zaubert Oliver Cromwell, Robin Hood und Jeanne d’Arc aus dem Hut und erweckt sie mit einem Schuss The Clash, The Ramones, The Libertines zu neuem Leben. Eine einmalige tour de force!
Anspieltipps: Joan of Arc, Solomon Eagle, Robin Hood.
Hier geht’s zur ausführlichen Rezension.

KATE JACKSON: BRITISH ROAD MOVIES
Als Sängerin von «The Long Blondes» verbrachte Kate Jackson anno 2006-2008 ihre fünfzehn Minuten im Rampenlicht, ehe sie dem Musikgeschäft den Rücken kehrte, um sich der Malerei zu widmen. Gemeinsam mit einer Bilderserie, die den Titel «British Road Movies» trägt, erarbeitete sie 2015 dann das Soloalbum gleichen Namens. Gitarre, Bass, Piano, Synthesizer und Piano steuerte der arrivierte Produzent und Musiker Bernard Butler (ex- Suede) bei. Sein markantes Gitarrenspiel, vereint mit den Songs und der sehnsüchtigen Stimme von Kate Jackson, sorgen für ein kraftstrotzendes Hörvergnügen. Auf der rockigeren Seite von Jenny Lewis, vergleichbar vielleicht mit den selbstbewussten Songs von Neko Case. Jackson und Butler: eine Kollaboration, die sich gerne über weitere Alben erstrecken darf.
Anspieltipps: Homeward Bound, Metropolis, Stranded.

D.D. DUMBO: UTOPIA DEFEATED
Das Album-Debüt des jungen Australiers Oliver Hugh Perry a.k.a. D.D. Dumbo, der bereits 2013 seine erste EP («Tropical Oceans») veröffentlichte, ist eine bemerkenswerte Sammlung von Pop für Dekonstruktivisten. Am Anfang steht ein Walross. Während die Beatles 1967 noch behaupteten, ein solches zu sein, und Alan Parsons 1985 nach dessen Verbleib fragte, lässt Perry sein «Walrus» im Albumopener kläglich verbluten: eine erste Idee der bisweilen ziemlich wirren Sprach- und Klangfetzen, aus denen D.D. Dumbo seine Songs schustert. Seltsam sphärische Synthesizer-Klänge, diffuses Hintergrundrauschen, Funkgrooves und rhythmischen Stammel- und Stöhngesang bringt der Künstler zusammen, um etwas zu erschaffen, was wohl durchaus Ahnen hat, in der Welt des Pop aber dennoch eine genuine neuartige Stimme repräsentiert.
Anspieltipps: Walrus, Satan, King Franco Picasso.

AMERICAN WRESTLERS: GOODBYE, TERRIBLE YOUTH
Die Liebe führte den schottischen Musiker Gary McClure vor einigen Jahren aus dem Nebel Grossbritanniens in die Bruthitze vo St. Louis, Missouri. Er gab seine erste Band, Working For A Nuclear Free City, auf, um gemeinsam mit seiner Ehefrau Bridgette Imperial und zwei weiteren Mitstreitern die American Wrestlers ins Leben zu rufen. «Goodbye, Terrible Youth» ist nach dem Debüt «American Wrestlers» (2015) bereits das zweite Album der Band in kurzer Zeit. McClure schürft lyrisch tief, reflektiert künstlerische Selbstzweifel, den Tod, brutale Polizeigewalt, lotet die Grenzen zwischen dem Politischen und dem Privaten aus. So schwer wie die Texte bisweilen anmuten, so verspielt und luftig wirkt oftmals die Musik: genüsslich vor sich hin schrammelnder Indiepop mit einem Feuerwerk aus beschwingten Beats, verzerrten Gitarren und träumerischen Melodien.
Anspieltipps: Give Up, Hello Dear, Amazing Grace.

CHRISTINE AND THE QUEENS: CHALEUR HUMAINE
Das Album der französischen Sängerin Héloïse Letissier erschien in ihrer Muttersprache bereits 2014 und wurde dieses Jahr mit englischen Texten und einigen zusätzlichen Songs nochmals veröffentlicht. Letissier, in Frankreich bereits ein grosser Mainstream-Star, schickt sich an die Gendergrenzen des Pop aufzubrechen. Schon im ersten Song «iT» deklamiert sie stolz: «I’m a man now / And I won’t let you steal IT». Was «Chaleur Humaine» wirklich grossartig macht, ist die Tatsache, dass es nicht nur als Statement-Album funktioniert, sondern auch als Set von wirklich herausragenden (Synth-)Popsongs. Letissier beweist ein unbestechliches Gespür für sexy Beats und ungewöhnliche Melodien.
Anspieltipps: iT, Tilted, Half Ladies.

KATE TEMPEST: LET THEM EAT CHAOS
«Picture a vacuum»: so heissen der erste Satz und der ganze erste Track auf dem zweiten Soloalbum der jungen britischen Rapperin. «Picture a vacuum»: wie auch der Albumtitel, «Let Them Eat Chaos», ein Imperativ, Tempests Ansage, dass hier nicht bloss performt, sondern gefordert wird. «Picture a vacuum»: eine Forderung, der nachzukommen, nicht leicht fällt, denn mit den Dingen, die leicht fallen, scheint sich die Künstlerin gar nicht erst abzugeben. Wie einst der junge Bob Dylan besitzt Tempest die Fähigkeit, mit vielen Worten auf die Tatsache aufmerksam zu machen, dass es auf der Welt arme und reiche Leute gibt, Gewalt, Ungleichheit, Ungerechtigkeit. Tempest ist die Stimme derer, die allzu oft übersehen werden; sie ist die Anklägerin eines Systems, das sich nicht mehr um die zu kümmern scheint, die es am dringendsten braucht. «Europe is lost» – eine Parole, eine Dystopie? Nein, ein Ist-Zustand.
Anspieltipps: Ketamine for Breakfast, Europe is Lost, Whoops.

WINTERSLEEP: THE GREAT DETACHMENT
Mit ihrem sechsten Studioalbum «The Great Detachment» gelang den Kanadiern von Wintersleep nicht nur ein persönliches Karrierehighlight, sondern auch eines der besten der Powerpop/Rock-Alben des Jahres. Von hymnischem Folkrock («Amerika») über dreckigen Garagenkrach («Santa Fe») bis zu feinster Balladenkunst («Shadowless») spannt die Band einen fantasievollen Bogen quer über das Feld der Americana. Überlegte, überlegene Musik.
Anspieltipps: Amerika, Santa Fe, Spirit.
Hier geht’s zur ausführlichen Rezension.

VULFPECK: THE BEAUTIFUL GAME
Wer ein Album mit einem Klarinettensolo eröffnet, kann sowieso wenig falschmachen. Ein Plädoyer für die regere Nutzung der Klarinette in der Popmusik wäre an anderer Stelle einmal angebracht. Hier nun aber soll es um das Album «The Beautiful Game» der amerikanischen Soul-/Funkband Vulfpeck gehen. Nachdem die Band zwischen 2011 und 2014 fünf EPs veröffentlicht hatte, folgte 2015 das Albumdebüt, Thrill of the Arts», dem 2016 gleich das zweite Werk nachgeschoben wurde. «The Beautiful Game» überzeugt mit unerhört catchy Pianopop («Animal Spirits»), Disco («Conscious Club») tiefenentspanntem Blues («El Chepe») und – der eigentlichen Heimaterde der Band – sattem Funk (u.a. «Daddy, He Got A Tesla»). Vulfpeck sind eine vielfältige, handwerklich herausragende Band, die definitiv grössere und anhaltende Aufmerksamkeit verdient hat.
Anspieltipps: Animal Spirits, El Chepe, 1 for 1 Di Maggio.

CAMP CLAUDE: SWIMMING LESSONS
Das Pariser Trio Camp Claude um Sängerin Diane Sagnier empfing für sein Debütalbum «Swimming Lessons» einiges an negativer Kritik. Unausgereift und uninspiriert seien die Songs, lautete etwa ein Vorwurf. Dabei wirkt die Mischung aus 80s-Electropop, Post-Punk und Dreampop – von der Band selbst «Sky Wave» genannt -, gepaart mit Sagniers unterkühltem Sprechgesang, durchaus souverän. Und auch wenn die vage gesellschaftskritischen Texte teils auf wackligen Beinen stehen, finden sich einige Bonmots zum Menschen im digitalen Zeitalter, «disconnected» von dem, was als real empfunden wird.
Anspieltipps: In The Middle, All This Space, Swimming Lessons.

(Nicht in diese Liste geschafft, mein musikalisches Jahr aber ebenso bereichert haben unter anderen: JAGWAR MA, PHANTOGRAM, CRX, CASS MACCOMBS, DANIEL ROMANO, TWIN ATLANTIC, PARQUET COURTS, EMELI SANDÉ, PIXIES, LANY, KT TUNSTALL, TEENAGE FANCLUB, SCOTT HIRSCH, LADY GAGA, IGGY POP, BADBADNOTGOOD, THE DRONES, YAK, RUEN BROTHERS, GABRIELLE APLIN, …)


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