Ihr Lieben,
heute Abend möchte ich Euch eine Geschichte von Werner Schaube erzählen:
„Eine Handvoll Menschlichkeit“
„Bobik hieß der kleine russische Junge aus einer alten adligen Familie.
Er litt fürchterlich unter seinem alten griesgrämigen Kindermädchen, die ihn erziehen sollte.
Aber wie sollte sie, sie selbst nie Liebe erfahren hatte,
ein Kind erziehen, das sie nicht liebte?
Eines Abends bockte Bobik und war nicht ins Bett zu kriegen.
Da packte das alte Kindermädchen die blanke Wut und sie griff zum Stock.Bobik war noch nie geschlagen worden.
Mit vor Schreck aufgerissenen Augen hob er flehend, ja beschwörend die Hände und kniete sich vor sie hin: „Schlag mich nicht, nur nicht schlagen! Das nicht! Ich will alles tun, was Du willst. Alles, alles. Ich küsse sogar Dein Kleid.“ Und er führte den Saum ihres Kleines an seine Lippen [das ist in Russland ein Zeichen für völlige Unterwerfung].
Das Kindermädchen, das ursprünglich aus Frankreich stammte, verstand nur wenig von dem, was der Junge auf Russisch sagte. Aber erschüttert begriff sie: Das ist kein Eigensinn oder Ungehorsam.
Sie selbst fühlte dabei ihre ganze Hilflosigkeit,
sie spürte alle Demütigungen, die sie selbst je erlebt hatte.
Etwas Verschüttetes, etwas Mütterliches regte sich in ihr.Sie warf den Stock weg, hob Bobik auf ihren Schoß und streichelte zum ersten Mal den Kopf dieses Jungen, der ihr bis zu diesem Tag so grässlich erschienen war.
Sie brach in leises Weinen aus.
Dann weinten sie beide, die alte Frau und der Junge.Und Bobik erwiderte die Liebkosung.
Mit Erschrecken stellte er fest, wie dünn und abgemagert ihre Arme waren.
Sie tat ihm plötzlich leid.
Sie legte ihn behutsam ins Bett. Sie blieb an seinem Bett sitzen.
Da suchte seine kleine Hand die ihre und friedlich schlief er ein.“
Ihr Lieben,
in der letzten Woche war ich zum 18.Geburtstag eines jungen Mannes eingeladen, der seinen Geburtstag nur im engsten Familienkreis feierte. Normalerweise bin ich nicht Gast auf Geburtstagen von 18-Jährigen, aber in diesem Fall habe ich eine Ausnahme gemacht.
Der junge Mann hatte im Alter von 13 Jahren große Schwierigkeiten mit seinen Eltern gehabt und war in eine Drogensucht hineingerutscht.
Inzwischen ist der junge Mann von seiner Sucht befreit, er hat einen Ausbildungsplatz und ehrenamtlich engagiert er sich, damit 13-Jährige wie er damals erst gar nicht drogensüchtig werden.
Ich durfte dem jungen Mann in den letzten Jahren helfen, indem ich regelmäßig mit ihm Gespräche führte, die dazu dienten, ihm Mut zu machen, sein Selbstbewusstsein zu stärken und ihm zu helfen, seinen eigenen Weg zu finden.
Nach seiner Geburtstagsfeier brachte er mich zur Tür und sagte vor dem Haus seiner Eltern zu mir:
„Werner, wenn Du in den letzten Jahren nicht an mich geglaubt hättest, hätte ich es niemals geschafft. Du bist der erste Mensch in meinem Leben gewesen, der mir gezeigt hat, dass ich etwas wert bin!“
Natürlich habe ich mich darüber sehr gefreut, wenngleich ich gar nichts Besonderes getan habe, außer dem jungen Mann Mut zu machen.
Es ist doch hochinteressant, dass das Wort „Sucht“ ebenso geschrieben wird wie das Wort „sucht“.
Das ist kein Zufall!
Jeder Mensch, der in eine Sucht abgleitet, „sucht“ etwas in seinem Leben!
Und das, was er sucht, ist die Liebe!
Wenn wir uns und die Menschen um uns herum ändern wollen, müssen wir damit anfangen, uns und die Menschen um uns herum zu lieben.
Wer anfängt, die Menschen um sich herum zu lieben, der sieht diese Menschen plötzlich mit anderen Augen, wie in unserer Geschichte:
Der Mensch, den man zunächst „grässlich fand“,
erscheint einem nun plötzlich „liebenswert“.
Ihr Lieben,
wenn Ihr Euch und die Menschen um Euch herum lieben wollt, wenn ihr den Menschen um Euch herum zeigen wollt, dass sie etwas wert sind, dass sie Euch etwas wert sind, dass Ihr sie liebt, dann müsst Ihr die drei „Z“ einsetzen.
Wer die drei „Z“ einsetzt, der kann das Herz fast jedes Menschen erreichen und steinerne, eisige Herzen wieder zum liebevollen Herzschlag veranlassen.
Die drei „Z“ sind:
Zeit – Zuwendung – Zärtlichkeit
Möchtest Du einem Menschen wirklich zeigen,
dass Du ihn liebst, dann schenke ihm Zeit.
Möchtest Du das Herz eines Menschen wirklich erreichen,
dann schenke ihm Zuwendung.
Möchtest Du einem Menschen zeigen: „Du bist mir viel wert!“,
dann schenke ihm Zärtlichkeit.
Nichts bringt Menschen mehr zum Nachdenken, mehr ins Grübeln,
als wenn man ihnen, ihnen ganz allein, Zeit schenkt.
Nichts verändert Menschen mehr und nicht öffnet ihr Herz mehr
als das Geschenk der Zuwendung.
Nichts verdeutlicht einem Menschen mehr, dass er uns viel wert ist, als Zärtlichkeit.
Zärtlichkeit darf hier aber nicht im Sinne von Mann und Frau verstanden werden.
Ich möchte das an dem Beispiel des 18-Jährigen erklären.
Zärtlichkeit kann bedeuten, ihm Respekt entgegenzubringen
und ihm zur Begrüßung oder zum Abschied die Hand zu reichen.
Zärtlichkeit kann auch bedeuten, beim Abschied nicht nur seine Hand zu ergreifen, sondern die andere Hand auch noch auf seine zu legen und zu sagen:
„Du bist ein feiner Mensch! Du bist sehr wertvoll!“
Zärtlichkeit kann auch bedeuten, ihm gelegentlich den Arm um die Schulter zu legen und zu sagen: „Du kannst das, was Du Dir vorgenommen hast! Ich stehe zu Dir, Du schaffst das! Gehe tapfer Deinen Weg!
Ich wünsche Euch von Herzen, dass Ihr das große Geheimnis der drei „Z“ erkennt und die große Kraft, die von den drei „Z“ ausgeht.
Ich wünsche Euch einen ruhigen Abend und morgen einen angenehmen wunderbaren Feiertag
Euer fröhlicher Werner
Quelle: Karin Heringshausen