Was wäre denn eigentlich, wenn ein Verband einen Beitrittsvertrag mit einer Krankenkasse kündigt?

Erstellt am 3. März 2011 von Stscherer

© Rainer Sturm / pixelio.de

Sie wundern sich über die eigenartige Überschrift? Mir ist keine bessere eingefallen, welche prägnanter die Frage benennt, die wohl derzeit einige Verbandsverantwortliche im Bereich der Gesundheitshandwerke umtreibt – und immerhin dazu geführt hat, dass man sich öffentlich mit meinem Blogeinträgen kritisch auseinandersetzt – wenn auch in meiner Abwesenheit. So schön ich es finde, mit meiner Meinung wahrgenommen zu werden, aber es wäre schon nett, wenn man darüber im Dialog mit mir reden würde – aber nun gut, dies scheint derzeit nicht gewünscht zu sein.

Die Ausgangslage: Ein Verband hat – genauso wie einige andere Verbände – einen Beitrittsvertrag nach §127 SGB V abgeschlossen, und diesem sind eine Reihe von Mitgliedsbetrieben beigetreten. Dieser Vertrag enthält allerdings Klauseln, die das Bundesversicherungsamt als rechtswidrig ansieht und die die beigetretenen Betriebe benachteiligen.

Die Betriebe fordern nun von dem Verband die Kündigung des Vertrages und die Aufnahme von Verhandlungen über einen neuen Vertrag, der ihre Rechte besser wahrt als der abgeschlossene Vertrag. Die Verantwortlichen des Verbandes aber lehnen eine solche Kündigung ab, und zwar mit dem Argument, mit der Kündigung des Vertrages würden ja auch die Vertragsbeziehungen der Betriebe hinfällig und die Betriebe könnten nicht mehr versorgen.

Nun, ein bedrohliches Szenario, und das tragende Argument, nämlich die fast schon sklavische Abhängigkeit der Betriebe von den Verträgen der Verbände, kommt einem mehrfach bekannt vor: genau, wir kennen dies durchaus von den alten Rahmenverträgen, und der Geist der Auseinandersetzung zwischen dem Landesverband für Orthopädieschuhtechnik NRW und dem Zentralverband für Orthopädieschuhtechnik um den sogenannten DAK-Vertrag ist zurückgekehrt, denn auch dort war diese angebliche vertragliche Abhängigkeit der Betriebe von den Verbänden ein zentraler Streitpunkt .

Aber Halt, sind die alten Rahmenverträge nicht durch das Gesetz erledigt? Oder ist §127 SGB V gerade wieder ausser Kraft gesetzt worden? Und hatten wir den oben beschriebenen bösen Geist der Vergangenheit nicht gerade wieder zurück in seine Flasche gesperrt – wo er auch hingehört? Genau:

ZVOS: Natürlich ist der Leistungserbringer bei einem Beitritt nach §127 IIa SGB V ein eigenständiger Vertragspartner der Krankenkasse « Rechtsanwaltssozietät Scherer & Körbes.

Und das Bundesversicherungsamt schreibt in seinem Rundschreiben vom 28.12.2010 kurz, klar und nach meiner unbedeutenden Einschätzung nicht auslegungsfähig:

Auf der Leistungserbringerseite wird hierdurch (durch einen Vertragsbeitritt) der jeweils Beitretende eigener Vertragspartner der Kasse.“

Und es schreibt sogar noch etwas: Gemäß § 127 Abs. 2a SGB V können Leistungserbringer den Verträgen nach § 127 Abs. 2 SGB V zu gleichen Vertragsbedingungen beitreten. Auf der Leistungserbringerseite wird hierdurch der jeweils Beitretende eigener Vertragspartner der Kasse. Allerdings besteht kein Anspruch auf einen auf einzelne Vertragsklauseln beschränkten Vertragsbeitritt (bspw. einzelne Produktgruppen). Sollten die Kassen dies zulassen, wird ein neuer Vertrag geschlossen, zu dem wiederum ein Vertragsbeitritt eines Dritten nach § 127 Abs. 2a SGB V möglich ist.

Bundesversicherungsamt: Klare Richtlinien für Verträge und Vertragsverhandlungen nach §127 SGB V – und eine schallende Ohrfeige für einige Krankenkassen « Rechtsanwaltssozietät Scherer & Körbes.

Alles einfach, klar, verständlich, für einen juristischen Laien nachvollziehbar! Eigene Verträge entstehen zwischen den beitretenden Betrieben und den Krankenkassen, und Leistungserbringer können sogar unter Umständen Verträge mit einem eigenen Schicksal (zusammen mit den Krankenkassen natürlich!) produzieren, die dann erneut beitrittsfähig sind.

Und: was heisst das nun? Wenn Sie mich fragen, dann Folgendes:

  • Jeder einzelnen Leistungserbringer, der einem Vertrag beigetreten ist, hat mit der Kasse ein eigenständiges Vertragsverhältnis.
  • Kündigt der Leistungserbringer den Vertrag, bleibt der Vertrag der anderen Vertragspartner (einschliesslich des Verbandes bestehen)
  • Kündigt der Verband, wirkt diese Kündigung nur dann für den jeweiligen Betrieb, wenn er sich dieser Kündigung anschliesst – vorbehaltlich anderweitiger vertraglicher Regelungen, die der Betrieb durch seinen Beitritt akzeptiert hat.

Ich gebe zu, dass man dies auch anders sehen kann, aber mir fällt es schwer, eine abweichende Meinung auch nur ansatzweise juristisch zu begründen – jedenfalls nach der Lektüre des §127 SGB V und dem Rundschreiben des Bundesversicherungsamtes.

Aber selbst wenn meine Rechtsauffassung falsch sein sollte, kann ich die angeblich so grossen Risiken für die Betriebe nicht sehen:

  • Der durch den Verband gekündigte Vertrag wäre ja ein solcher, den die jeweilige Krankenkasse ja eigentlich beibehalten will. Warum sollte sie also den Leistungserbringern das (vermeintliche) Rechtnehmen, aufgrund dieses, für die Kasse günstigen Vertrages weiterhin zu liefern? Damit würde sie ja die Betriebe geradezu in die Solidarisierung mit ihrem Verbad treiben. Deswegen gibt es aus der Sicht der Kassenseite überhaupt keinen Grund, den Vertrag nicht weiter gegenüber den „willigen“ Betrieben zu leben.
  • Und selbst wenn die Krankenkasse dies nicht zulassen würde: der Vertrag ist ja mit demselben Inhalt mit anderen Partner abgeschlossen worden, wobei sämtliche dieser anderen Verträge Beitrittverträge sind; der Betrieb kann also jederzeit den Beitritt zu einem anderen Vertrag erklären und hat dann dieselben – schlechten – Lieferbedingungen wie bisher.

Insgesamt ist die Argumentation, mit der jetzt der eine oder andere Verbandsvertreter durch die Lande zieht, rechtlich nur schwer nachvollziehbar und bringt für die Betriebe keinerlei Vorteile. Im übrigen würde eine Vertragskündigung für die Leistungserbringer kein Risiko bedeuten, den kündigenden Verbänden allerdings würde es die Möglichkeit geben, neue und bessere Verträge auszuhandeln und dazu alle vorhandenen Möglichkeiten einschliesslich der Einschaltung von Politik und Bundesaufsichtsamt auszunutzen.

Aber ich mag ja auch Denkfehlern unterliegen – jeder ist hiermit aufgerufen, mich aufzuklären und darüber mit mir in einen Dialog – auch hier im Blog – einzutreten; nur zu!