Ich glaub es war die Sonnenfinsternis vom März 1987, damals lebte ich mit meiner Familie in den bolivianischen Anden, in einem einsamen Tal, nicht weit vom kleinen Indianerdorf Cotosi.
Ich arbeitete im Garten, es war ein etwas dunstiger Tag, aber man konnte die Mondscheibe sehen, wie sie sich vor die Sonne schob. In Patagonien war die Finsternis vollständig, hier im Norden Boliviens nur partiell. Als das merkwürdig blasse Licht eintrat, das für Sonnenfinsternisse so typisch ist, begannen jenseits des Flüsschens im Dorf unzählige Kinder zu heulen. Das schien mir merkwürdig, denn die Indianerkinder waren nicht sehr ängstlich.
Am Abend kam Esteban vorbei, der Nachbar, welcher zum Haus und den Tieren sah, wenn wir unterwegs an Kursen oder Projekten waren.
"Was war denn das für ein Geheul?" fragte ich ihn.
"Wegen der Sonne," gab er zur Antwort, und blickte mich mit seinen dunkeln Augen an, "wenn das Ungeheuer die Sonne angreift, dann schlagen wir unsere Kinder damit sie heulen, und das vertreibt die Gefahr." Ich dachte darüber nach.
"Warum heult ihr nicht selber, die Erwachsenen?" fragte ich zurück.
"Nein, das geht nicht. Das Ungeheuer reagiert nur auf die Kinder." Ich nickte. Das war wohl eine Art Erfahrungswert der Menschen dort ... Nun ja, unsere religiösen Regeln und Geschichten sind ja zu einem großen Teil auch etwas komisch.
"Weißt du, dass der Mond eine Kugel ist?" fragte ich ihn weiter. Ja, das wusste er.
"Und weißt du auch, dass dort schon Menschen hin flogen, und darauf herum spazierten?" Jetzt musste er herzlich lachen. Er schüttelte den Kopf und sagte: "Nein, das stimmt sicher nicht."
Mir kam es jetzt plötzlich auch etwas merkwürdig vor.
Ja. was taten wir eigentlich dort oben?
Bild oben: Greif / 30x40cm / Acryl und Spachtelmasse auf Baumwolle auf Pavatex / 2006, Nr 06-100
Unsere Hände greifen nach Dingen und Menschen. Die Hände des Uhgeheuers greifen nach der Sonne und den Sternen. Unser Kopf greift nach Wissen. Und es wird auch nach jedem Unsinn gegriffen.