Nordsternhaus Berlin, Sitz der Senatsverwaltung für Justiz / Foto: wikimedia commons (Dirk Ingo Franke)
BERLIN. (hpd) … oder: Anmerkung zu einer Berliner Groteske. Das hatte sich Herr Heilmann, Senator für Justiz des Landes Berlin (CDU), eigentlich ganz anders vorgestellt. Er wollte sich als forsch zugreifender Politiker zur Verhinderung der Strafverfolgung religiös begründeter Knabenbeschneidungen im Land Berlin präsentieren, schnell Fakten schaffen und dafür Beifall einheimsen.
von Walter Otte
Er traf sich mit Vertretern muslimischer und jüdischer Verbände in seinen Amtsräumen und erörterte dort im Beisein seiner Beamten, welche Regelung den Beschneidungsbefürwortern am besten gefiele. Danach führte er Gespräche mit der Generalstaatsanwaltschaft und dem Leitenden Oberstaatsanwalt, um sie zur juristischen Umsetzung seines Planes zu veranlassen. Des Senators Plan funktionierte auch.
Im Land Berlin gilt aufgrund Heilmanns politischer Initiative jetzt diese Regelung: Bei der Staatsanwaltschaft wurde ein Spezialreferat für Beschneidungsanzeigen gegründet und per Weisung des Leitenden Oberstaatsanwaltes sind die einzelnen Staatsanwälte (in den allgemeinen Abteilungen) gehalten, jeden bei ihnen eingehenden angezeigten Fall an dieses Spezialreferat abzugeben. Die dortigen Staatsanwälte haben dann grundsätzlich die Verfahren einzustellen, da religiös motivierte Beschneidungen nicht strafrechtlich verfolgt werden sollen. Innerhalb der Staatsanwaltschaft selbst wurde zur Legitimierung dieses Vorgehens ein Rechtsgutachten gefertigt, das - wie nicht anders zu erwarten war – wie selbstverständlich zu dem „juristischen“ Ergebnis kam, welches politisch gewollt war: Verhinderung der Strafverfolgung religiös motivierter Knabenbeschneidungen.
Senator Heilmann hat nunmehr sein Werk verrichtet und könnte sich zufrieden zurücklehnen, wenn – ja wenn diejenigen, für die er sich ins Zeug gelegt hat, ihn jetzt nicht massiv angreifen würden. Jüdische Religionsvertreter und Funktionäre kritisieren ihren eilfertigen Helfer jetzt in Grund und Boden, sogar eine „flagrante Einmischung in die über 3.000 Jahre alten Traditionen des Judentums“ wird beklagt. Der Grund: die Straflosstellung im Land Berlin soll von drei Kriterien abhängig sein: beide Elternteile müssen – nach einer Aufklärung über die gesundheitlichen Risiken des Eingriffs – ihre schriftliche Zustimmung zur Beschneidung erklären, die religiösen Motivation für die Beschneidung muss durch eine Bestätigung der jeweiligen Religionsgemeinde nachgewiesen werden und schließlich muss der Eingriff nach medizinisch fachgerechtem Standard und „möglichst“ schmerzfrei durchgeführt werden.
Wenn man schon Beschneidungen von Knaben meint rechtlich zulassen zu sollen, dann dürften die genannten Kriterien im 21. Jahrhundert eine pure Selbstverständlichkeit sein (lassen wir mal das „möglichst“ schmerzfrei an dieser Stelle beiseite); aber solche Selbstverständlichkeiten sind offenbar den Religionsfunktionären und Geistlichen egal, für sie zählt nur ihr Ritus und nicht (einmal ein bisschen) der lebendige Knabe.
Die öffentlich Debatte seit Monaten zeigt: die Ritualverfechter wollen einfach nicht! Sie wollen überhaupt keine – in einem demokratischen Rechtsstaat konstitutive und für das gesellschaftliche Miteinander unabdingbare – Debatte über ihre archaische Rituale einerseits und die Menschenrechte der Moderne andererseits. Und sie wollen auch keine Kompromisse. Diese Totalverweigerer wollen nur eines: ungestört weitermachen wie bisher.
Schwerer Schaden für den Rechtsstaat
Steht Heilmann jetzt als der Blamierte dar, dem seine Eilfertigkeit jedenfalls nicht genutzt hat, so wäre jedes Mitleid mit ihm fehl am Platze. Denn: einerseits ignoriert er die Rechte des Knaben und andererseits hat er dem Rechtsstaat schweren Schaden zugefügt. Das Vertrauen der Bevölkerung in das ordnungsgemäße und gesetzliche Funktionieren des Rechtsstaats ist eine zentrale Voraussetzung für ein geregeltes friedliches und demokratisches Miteinander in einer Gesellschaft. Senator Heilmann hat dieses Vertrauen bei großen Teilen der Bevölkerung — wie die Meinungsäußerungen in den letzten Tagen zeigen — schwer erschüttert.
Gewaltenteilung, sonst als Ausdruck der besonderen Qualität unseres demokratischen Systems bereits im Schulunterricht und auch in „Sonntagsreden“ beschworen — sie existierte plötzlich offenkundig nicht mehr. Die Exekutive traf sich mit der interessierten Lobby (hörte mutmaßliche Kritiker überhaupt nicht), debattierte im kleinen Zirkel, und wies dann die Judikative an, Strafverfolgung zu unterlassen, obwohl die Legislative normiert hatte, dass Verletzungen des Körpers ein geschütztes Rechtsgut im Sinne des Zivilrechts und Straftaten im Sinne des Strafrechts sind. Auch die religiös motivierte Knabenbeschneidung ist eine strafbare Handlung, sie war, worauf vor einigen Tagen der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, deutlich hingewiesen hat, auch bis zum Kölner Urteil keineswegs straflos, sondern wurde lediglich geduldet.
Heilmanns Vorgehen ist ein Beispiel für einen besonders krassen Fall des Einwirkens der Exekutive auf die Judikative — ein Einwirken, dass allerdings der Öffentlichkeit nicht verheimlicht werden konnte und das zeigt, wie Politiker handeln (können). Es wurde vorgeführt, was manche ohnehin mutmaßen, dass Politiker die Justiz beeinflussen, wenn dies in ihr politisches Kalkül passt.
Staatsanwälte müssen Weisungen befolgen
Von einem Verfassungsbruch Heilmanns, wie in den letzten Tagen bisweilen zu vernehmen war, kann freilich – trotz aller Kritik – so umstandslos keine Rede sein. Das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) regelt in seinen Paragraphen 146 und 147 eindeutig, dass Staatsanwälte Weisungen ihrer Vorgesetzten Folge zu leisten haben und dass das Recht zur Aufsicht und Leitung in einem Bundesland der Landesjustizverwaltung zusteht. Weisungen dürfen somit erteilt werden — auch dann, wenn damit verhindert wird, dass unabhängige Richter über eine Straftat entscheiden. Eine Unabhängigkeit des Staatsanwalts vor staatlichen Anordnungen zur Strafverfolgung existiert in Deutschland nicht. Zu Recht fordert etwa der Deutsche Richterbund (DRB) seit vielen Jahren die Abschaffung des Weisungsrechts der Justizminister und sieht aufgrund dieser Weisungsgebundenheit das Vertrauen der Bevölkerung in die Staatsanwaltschaft als beeinträchtigt an. Aufgrund der Zulässigkeit einer Weisung der Justizverwaltung an die Staatsanwaltschaft, selbst im konkreten Einzelfall ein Verfahren einzustellen und keine Anklage zum Gericht zu erheben, ist zugleich auch eine Einflussnahme auf die unabhängige Justiz gegeben, deren Unabhängig jedoch verfassungsmäßig garantiert ist.
„Der 1. Kleinen Strafkammer (des Landgerichts Köln) sei Dank.“ schrieb Ende August Winfried Hassemer in einem Beitrag für die Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP); er bezog dies auf deren klare Analyse der Strafbarkeit von Knabenbeschneidungen. Darüber hinaus zeigen sich jetzt schon weitergehende Auswirkungen: eine Kinderrechtsdebatte ist entbrannt. Und vielleicht wird sich eines Tages zeigen, dass dieses Kölner Urteil noch mehr bewirkt haben wird, vielleicht sogar die Abschaffung der Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte von den Landesjustizverwaltungen und die Herstellung einer – politischen – Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften.
Nachtrag 1:
Eine Anfrage des HPD bei der Pressestelle des Generalstaatsanwaltschaft bezüglich des in der Staatsanwaltschaft erstellten und der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemachten Eigengutachtens (nach den politischen Vorgaben) ist unbeantwortet geblieben. Offenbar hält man Geheimhaltung für erforderlich. Vielleicht wird ein Proteststurm gefürchtet, falls das Eigengutachten veröffentlicht und dessen Inhalt bekannt würde? Fragen über Fragen tun sich auf.
Zum Funktionieren des Rechtsstaats gehört nicht nur auch sondern vor allem Transparenz des Handelns staatlicher Organe — zumal in dieser brisanten Angelegenheit. Gibt es etwas zu verbergen?
Nachtrag 2:
Die Groteske geht weiter
Nach der maßlosen Kritik der Religionsvertreter an Heilmanns Vorgehen, will sich der Justizsenator erneut mit ihnen treffen. Er bedauert „Missverständnisse“, sagt aber nicht, welche es gegeben haben soll. Ob es „Übermittlungsfehler“ auf dem Weg von der Exekutive zur Judikative gegeben hat, wissen wir nicht; eben so wenig, ob die Staatsanwälte bei der Abfassung des Eigengutachtens doch nicht lediglich nur die politische Vorgabe umgesetzt sondern eigenmächtig Standards, die für jeden medizinischen Eingriff zwingend zu beachten sind, mit hineingeschrieben haben. Will der Senator jetzt die oben erwähnten drei Kriterien für eine Straflosstellung beseitigen und ein entsprechend umgeschriebenes Gutachten fertigen lassen?
Es ist höchste Zeit, die Politik der Gespräche im „Hinterzimmer“ zu beenden und alles, was abgesprochen wurde, worin die angeblichen „Missverständnisse“ liegen sollen ebenso in die Öffentlichkeit zu bringen wie das Eigengutachten der Staatsanwaltschaft.
Senator Heilmann darf nicht länger Geheimgespräche führen; dies würde das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat weiter erschüttern.
Und es stellt sich die Frage: Ist Herr Heilmann überhaupt willens oder auch nur fähig, in dieser brisanten Angelegenheit angemessen vorzugehen?
W.O.
[Erstveröffentlichung: hpd]