Was nun, Herr Senator Heilmann…?

nordsternhaus 03.10.2011 14 44 07 400x267 Was nun, Herr Senator Heilmann...?

Nordsternhaus Berlin, Sitz der Senatsverwaltung für Justiz / Foto: wikimedia commons (Dirk Ingo Franke)

BERLIN. (hpd) … oder: Anmerkung zu einer Berliner Groteske. Das hatte sich Herr Heilmann, Senator für Justiz des Landes Berlin (CDU), eigent­lich ganz anders vor­ge­stellt. Er wollte sich als forsch zugrei­fen­der Politiker zur Verhinderung der Strafverfolgung reli­giös begrün­de­ter Knabenbeschneidungen im Land Berlin prä­sen­tie­ren, schnell Fakten schaf­fen und dafür Beifall ein­heim­sen.

von Walter Otte

Er traf sich mit Vertretern mus­li­mi­scher und jüdi­scher Verbände in sei­nen Amtsräumen und erör­terte dort im Beisein sei­ner Beamten, wel­che Regelung den Beschneidungsbefürwortern am bes­ten gefiele. Danach führte er Gespräche mit der Generalstaatsanwaltschaft und dem Leitenden Oberstaatsanwalt, um sie zur juris­ti­schen Umsetzung sei­nes Planes zu ver­an­las­sen. Des Senators Plan funk­tio­nierte auch.

Im Land Berlin gilt auf­grund Heilmanns poli­ti­scher Initiative jetzt diese Regelung: Bei der Staatsanwaltschaft wurde ein Spezialreferat für Beschneidungsanzeigen gegrün­det und per Weisung des Leitenden Oberstaatsanwaltes sind die ein­zel­nen Staatsanwälte (in den all­ge­mei­nen Abteilungen) gehal­ten, jeden bei ihnen ein­ge­hen­den ange­zeig­ten Fall an die­ses Spezialreferat abzu­ge­ben. Die dor­ti­gen Staatsanwälte haben dann grund­sätz­lich die Verfahren ein­zu­stel­len, da reli­giös moti­vierte Beschneidungen nicht straf­recht­lich ver­folgt wer­den sol­len. Innerhalb der Staatsanwaltschaft selbst wurde zur Legitimierung die­ses Vorgehens ein Rechtsgutachten gefer­tigt, das -  wie nicht anders zu erwar­ten war –  wie selbst­ver­ständ­lich zu dem „juris­ti­schen“ Ergebnis kam, wel­ches poli­tisch gewollt war: Verhinderung der Strafverfolgung reli­giös moti­vier­ter Knabenbeschneidungen.

Senator Heilmann hat nun­mehr sein Werk ver­rich­tet und könnte sich zufrie­den zurück­leh­nen, wenn – ja wenn die­je­ni­gen, für die er sich ins Zeug gelegt hat, ihn jetzt nicht mas­siv angrei­fen wür­den. Jüdische Religionsvertreter und Funktionäre kri­ti­sie­ren ihren eil­fer­ti­gen Helfer jetzt in Grund und Boden, sogar eine „fla­grante Einmischung in die über 3.000 Jahre alten Traditionen des Judentums“ wird beklagt. Der Grund: die Straflosstellung im Land Berlin soll von drei Kriterien abhän­gig sein: beide Elternteile müs­sen – nach einer Aufklärung über die gesund­heit­li­chen Risiken des Eingriffs  – ihre schrift­li­che Zustimmung zur Beschneidung erklä­ren, die reli­giö­sen Motivation für die Beschneidung muss durch eine Bestätigung der jewei­li­gen Religionsgemeinde nach­ge­wie­sen wer­den und schließ­lich muss der Eingriff nach medi­zi­nisch fach­ge­rech­tem Standard und „mög­lichst“ schmerz­frei durch­ge­führt wer­den.

Wenn man schon Beschneidungen von Knaben meint recht­lich zulas­sen zu sol­len, dann dürf­ten die genann­ten Kriterien im 21. Jahrhundert eine pure Selbstverständlichkeit sein (las­sen wir mal das „mög­lichst“ schmerz­frei an die­ser Stelle bei­seite); aber sol­che Selbstverständlichkeiten sind offen­bar den Religionsfunktionären und Geistlichen egal, für sie zählt nur ihr Ritus und nicht (ein­mal ein biss­chen) der leben­dige Knabe.

Die öffent­lich Debatte seit Monaten zeigt: die Ritualverfechter wol­len ein­fach nicht! Sie wol­len über­haupt keine – in einem demo­kra­ti­schen Rechtsstaat kon­sti­tu­tive und für das gesell­schaft­li­che Miteinander unab­ding­bare – Debatte über ihre archai­sche Rituale einer­seits und die Menschenrechte der Moderne ande­rer­seits. Und sie wol­len auch keine Kompromisse. Diese Totalverweigerer wol­len nur eines: unge­stört wei­ter­ma­chen wie bis­her.

Schwerer Schaden für den Rechtsstaat

Steht Heilmann jetzt als der Blamierte dar, dem seine Eilfertigkeit jeden­falls nicht genutzt hat, so wäre jedes Mitleid mit ihm fehl am Platze. Denn: einer­seits igno­riert er die Rechte des Knaben und ande­rer­seits hat er dem Rechtsstaat schwe­ren Schaden zuge­fügt. Das Vertrauen der Bevölkerung in das ord­nungs­ge­mäße und gesetz­li­che Funktionieren des Rechtsstaats ist eine zen­trale Voraussetzung für ein gere­gel­tes fried­li­ches und demo­kra­ti­sches Miteinander in einer Gesellschaft. Senator Heilmann hat die­ses Vertrauen bei gro­ßen Teilen der Bevölkerung — wie die Meinungsäußerungen in den letz­ten Tagen zei­gen — schwer erschüt­tert.

Gewaltenteilung, sonst als Ausdruck der beson­de­ren Qualität unse­res demo­kra­ti­schen Systems bereits im Schulunterricht und auch in „Sonntagsreden“ beschwo­ren — sie exis­tierte plötz­lich offen­kun­dig nicht mehr. Die Exekutive traf sich mit der inter­es­sier­ten Lobby (hörte mut­maß­li­che Kritiker über­haupt nicht), debat­tierte im klei­nen Zirkel, und wies dann die Judikative an, Strafverfolgung zu unter­las­sen, obwohl die Legislative nor­miert hatte, dass Verletzungen des Körpers ein geschütz­tes Rechtsgut im Sinne des Zivilrechts und Straftaten im Sinne des Strafrechts sind. Auch die reli­giös moti­vierte Knabenbeschneidung ist eine straf­bare Handlung, sie war, wor­auf vor eini­gen Tagen der frü­here Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, deut­lich hin­ge­wie­sen hat, auch bis zum Kölner Urteil kei­nes­wegs straf­los, son­dern wurde ledig­lich gedul­det.

Heilmanns Vorgehen ist ein Beispiel für einen beson­ders kras­sen Fall des Einwirkens der Exekutive auf die Judikative — ein Einwirken, dass aller­dings der Öffent­lich­keit nicht ver­heim­licht wer­den konnte und das zeigt, wie Politiker han­deln (kön­nen). Es wurde vor­ge­führt, was man­che ohne­hin mut­ma­ßen, dass Politiker die Justiz beein­flus­sen, wenn dies in ihr poli­ti­sches Kalkül passt.

Staatsanwälte müs­sen Weisungen befol­gen

Von einem Verfassungsbruch Heilmanns, wie in den letz­ten Tagen bis­wei­len zu ver­neh­men war, kann frei­lich – trotz aller Kritik – so umstands­los keine Rede sein. Das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) regelt in sei­nen Paragraphen 146 und 147 ein­deu­tig, dass Staatsanwälte Weisungen ihrer Vorgesetzten Folge zu leis­ten haben und dass das Recht zur Aufsicht und Leitung in einem Bundesland der Landesjustizverwaltung zusteht. Weisungen dür­fen somit erteilt wer­den — auch dann, wenn damit ver­hin­dert wird, dass unab­hän­gige Richter über eine Straftat ent­schei­den. Eine Unabhängigkeit des Staatsanwalts vor staat­li­chen Anordnungen zur Strafverfolgung exis­tiert in Deutschland nicht. Zu Recht for­dert etwa der Deutsche Richterbund (DRB) seit vie­len Jahren die Abschaffung des Weisungsrechts der Justizminister und sieht auf­grund die­ser Weisungsgebundenheit  das Vertrauen der Bevölkerung in die Staatsanwaltschaft als beein­träch­tigt an. Aufgrund der Zulässigkeit einer Weisung der Justizverwaltung an die Staatsanwaltschaft, selbst im kon­kre­ten Einzelfall ein Verfahren ein­zu­stel­len und keine Anklage zum Gericht zu erhe­ben, ist zugleich auch eine Einflussnahme auf die unab­hän­gige Justiz gege­ben, deren Unabhängig jedoch ver­fas­sungs­mä­ßig garan­tiert ist.

„Der 1. Kleinen Strafkammer (des Landgerichts Köln) sei Dank.“ schrieb Ende August Winfried Hassemer in einem Beitrag für die Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP); er bezog dies auf deren klare Analyse der Strafbarkeit von Knabenbeschneidungen. Darüber hin­aus zei­gen sich jetzt schon wei­ter­ge­hende Auswirkungen: eine Kinderrechtsdebatte ist ent­brannt. Und viel­leicht wird sich eines Tages zei­gen, dass die­ses  Kölner Urteil noch mehr bewirkt haben wird, viel­leicht sogar die Abschaffung der Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte von den Landesjustizverwaltungen und die Herstellung einer – poli­ti­schen – Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften.

Nachtrag 1:

Eine Anfrage des HPD bei der Pressestelle des Generalstaatsanwaltschaft bezüg­lich des in der Staatsanwaltschaft erstell­ten und der Öffent­lich­keit nicht zugäng­lich gemach­ten Eigengutachtens (nach den poli­ti­schen Vorgaben) ist unbe­ant­wor­tet geblie­ben. Offenbar hält man Geheimhaltung für erfor­der­lich. Vielleicht  wird ein Proteststurm gefürch­tet, falls das Eigengutachten ver­öf­fent­licht und des­sen Inhalt bekannt würde? Fragen über Fragen tun sich auf.

Zum Funktionieren des Rechtsstaats gehört nicht nur auch son­dern vor allem Transparenz des Handelns staat­li­cher Organe — zumal in die­ser bri­san­ten Angelegenheit. Gibt es etwas zu ver­ber­gen?

Nachtrag 2:

Die Groteske geht wei­ter

Nach der maß­lo­sen  Kritik der Religionsvertreter an Heilmanns Vorgehen, will sich der Justizsenator erneut mit ihnen tref­fen. Er bedau­ert „Missverständnisse“, sagt aber nicht, wel­che es gege­ben haben soll. Ob es „Über­mitt­lungs­feh­ler“ auf dem Weg von der Exekutive zur Judikative gege­ben hat, wis­sen wir nicht; eben so wenig, ob die Staatsanwälte bei der Abfassung des Eigengutachtens doch nicht ledig­lich nur die poli­ti­sche Vorgabe umge­setzt son­dern eigen­mäch­tig Standards, die für jeden medi­zi­ni­schen Eingriff zwin­gend zu beach­ten sind, mit hin­ein­ge­schrie­ben haben. Will der Senator jetzt die oben erwähn­ten drei Kriterien für eine Straflosstellung besei­ti­gen und ein ent­spre­chend umge­schrie­be­nes Gutachten fer­ti­gen las­sen?

Es ist höchste Zeit, die Politik der Gespräche im „Hinterzimmer“ zu been­den und alles, was abge­spro­chen wurde, worin die angeb­li­chen „Missverständnisse“ lie­gen sol­len ebenso in die Öffent­lich­keit  zu brin­gen wie das Eigengutachten der Staatsanwaltschaft.

Senator Heilmann darf nicht län­ger Geheimgespräche füh­ren; dies würde das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat wei­ter erschüt­tern.

Und es stellt sich die Frage: Ist Herr Heilmann über­haupt wil­lens oder auch nur fähig, in die­ser bri­san­ten Angelegenheit ange­mes­sen vor­zu­ge­hen?

W.O.

[Erstveröffentlichung: hpd]


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