Was muß denn noch passieren?

Es herrscht Krise. Die Wirtschaft kriselt, der Euro und die Finanzen auch - und letztlich liegt die Demokratie krisengeschüttelt im Krankenbett. Öffentliche Kassen werden zweckentfremdet, ihre Erträge kommen der Rettung von Banken und Konzernen zu, unterdessen die Sozialsysteme trockengelegt und deren Anspruchsberechtigte, wenn nicht gänzlich kriminalisiert, so doch anrüchig gemacht werden. Das ist das Milieu, in dem eine linke Partei eigentlich gedeihen könnte - so ein Umfeld muß sie sich fast schon wünschen, wenn sie nach Jahrzehnten neoliberaler Beschulung der Massen, einen Stich machen will. Nun ist das Umfeld eingetreten - und eine linke, linksliberale, u-sozialdemokratische Partei gibt es wieder, nachdem man lange Zeit keine mehr in diesem Lande kannte. Und trotz klimatisch guter Bedingungen für ein solches Projekt: sie kariolt gerade so über der Fünf-Prozent-Hürde bundesweit, verliert bei Landtagswahlen und wird bei kommenden, die Prognosen tendieren dorthin, aus dem Landtag gekegelt.
Neoliberalismus zu tief eingepflanzt
Sie müht sich an einem Volk ab, das die Krise sieht und merkt - manche tun das schon seit Jahren, andere schlittern gerade hinein, wieder andere mühen sich, in Krisenzeiten nicht in persönliche Krisen zu geraten. Sicher ist, dass nichts sicher ist - das ist die Erkenntnis, die uns die mit der Globalisierung drohenden Neoliberalen seit nunmehr Dekaden lehrten. Seit Jahren sind sie die Lehrmeister der Parteien - und die "wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit", heißt es in Artikel 21 des Grundgesetzes. Die und die Medien, die auch belehrt wurden von denen, die das Laissez-faire zur Doktrin erhoben haben. Seit Jahren vernimmt man dieses eindimensionale, so entzückend einfache Weltbild, wonach der Markt über (Selbstheilungs-)Kräfte verfüge, die als ordnende Instanz fungieren, womit der schlanke Staat ein guter Staat sei, weil er diese Kräfte nicht lähme. Geklappt hat das in der Praxis nie - aber es klang so wohlig und die Legionen von Kuratoren und Botschaftern einschlägiger Think Tanks und Initiativen, die sich im Fernsehen und im Feuilleton lümmelten, erzeugten die Auffassung, dass die Doktrin auch dann stimmen könne, wenn sie gerade nicht stimmte.
Wie will eine linke Partei, die diesen Doktrinen, die ins Fleisch und Blut eines ganzen Volkes übergangen sind, in wenigen Jahren auflösen, was in Jahrzehnten verfilzte? Wie will sie ein Brot-und Spiele-Volk, diese hiesige Bespaßungsgesellschaft, die im Boulevard die höchsten Weihen des Journalismus ahnt, mit aufklärerischer Ernsthaftigkeit und seriösen Erklärungen fesseln? Wie soll man den Beißreflex, den man den Bürgern schon vor dem neoliberalen Zeitalter einpflanzte, nämlich den, alles was dem linken politischen Spektrum auch nur ansatzweise zu entsteigen scheint, als kinder- und schlimmer noch eigentumfressenden Kommunisten zu beziffern... wie soll man das aus den Köpfen schlagen? Es ist ja nicht so, dass man nicht kapitalismuskritisch wäre hierzulande - aber die Rezepte dagegen lesen sich vom Stammtisch bis zur Tageszeitung meist so: Wettbewerb, Anreize schaffen, Eigeninitiative, der Markt reagiert, vertraut oder ist je nachdem skeptisch...
Trotz Krise, die neoliberale Beackerung hat sich für das Wirtschaftsbaronat gelohnt
Es sind die Schlagworte der neoliberalen Heilslehrer, mit denen alles anders, menschlicher, besser werden soll - alles, was vormals schon nicht menschlicher, nicht besser geworden ist. Wer die nicht im Repertoire führt, der tut sich schwer bei den Menschen. Sicher, der Kapitalismus, die Spekulativwirtschaft, all diese Erscheinungen - aber es muß doch Wettbewerb in jeder Sparte geben, man muß doch Anreize schaffen, Lohnabstandsgebot und so. Wie soll man auch Narrative, die man täglich vernommen hat, die noch immer, wenn auch etwas beschämter als vorher, gedudelt werden - wie soll man diesen liebgewonnenen Soziolekt und seine Gedankengänge einfach so ablegen?
Ein Hoch hat Die Linke nie gehabt. Knapp acht Prozent bei der Bundestagswahl 2005 waren ein Anfang - vier Jahre später waren es knapp zwölf Prozent. Man lege nicht zu viel wert auf Prognosen. Betreten macht es allerdings schon, dass man bei fünf, sechs, optimistisch sieben fiktiven Prozent auf Bundesebene dümpelt - von den in Aussicht stehenden Landtagswahlen keine Rede. Und die Zeiten sind seit 2009 nicht besser geworden. Es sind eigentlich Zeiten für linke Parteien angebrochen - aber keiner wählt sie. Das kann nur bedingt am Personal liegen, wie man oft hört. Farblose Typen seien das, liest man zuweilen. Gut Gysi nicht und Lafontaine auch nicht - Wagenknecht naja, wer es spröde, humorlos wirkend mag. Aber Farblosigkeit ist doch nicht die Erklärung. Denn wo sind die Farbtupfer bei den anderen Parteien? Die Grünen sammeln eine immer größere Wählerschaft um sich - wer ist da farbig? Mal von der Garderobe Claudia Roths abgesehen. Und ob es nur die Kampagne ist, die man gegen Die Linke fährt, wie Jens Berger unter anderem in seinem "Stresstest Deutschland" nachzeichnet, kann man auch nicht glauben wollen.
Trotz wankendem Koloss, trotz Krisen, die diesen an Manchester angelehnten Kapitalismus in die Bredouille bringen - letztlich haben Konzepte, die das seit Jahrzehnten bekannte neoliberale System torpedieren, wenig Chancen. Vielleicht ist das irgendein Stockholm-Syndrom, vielleicht nur Desinteresse, vielleicht aber auch eine verinnerlichte Schizophrenie - Symptom für den Neoliberalismus! -, dass sich nur alles ändert, wenn sich nichts ändert. Also wählt man denselben hanebüchenen Quatsch, den man immer wählte, einen aus dem Bund neoliberaler Parteien. Oder man wählt innovativ, wählt die Piraten, eine Art FDP mit Computerausrüstung, deren Programm bei Lambsdorff bestellt scheint. Nur Die Linke, die bei aller Kritik, doch so anders ist, wie das, was sonst so kreucht und fleucht, die wählt man nicht...


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