Die Sprachregelung, die die neoliberale Agenda in den öffentlichen Raum installierte, ist eine selbstsüchtige. Sie ist es nicht nur, weil sie etwaige Egoismen der Teilnehmer fördert und letzthin sprachlich verwurstet hat. Sie ist es auch - und viel mehr! - weil jede Aussage, jeder Vergleich und jeder Verweis zur überprüfenden Selbstbestätigung des neoliberalen Gesellschaftsentwurfes herangezogen wird. Wie eine selbstsüchtige Freundin oder Bekannte, die fragt, wie es einem gehe, die die Antwort noch kurzatmig abwartet, sie jedoch kaum noch vernimmt, um just mit der Ausbreitung der eigenen Befindlichkeit anzufangen. Die neoliberale Sprachregelung nutzt bestimmte Aussagen als Stichworte, um das eigene Wohlergehen zu loben, um sich selbst weihevoll in Szene zu rücken.
Spricht man beispielsweise die griechischen Missverhältnisse an, die es durchaus gibt, dann heißt das automatisch auch, dass diese Form von Missverhältnissen in diesem sauberen System hierzulande nicht existieren. Fakelaki zu benennen heißt vor allem, dass über Korruption in Deutschland nicht gesprochen werden muss. Die Rangliste der Korruption von Transparency International stimmt dem auch zu. Ist es denn kleinlich festzustellen, dass die Korruptionsquote in Deutschland auch deshalb so niedrig liegt, weil sie dank Regierungsprogrammen wie "Moderner Staat - moderne Verwaltung" kanalisiert werden? Dabei handelt es sich um ein Programm, bei dem Angestellte aus der Wirtschaft in Ministerien arbeiten und bei Gesetzesentwürfen mitwirken dürfen, wobei sie weiterhin von ihrem Arbeitgeber aus der Privatwirtschaft bezahlt werden. Fakelaki anzumahnen und für falsch zu befinden, wäre ja eigentlich richtig - aber die Sprach- und Konnotationsregelungen im neoliberalen Deutschland machen, dass die Verurteilung von Fakelaki zur Gratulation der eigenen innerpolitischen und wirtschaftlichen Konstitution führen. Wie gesagt, es scheint wohl kleinlich zu sein darauf hinzuweisen, dass wir Fakelaki als Regierungsprogramm und als mittlerweile übliche Praxis in Ministerien haben.
Dafür gibt es viele Beispiele. Sagt man im Neoliberalismus, dass es den Menschen in Griechenland oder Spanien oder Portugal nicht gut geht, so sagt man eigentlich: In Deutschland geht es uns besser! Sagt man, im Sudan wird massenhaft gelitten, so besagt die Sprachregelung: Froh sein und Arbeit haben, das ist unser Glück! Sagt man, Putin ist ein Despot, so sagt man damit mehr, als man artikulierte, denn man sagt auch: Über Despoten sind wir hierzulande hinweg! Die Sprachregelung lehrt, dass was gesagt wird, immer auch anders begriffen werden kann. Sie ist stets die Regelung darüber, wie man zu empfinden hat - Worte und Sätze nähren oder töten, fördern oder würgen Gefühle.
Bleiben wir mal aktuell. Wenn man sagt, dass die Energiewende kostspielig wird, dann ist das keine Aussage, es ist die Einleitung zu einem lobbyistischen Programm, zu schüchtern gestellten Fragen, ob man nicht doch noch etwas am Atomstrom festhalten soll, ob man nicht zu blauäugig war. Jede Äußerung über den möglichen Preis einer solchen Wende, ist gleichzeitig schon das Einfalltor für die, die weiterhin an Reaktoren verdienen wollen. Der neoliberale Verständniskodex macht, dass objektive Aussagen zu dem Gegenteil affirmativen Satzfetzen werden.
Natürlich ist der Islam auch archaisch. Das kann man gar nicht leugnen. Vieles scheint nicht in die moderne Welt zu passen, wobei zu sagen ist: nicht in die moderne Welt, wie sie sich der Westen denkt. Nur kann man dergleichen wie mit den archaischen Affekten nicht sagen, ohne gleich Konnotationen wachzurütteln. Die lauten dann dergestalt, dass der Islam brutal sei, blutig und gewaltbereit, unaufgeklärt und freudlos, gemein und hinterlistig. Das Fremde ist immer das Schlechte - gerade dann, wenn dieses Fremde die Dreifaltigkeit aus Privatisierung, Deregulierung und Freihandel, also den Washington Konsens, nicht inbrünstig lebt. Im öffentlichen Diskurs des Neoliberalismus gibt es keine Abstufungen mehr, kritisiert man Aspekte innerhalb des Islam, so sagt man im Neoliberalen eigentlich damit: Der Islam ist ein Auslaufmodell und unserem westlichen Lebensentwurf gehört die Zukunft.
Bei Ingo Schulze findet sich eine Passage, die vortrefflich ausdrückt, wie die Sprach- und Verständnisregelung heute funktioniert. Er schreibt: "Heute wäre ich vorsichtig mit diesem Begriff. Nicht weil ich meine Meinung über das Gesagte geändert hätte, ganz im Gegenteil. Aber im politischen Kontext der Gegenwart und zweiundzwanzig Jahre nach dem Ende der DDR ist "Unrechtsstaat" eine zu undifferenzierte Beschreibung. Heute bedeutet er vor allem: Über einen Unrechtsstaat brauchen wir gar nicht erst zu reden, das hat sich erledigt!" Das ist auch der Grund, warum sich Linke weigern, den Begriff auf die DDR zu münzen - nicht nur, weil die DDR eben nicht vergleichbar war mit dem NS-Staat, wie man das teilweise schon lesen musste. Sondern eben auch, weil mit Verunrechtsstaatlichung der DDR gemeint ist, dass es in der heutigen BRD kein Unrecht mehr gibt. Die DDR ist der Prellbock, sie übernimmt das Unrecht und die Ungerechtigkeit in ihre Annalen und streicht sie von der gegenwärtigen Agenda des Neoliberalismus.
Wenn man im Neoliberalismus beispielsweise iranische Politiker kritisiert, dann kritisiert man nicht einfach aus neutraler Warte aus, man füttert mit solchen Äußerungen den ihm immanenten Imperialismus. Vergessen sei an dieser Stelle, dass man iranische Politiker kaum kritisieren kann, weil man im Neoliberalismus nie weiß, was wahr ist und was verwahrheitet wird, also zur Wahrheit modelliert - die Systempresse macht Kritik lächerlich, weil sie wahr sein kann oder nicht, weil man somit Wahrheiten kritisiert oder eben Redaktionsphantasien.
Er giert nach Aussagen, um daraus seine eigenen Wahrheiten zu stanzen; jede Aussage, selbst - und gerade! - eine neutral gemeinte, kann verwertet werden. Das neoliberale Weltbild ist eines, in dem alles verwertbar ist. Menschen sind es, Ressourcen sowieso - das Leid von Menschen kann Mehrwert bringen, Krankheit ohnehin. Mit leidenschaftsloser Verwertungsdenke reißt er sich selbst wertfreie Aussagen unter den Nagel und nimmt ihnen ihre Wertfreiheit, um sich wertvoll zu machen - wertvoll für die eigenen Absichten und Ziele, für die eigene Reinwaschung und Rechtfertigung, zur Selbstbestätigung und Relativierung seiner Schuld.
Der Neoliberalismus erlaubt und fördert daher nur Radikalopposition - Positionen, die dazwischen lavieren, arten stets zu seinen Gunsten aus. Er ist auf dem Feld der Worte und Sätze, was er materiell ist: ein Hegemon und Tyrann. Sagte man nun, dass auch der Kapitalismus Entwicklungen fixierte, von denen wir heute profitieren können, so sagt der Neoliberale darauf: Siehste, es gibt eben doch keine Alternative! Wer denkt schon noch an Marx, der den Kapitalismus als Vorstufe zur Vergesellschaftung ansah? Und wer denkt schon daran, dass der real existierende Entwurf seinerzeit diese Vorstufe nicht kannte, sie aber gebraucht hätte und ausgleichen musste? Das sind Prämissen, die die neoliberale Kommunikationsstrategie außerdem tunlichst totschweigt.
Die Sprach- und Kommunikationsregelungen in diesem System sind ein loses Gewirr an Stimmen, die abgeschnitten und dumpf klingen, die aufgreifen, was sie hören und darunter verstehen wollen. Es gibt keine Sprache im Neoliberalismus und es gibt dort auch keine Kommunikation - all das fühlt sich nur zuweilen so an. Es sind Fassaden von Verständigung mit einer Wirklichkeit, die es nur als Fassade gibt, nicht als Fundament.