Was machte den Mensch zum Menschen?

Von Lux
Heute, am Sonntag, gab es auf 3sat eine sehenswertes Interview der Neuen Züricher Zeitung (NZZ) mit dem Primatenforscher Carel van Schaik.
Ein Kernpunkt des Beitrages war die Frage des Unterschiedes zwischen Primaten und Menschen, oder was den Menschen zum Menschen machte.
Interessant finde ich das dahingehend, dass wenn wir wüssten was den Ausschlag für den Evolutionssprung hin zu unserer Spezies gegeben hat, wir Rückschlüsse auf unsere optimale Gesellschaftsform ziehen könnten. Es geht dabei um die Beantwortung der Frage des Primats in der Zivilisation. Was hat den Vorrang - Selbstverwirklichung oder Gemeinsinn. Ist die menschliche Gesellschaft vorrangig dazu da, dass ihren Individuen die Möglichkeit gegeben wird ein Maximum an Selbstverwirklichung zu erreichen oder ist sie dazu da, jedem die größtmöglichen individuellen Entwicklungsmöglichkeiten zum Wohle der gesamten Gemeinschaft einzuräumen. Oder vereinfacht: Ich vor Wir oder Wir vor Ich? Was liegt in der Natur des Menschen ?
Van Schaik führt aus, dass die Primaten aufgrund ihres großen Gehirns, des damit verbundenen hohen Energieverbrauches und der daraus resultierenden niedrigen Geburtenrate ständig am Abgrund des Aussterbens stünden. Beweis dafür seien die vielen verschwundenen Primatenarten. Doch was macht nun den Schritt zur Menschwerdung aus? 
Ist es die Erschaffung und Benutzung von Werkzeugen? Das machen Schimpansen auch. 
Ist es die Arbeit, die eine gewisse Lehre voraussetzt, also ein Anlernen und Weitergeben von Fertigkeiten, wie auch Friedrich Engels glaubte? Auch das schaffen Schimpansen. Sie begeben sich auf Bäume an deren Früchte sie mit bloßer Hand nicht kommen und benutzen Stöckchen um diese Früchte zu gewinnen. Andere Horden, die diese Fähigkeit nicht erworben haben, beachten diese Früchte nicht.
Ist es gemeinschaftliche, koordinierte Tätigkeit? Auch Schimpansen gehen gemeinsam auf die Jagt nach, z.B. anderen Affen.
Ist es die Kultur wie von vielen behauptet? Auch das kann man bei Schimpansen beobachten. Stirbt ein Hordenmitglied gibt es eine Art Abschied nehmen und Trauern in der Gruppe.
Was bisher ausschließlich bei uns Menschen beobachtet wurde ist die gemeinsame Aufzucht der Jungen. Stirbt die Mutter eines Schimpansenbabys ist dies in der Regel sein Todesurteil. Eine Art "Kindergarten" wurde bisher nicht beobachtet.
Was nichts anderes heißt, als dass die Ressourcen der Gruppe gebündelt werden um ein Ziel (möglichst viele Nachkommen "durchzubringen") zu erreichen. Zwangsläufig führte das zur Arbeitsteilung. Ich beschaffe Nahrung und teile sie mit denen die zu hause geblieben sind und auf den Nachwuchs aufgepasst haben. Dadurch wurde das Risiko des Verhungerns für den einzelnen minimiert auf Kosten der Abgabe von Souveränität an die Gruppe. Ich stelle meine Arbeit der gesamten Gruppe zur Verfügung und erhalte dafür Sicherheit bei persönlichen Unbilden wie Krankheit oder Behinderung. Die Älteste Versicherung der Menschheit und das Rezept der Menschwerdung überhaupt! So einfach, so genial!
Die Abgabe von Freiheiten des Einzelnen (Ich esse den Hasen nicht allein, sondern Teile ihn mit der Gruppe. So sind zwar alle nicht satt, aber die Anderen verhungern auch nicht, was eine höhere Erfolgsquote bei der nächsten Jagd verspricht. Oder anders herum, ich werde wohl heut nicht fett, überlebe aber dafür morgen.) 
So konnte die Anzahl der Individuen der Gemeinschaft stabil gehalten oder sogar erhöht werden. Die Überlebenschancen des Einzelnen als auch der Gruppe steigen. Einige Mitglieder konnten sich geistigen Tätigkeiten widmen (Schamanen) oder handwerklichen (Bogenbauer), überdurchschnittliche Produkte fertigen, die so der gesamten Horden Nutzen bringen. Eine absolute win-win Situation würde man wohl heute sagen.
Daraus meine Schlussfolgerung: 
In einer optimalen Gesellschaft muss der Einzelne seine Bedürfnisse hinter die der Gemeinschaft stellen. Egomanen sind ohne Diebstahl an den Ressourcen der Gemeinschaft nicht überlebensfähig. 
Jeder kann sich insofern selbst verwirklichen, wie er die Gemeinschaft dadurch nicht schädigt. Das Primat liegt nicht beim Individuum sonder bei der Gemeinschaft, in der alle die gleichen Rechte und Pflichten haben. Der Ertrag der Arbeit wird unter den Individuen gerecht verteilt. 
Was aber nun Gerecht ist, darüber will ich zu gegebener Zeit ein wenig philosophieren.
Eine schöne neue Woche
Uwe