“Das Gummiboot“ ist das bereits dritte Theaterstück des eigenwilligen Jungregisseurs und -autors Georg Lichtenegger. Darin suchen sechs Figuren unterschiedlicher Altersgruppen nach ihrer Daseinsberechtigung. Zum einen ist dort die Beamtin, welche in ihrem Beruf und der damit einhergehenden Verantwortung als vermeintliche Schaltstelle zwischen Gesetzgeber und Bürger voll auf zugehen scheint; daneben gibt es das steife, verklemmte und unterkühlte Paar, welches neue Spannung in seine Beziehung bringen möchte, in dem es eine Reise macht und zwar ausgerechnet zur kalten Arktis, – was ihrer Beziehung nicht gerade Feuer geben dürfte. Dann ist dort ein Junge, der kein Blatt vor den Mund nimmt und zum allgemeinen Ärger die von den Erwachsenen übernommenen, klugen Sprüche klopft. Sein Gegenspieler ist ein greiser Mann, welcher sich nur all zu gern an die alten Zeiten erinnert, als noch alles anders und besser war. Um sich auch heute zu Recht zu finden beschließt er den Namen einer anderen Person anzunehmen und landet schließlich, nachdem sein Favorit „Adolf Hitler“ abgelehnt wurde, bei „Claudia Schiffer“. Und zu guter letzt ist dort noch der Elektriker, welcher sozusagen die Rolle des Gärtners im typischen Kriminalroman übernimmt. Still werkelt er vor sich hin, ist aber letztlich im wahrsten Sinne des Wortes, der “Drahtzieher” des gesamten Geschehens. Denn er diagnostiziert eine Überlastung des Systems und fordert zu dessen Wiederherstellung, dass irgendjemand dieser sechs Figuren aus dem System verschwinden müsse, da „einer zu viel ist“. Nun beginnt eine Schlacht der Daseinsberechtigungen. Jeder der Figuren versucht zu erklären, warum gerade sie unverzichtbar sei. Schließlich findet sich als einzig, möglich abschiebbarer Kandidat der Junge. Er will also los zur Arktis, wird jedoch schließlich daran gehindert, da er ja kein Gummiboot habe und man ausserdem „die Jugend nicht wegschickt“. Also kommt auch er nicht in Frage. Und das System funktioniert immer noch nicht. Es scheint sich eine Sackgasse aufzutun, ehe man auf die Idee kommt den Elektriker fortzuschicken, – doch wer repariert dann den Defekt? In dieser Endlosschleife werden Generationenkonflikte („Früher wäre das nicht passiert“), Abhängigkeiten („Schließlich sind wir doch alle darauf angewiesen“), Identitätskrisen und zwischenmenschliche Beziehungen verhandelt. Letztlich mündet das Ganze in einen Wutausbruch des Elektrikers, der zum einen an der Technik (der Gesellschaft?) verzweifelt und zum anderen nicht genügend Anerkennung für seine Mühen bekommt. Um endlich an sein Ziel zu gelangen (der Rest kann sich nicht entscheiden), erschiesst er kurzerhand die Frau, – um sich dann letztlich selbst verärgert von der Gruppe abzusetzen. Es ist also das Nichtfunktionieren des (technischen bzw. gesellschaftlichen) Systems, welches die Figuren enthemmt und gleichsam eine existentielle Krise auslöst: Ohne ihm geht es nicht.
„Das Gummiboot“ spielt auf einem circa fünf Quadratmeter großem Podest, auf welchem sich die Schauspieler wie auf einem Floß zusammendrängen. Dieses – mit nur einer Stunde bemessene – kurze Stück braucht angenehm wenig szenischen Aufwand um die Funktionsmuster und Grundkonflikte einer Gesellschaft aufzuzeigen. Der Text wird von der „elektroakustische Musik“ von Sebastian Peter unterstützt, wodurch eine bizarre Atmosphäre geschaffen wird.
Lichtenegger beweist sich mit diesem Stück als ein sensibler Beobachter zwischenmenschlicher Beziehungen. Manchmal war es mir, als würde er die einzelnen Typen in Loriot‘scher Manier etwas zu plakativ und stereotypisch heraus arbeiten, andererseits grenzen sie sich auf diese Weise zumindest sehr stark voneinander ab und symbolisieren wohl auch die üblichen einfältigen Typen unserer Gesellschaft. Mit Humor und bitterem Ernst wirft dieses Stück letztlich Fragen auf: nach der Definition des eigenen Selbst, nach Notwendigkeiten und Abhängigkeiten unseres modernen Lebens; Fragen über Egoismus und die eigene Rolle in der Gesellschaft und über das Funktionieren in derselben. Eines jedoch scheint klar: Weglaufen bringt nichts und wenn die Arktis schmilzt sind wir eh verloren. Es gibt kein Heilsversprechen.
Für weitere Informationen und einen Trailer:
http://www.gummi-theater.de/