Als ich vor einigen Jahren in den einschlägigen Foren die ersten Rezepte mit Lievito Madre gesehen habe, hat mich das Thema maximal kalt gelassen. „Man kann ja nicht jeden Quatsch mitmachen“ habe ich mir damals gedacht, zumal der Aufwand zur Herstellung von Lievito Madre nach einer ersten Schnell-Recherche nahezu grotesk schien. Auf dem Radar aufgetaucht ist das Thema dann wieder durch Claudio vom Lieblingsblog Anonyme Köche, der auf Instagram immer mal wieder Fotos von sehr gelungenen Broten mit Lievito Madre postet.
Und so bin ich heute schlauer Denn erstens ist Lievito Madre, ohne Übertreibung, so etwas wie das ultimative Wunder-Tool für alle Sauerteig-Fans, die aufgrund beruflicher, sozialer oder sonstwelcher Verpflichtungen nicht die Zeit (oder die Lust haben), ihren kompletten Tagesablauf rund um das Brotbacken zu planen. Zweitens sorgt Lievito Madre für einen tollen Geschmack und phantastischen Ofentrieb – und damit für jede Menge Glück und Erfüllung für den (Hobby-)Bäcker. Und zum Dritten gibt es verschiedene gute Abkürzungen auf dem Weg zu einem triebstarken Lievito Madre. Um es kurz zu machen: ich habe meine Meinung über Lievito Madre gründlich revidiert – mit ersten personellen Konsequenzen: der Weizensauerteig wurde ehrenhaft entlassen und entsorgt. Das Bessere ist halt nach wie vor der Feind des Guten…
1. Worum geht es überhaupt?
Lievito Madre ist ein milder und sehr triebkräftiger Weizen-Sauerteig. Lievito Madre kommt ursprünglich aus Italien und bedeutet grob übersetzt „Hefemutter“ bzw. „Mutterhefe“. Es handelt sich also um eine sie! Lievito Madre hat eine deutlich andere Konsistenz als übliche Sauerteige. In einem Blog habe ich den Vergleich mit Marzipan gelesen – das kommt gut hin. Lievito Madre eignet sich besonders für helle Brotteigen (reine Weizenbrote sowie Weizenmischbrote) aber auch für Pizza und Focaccia. Ein echter Knüller ist sie übrigens auch in süßen Hefeteigen.
Lievito Madre hat, im Vergleich zu klassischem (Weizen-)Sauerteig, drei entscheidende Vorteile:
1.1 Vorteile
Enormer Ofentrieb: Das Rezept hat vor einigen Jahren über die einschlägigen Foren Einzug in diverse deutsche Hobby-Küchen gehalten und ist erstmals 2012/2013 von Hefeundmehr und Boularinchen ausführlicher verblogt worden. Dabei wurde auch vielfach darüber spekuliert, wo der schon fast sagenumwobene Ofentrieb herrührt. Abschließende Antworten dazu gibt es nicht. Einige meinen, es seien die besonderen Hefen im Honig dafür verantwortlich. Ich persönlich glaube, dass der Ofentrieb im Wesentlichen aus der niedrigen Teigausbeute, also dem geringen Anteil von Wasser im Verhältnis zum Mehl kommt. Für diese Annahme spricht übrigens auch die Tatsache, dass man Lievito Madre nicht nur mit Honig sondern auf mit frisch gepresstem Apfelsaft oder Hefewasser ansetzen kann. Am Ende des Tages ist die Frage aber eine rein akademische. Fest steht: vieeeeeeeeel (!) Ofentrieb.
Milder im Geschmack: Lievito Madre schmeckt anders als klassischer Weizen-Sauerteig. Grob kann man sagen: er ist milder. Für mich persönlich wirkt der Geschmack auf eine schwer zu beschreibende Art und Weise sehr authentisch italienisch.
Direkt aus dem Kühlschrank heraus verwendbar: Verwendet man Lievito Madre in Kombination mit Hefe, muss man den Sauerteig nicht aufwärmen. Man kann ihn direkt aus dem Kühlschrank verwenden.
Weniger zickig als (Weizen-)Sauerteig: Nach meiner persönlichen Erfahrung ist Weizensauerteig eine kleine Diva und deutlich anspruchsvoller in der Betreuung als z.B. Roggensauerteig. Lievito Madre ist da völlig anders. Er hält sein Volumen auch im Kühlschrank locker eine Woche und länger. Das Auffrischen ist viel einfacher als bei klassischem Sauerteig (s. unten).
1.2 Nachteile
Man muss ihn füttern: Im Gegensatz zu Hefe benötigt Lievito Madre eine gewisse Betreuung. Der notwendige Aufwand ist jedoch ziemlich übersichtlich (s. unten).
Will man ihn solo, also ohne Hefe oder Sauerteig verwenden, sollte man ihn aufwärmen und idealerweise auffrischen: Will man Brot ausschließlich mit Lievito Madre, sprich: ohne Hefe, backen, sind der Spontanität gewisse Grenzen gesetzt. Idealerweise nimmt man den Teig am Vortag Morgens aus dem Kühlschrank, lässt ihn tagsüber aufwärmen und füttert ihn über Nacht. Der Aufwand ist dabei begrenzt: alles in allem liegt der Netto-Arbeitseinsatz dafür bei maximal 10 Minuten.
2. Wie funktioniert es?
2.1 Ansetzen
„Viele Wege führen nach Rom“. Das gilt insbesondere für Sauerteige und dessen Derivate und Varianten. Ich habe in den vergangenen Monaten verschiedene Methoden ausprobiert. Es gibt einige, die einen Monat dauern (!). Es geht aber auch deutlich schneller.
Die drei aus meiner Sicht besten im Sinne von Erfolgswahrscheinlichkeit und Effizienz stelle ich Euch hier vor:
2.1.1 Die Apfelsaft-Methode nach Dietmar Kappl
Mit frisch gepresstem Apfelsaft entwickelt sich der Lievito Madre deutlich schneller als mit Honig. Die Methode gefällt mir sehr gut, denn sie ist relativ (!) schnell.
Schritt 1 – Anstellgut
Einen großen Bio-Apfel waschen und in einer Küchenmaschine zerkleinern. Das entstandene Fruchtpüree durch ein Sieb pressen. Ziel sind 30 g Apfelsaft.
Schritt 2 – Grundsauer
30 g Apfelsaft aus Schritt 1
120 g 550er Weizenmehl
45 g Wasser (40 – 50 Grad)
Apfelsaft, Mehl und Wasser mischen. Der Teig war bei mir ziemlich klebrig. Den Teig bei um die 28 Grad (Backofen, Lampe eingeschaltet, Tür einen Spalt offen) 24 – 30 Stunden reifen lassen. Das Volumen sollte sich verdoppelt haben.
Schritt 3 – n:
100 g Grundsauer
100 g 550er Weizenmehl
60 g lauwarmes Wasser
Alle Zutaten zu einem festen Teig kneten. 15 – 18 Stunden bei um die 28 Grad reifen lassen. Das Volumen muss sicher wieder verdoppeln. Dieser Schritt wird nun so oft wiederholt, bis der Grundsauer nur noch 3 – 4 Stunden zur Volumen-Verdopplung braucht. Ab dem Schritt, bei dem der Grundsauer nur noch etwas 12 Stunden zum Verdoppeln benötigt, reduziert man die Wassermenge auf 50g.
2.2.2 Die Hefewasser-Methode nach Brotdoc
Der Express. Keine andere Methode funktioniert annähernd schnell. Nachteil: man braucht vorher Hefewasser. Da das Hefewasser jedoch relativ einfach herzustellen und sowieso eine sehr (!) gute Idee ist, ist die Hefewasser-Methode aus meiner Sicht die beste.
Schritt 1 – Anstellgut
200 g Hefewasser
200 g 550er Weizenmehl
Wasser und Mehl mischen und 12 Stunden bei um die 28 Grad reifen lassen.
Schritt 2 & 3 – Grundsauer
200 g Anstellgut
200 g 550er Weizenmehl
100 g Wasser (40 – 50 Grad)
Alle Zutaten mischen und bei um die 28 Grad reifen lassen bis sich das Volumen verdoppelt/ verdreifacht hat. Das dauert 3 – 5 Stunden.
Das Ganze noch einmal, gegebenenfalls zwei Mal wiederholen. Der Grundsauer sollte nicht länger als drei Stunden brauchen um das Volumen zu verdreifachen.
2.2.3 Die Berufstätigen-Methode nach Brotdoc
Der Brotdoc hat sich dankenswerterweise die Mühe gemacht, die ursprüngliche Herstellungsmethode einer Beschleunigung zu unterziehen. Idealer Nebeneffekt: er hat die Methode so umgestrickt, dass sie für Berufstätige praktikabel ist. Da die Beschreibung ausgesprochen nutzerfreundlich ist (inkl. Zeitplan) und keine Fragen offen lässt, macht es wenig Sinn, sie hier zu reproduzieren. Deshalb: hier entlang!!
2.2.4 Operative Hinweise
- Bei allen getesteten Varianten (außer der mit Hefewasser) roch der Lievito Madre in den ersten Tagen dezent muffig, irgendwo zwischen alter Barbecue-Sauce und Ketchup. Dieser Geruch sollte euch nicht irritieren. Er verzieht sich nach einigen Tagen und macht einem sehr angenehmen, mild-säuerlichen Geruch Platz.
- Man sollte Gefäße verwenden, die schlank aber leicht zu reinigen sind. Gläser z.B., die sich nach unten oder oben verjüngen, wie z.B. Bügel-Gläser, sind nur beschränkt geeignet weil schlecht zu reinigen.
- Es gilt: Fünfe gerade sein lassen. Der Lievito Madre ist genügsam und verzeiht die meisten Abweichungen vom vorgeschriebenen Vorgehen.
- Temperatur ist King: die Varianten, die das Entwickeln des Lievito Madre bei Raumtemperatur vorsehen, haben bei mir nicht sehr gut funktioniert. Um dem Sauerteig Beine zu machen, sollte man ihm eine Temperatur zwischen 29 und 30 Grad gönnen.
2.2 Lagern
Lievito Madre hält sich im Kühlschrank locker für bis zu drei Wochen. Danach sollte man ihn auffrischen. Das erhält die Triebkraft und revitalisiert die „guten“ Bakterien und beugt damit Schimmel vor.
2.3 Auffrischen
Basis-Rezept Auffrischen
2 Teile Weizenmehl
2 Teile Lievito Madre
1 Msp. Honig (wenig nötig)
1 Teil Wasser 50 – 60 Grad
Alle drei Zutaten mit der Hand zu einem glatten elastischen Teig Kneten. Dann kreuzweise einschneiden, in ein passendes Gefäß geben und mit Frischhaltefolie abdecken. Dann gehen lassen. Die Lievito Madre sollte ihr Volumen verdoppeln, besser verdreifachen. Lässt der
Bei 30 Grad im Backofen mit eingeschalteter Lampe dauert das 2 – 4 Stunden, bei Zimmertemperatur entsprechend länger. Ich stelle den Teig in der Regel Abends gegen 10 Uhr in den Ofen mit eingeschalteter Lampe. Wenn ich gegen 11.30 Uhr ins Bett gehe, stelle ich die Lampe aus. So fällt die Temperatur im Backofen langsam von um die 30 Grad auf Raumtemperatur. Am nächsten Morgen ist der Lievito Madre dann perfekt.
Bei Bedarf, meint: wenn die Lievito Madre triebmäßig schwächeln sollte, kann man eine Messerspitze Honig dazu geben.
Schritt 1: Mehl, Wasser und Anstellgut mischen.
Die Zutaten grob mischen – mit der Teigkarte klappt das gut und schnell
Den Teig kneten – am besten mit dem Handballen. Das dauert 3 – 4 Minuten.
Dann den Teig glatt kneten, rund wirken und kreuzweise einschneiden.
Dann in ein passendes Gefäß verfrachten, warm stellen und abwarten…
Voilà. Fertig
2.4 Verwenden
2.4.1 Brot & Brötchen ausschließlich mit Lievio Madre
Für Brote, die ausschließlich mit Lievito Madre gebacken werden, sollte man den Lievito Madre am Vortag füttern (siehe oben).
Dann ersetzt man von der im Original-Rezept ausgewiesenen Mehl-Menge einfach 20-30 Prozent durch Lievito Madre. Ansonsten ändert sich nichts.
Die Wasser-Menge aus dem Original-Rezept kann gleich bleiben.
2.4.2. Brot & Brötchen mit Lievito Madre und Hefe
Verwendet man Lievito Madre in Kombination mit Hefe, kann man den Lievito Madre direkt aus dem Kühlschrank zum Teig geben. Dafür ersetzt man 10 – 15% des im Rezept angegebenen Mehls durch Lievito Madre. Sonst ändert sich nichts.
Zum Rezept…
Als Ausgangsbasis habe ich das Ciabatta-Rezept von Besondergut verwendet – eine tolle neue Blog-Entdeckung aus der Schweiz. Ich habe das Rezept auf Lievito Madre umgestellt.
Vorteig
250g Wasser
250g 550er Weizenmehl
0,3g Frischhefe
Alle Zutaten mischen und 18 – 24 Stunden bei Zimmertemperatur reifen lassen. Der Vorteig sollte dann mit unzähligen kleinen Bläschen überzogen sein.
Hauptteig
Vorteig
260 g Wasser
200 g Lievito Madre
280 g 550er Weizenmehl
5 g Hefe
16 g Salz
Alle Zutaten (bis auf 50 g Wasser) mischen und 8 Minuten im Thermomix auf der Knetstufe kneten. Nach 4 – 5 Minuten langsam den Rest des Wassers dazu geben. Der Teig wird sehr klebrig und flüssig. Er löst sich nur leicht vom Schüsselrand.
Den Teig in eine Teigwanne oder große Auflaufform geben und abgedeckt 45 Minuten ruhen lassen. Dann drei Mal alle 45 Minuten dehnen und falten. Durch Dehnen und falten legt der Teig deutlich an Struktur und Spannung zu.
Nach dem zweiten Dehnen und Falten den Ofen auf volle Pulle vorheizen.
Dann den Teig vorsichtig auf eine gut bemehlte Arbeitsfläche stürzen und sanft zu einem Viereck formen. Mit einer Teigkarte aus dem Viereck vier Teiglinge abstechen und idealerweise in ein gut bemehltes Bäckerleinen geben. Wer kein Bäckerleinen hat, nimmt Trockentücher.
Nochmal mindestens 30 Minuten ruhen lassen.
Dann jeweils zwei Ciabatta bei 250 Grad im Dampf insg. 25 Minuten backen.
Nach 10 Minuten den Dampf ablassen und die Temperatur auf 220 Grad runterstellen.
5 Minuten vor Ende die Backofentür einen Spalt weit öffnen – so wird die Kruste besonders knusprig.