Nachhaltigkeit ist in aller Munde - auch in der Stadtentwicklung bemühen wir uns um Nachhaltigkeit. Doch was ist das eigentlich? Auf welchen Grundlagen basiert der Begriff "Nachhaltigkeit" in einer urbanen Umgebung? Und wie messe ich Nachhaltigkeit? Viele Fragen und keine eindeutigen Antworten. Einige wissenschaftliche Ansätze zur Nachhaltigkeit in Städten stellt die Geozentrale hier vor.
Das UN-Habitat Programm für nachhaltige Städte definiert sie als „Städte in denen Erfolge in der sozialen, ökonomischen und physischen Entwicklung langfristig erhalten werden“.
Aufbauend auf den drei Säulen der Nachhaltigkeit, nämlich ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit, werden für urbane Nachhaltigkeit drei Grunddimensionen festgelegt: Ökonomische Effizienz bei der Nutzung von Entwicklungsressourcen, soziale Gerechtigkeit in der Verteilung von Entwicklungserfolgen und deren Kosten, sowie die Vermeidung von Entwicklungen, die zukünftige Generationen belasten. Die Autoren Hall und Pfeiffer haben diesen Rahmen der Nachhaltigkeit erweitert und eine Reihe von Schlüssel-Dimensionen nachhaltiger Stadtentwicklung erarbeitet:
Sustainable Urban Economy: Work and Wealth
Sustainable Urban Society: Social Coherence and Social Solidarity
Sustainable Urban Environment: Stable Ecosystems
Sustainable Urban Shelter: Decent Affordable Housing for All
Sustainable Urban Access: Resource-Conserving Mobility
Sustainable Urban Life: Building the Liveable City
Sustainable Urban Democracy: Empowering the Citizenry
Dabei ist Nachhaltigkeit kein statischer Zustand sondern dynamisch, ständige Anpassungen an sich ändernde Umweltbedingungen sind notwendig. Um diese Anpassungsfähigkeit zu erreichen müssen die menschlichen Bedürfnisse in ein Gleichgewicht mit den Kapazitäten des globalen Systems gebracht werden. Außerdem muss beachtet werden, dass nachhaltige Entwicklung ein systemisches Konzept darstellt, bei dem die Interaktionen und Interdependenzen zwischen verschiedenen Ebenen der Nachhaltigkeit beachtet werden müssen.
So beeinflusst die jeweilige Umwelt die Nachhaltigkeit an einem gegebenen Ort. Nicht nur naturräumliche Gegebenheiten, auch kulturelle Unterschiede müssen in jeder sinnvollen Betrachtung zu Nachhaltigkeit beachtet werden. Die Frage was menschliche Bedürfnisse heute und morgen alles beinhalten, welche legitim und welche verzichtbar sind, ist kulturell und individuell unterschiedlich.
Ein Ansatz zur Festlegung von Prioritäten der verschiedenen Nachhaltigkeitsdimensionen von Isabelle Whitehead gibt eine erste Orientierungshilfe: Sie ordnet die drei Haupt-Dimensionen in hierarchischer Ordnung mit der ökologischen Komponente als höchster Priorität. Soziale und ökonomische Aspekte sind abhängig von der natürlichen Umgebung, während die natürliche Umgebung keine der beiden anderen Dimensionen bedingt. Innerhalb der einzelnen Dimensionen lässt auch Whitehead unterschiedliche Perspektiven zu:
Der ökologischen Aspekt der Nachhaltigkeit basiert nach Whitehead einerseits auf der Analyse des ökologischen Fußabdrucks (einer Siedlung), andererseits dem Konzept des Bioregionalismus, welches nur eine Stadt, die mit den lokal gegebenen Ressourcen auskommt als nachhaltig einstuft. Die soziale Dimension der urbanen Nachhaltigkeit wird aufgrund des Wohlstands und der demographischen Entwicklung der Bevölkerung bewertet. Ökonomische Nachhaltigkeit wird einerseits aus einer neoliberal-kapitalistischen (mit der Betonung auf der Produktivität) und andererseits aus einer marxistisch-sozialistischen Perspektive (Schwerpunkt ist hier die Fähigkeit der Distribution des ökonomischen Wohlstands) betrachtet.
Aufgrund dieser zahlreichen perspektivischen Konflikte fordern Arlt und Siedentop (in Brake, Richter 1995) eine „prinzipiell unabgeschlossene Diskurskette“ zum Verständnis der Ansprüche heutiger und zukünftiger Generationen und eine besondere Berücksichtigung der Fristigkeit bzw. Betroffenheit sämtlichen Handelns. Dementsprechend beinhalten ihre Bewertungskriterien für nachhaltiges Handeln sieben Dimensionen zur Langzeitbelastung zukünftiger Generationen: Reversibilität, Regeneration, Substituierbarkeit, räumliche Betroffenheit, zeitliche Betroffenheit, gesellschaftliche Betroffenheit und physische/psychische Betroffenheit.
Die ersten Projekte zu vollständig nachhaltigen Städten oder Stadtvierteln sind bereits auf dem Weg und werden in den beiden Videos (oben) vorgestellt, bzw. beworben. Bereits bestehende Siedlungen werden anhand von Indikatoren, die aus dem Agenda-21 Prozess hervorgehen auf ihre Nachhaltigkeit überprüft. Die Diskussion über echte Nachhaltigkeit im urbanen Kontext dürfte trotzdem noch eine Weile weitergehen.
Für diejenigen, die sich noch tiefer in das Thema einarbeiten möchten, kommt hier noch eine kleine
Literaturliste:
BRAKE, K UND URSULA RICHTER (1995): Sustainable urban development : Ausgangsüberlegungen zur Theorie einer nachhaltigen Stadtentwicklung - Dokumentation der 1. Projektwerkstatt, Referat für Stadtplanung und Bauordnung, München
CAMPBELL, S. (1996): Green Cities, Growing Cities, Just Cities? – Urban Planning and the Contradictions of Sustainable Development, in: Journal of the American Planning Association 62 (3): 296-312
HALL, P. UND U. PFEIFFER (2000): Urban Future 21 – a global agenda for twenty-first century cities, London.
UN-Habitat (2006): Sustainable Cities Programme 1990-2000 - A Decade of United Nations Support to Broad-based Participatory Management of Urban Development, hier.
WHITEHEAD I. (2006): Models of Sustainability? A comparative analysis of ideal city planning in Saltaire and Masdar City, hier.
WIKAN, U. (1995): Sustainable Development in the Mega City in: Current Anthropology 36 (4): 635-655