Was ist der Frauentag? Ist er heute wirklich noch notwendig?

Lenins enge Mitstreiterin Alexandra Kollontai warf im Jahre 1913 – eine Woche vor dem “Tag der internationalen Solidarität der Arbeiterinnen” am 8. März – in einem Prawda-Artikel die rhetorische Frage auf, ob es eines solchen Tages überhaupt bedürfe.

Alexandra Kollontai

Alexandra Kollontai

Alexandra Kollontai (1872 – 1952) wurde im Ergebnis der russischen Oktoberrevolution die weltweit erste Ministerin. In Deutschland erfolgten Berufungen von Frauen in Ministerämter erst 1952 und 1953 (in der DDR) bzw. sogar erst 1961 (BRD). Mit ihrer Ernennung zur sowjetischen Gesandten in Norwegen im Jahre 1923 wurde Alexandra Kollontai die erste akkreditierte Diplomatin weltweit, später folgten noch ihre Akkreditierungen in Mexiko und von 1930 bis 1945 in Schweden.

In oben erwähnten Artikel schrieb die russische Revolutionärin und Frauenrechtlerin u.a.: “Was ist der Frauentag? Ist er wirklich notwendig? (…) Der Frauentag ist ein Glück in der langen, soliden Kette der proletarischen Frauenbewegung. (…) Frauen werden ja nicht nur als Verkäuferinnen ihrer Arbeitskraft, sondern auch als Mütter, als weibliche Wesen unterdrückt.”

Sie geht dann auf den Unterschied in der Frauentagsfrage zwischen der sozialistischen Frauenbewegung und den bürgerlichen Suffragetten ihrer Zeit ein (heutzutage könnte man jene mit den “emanzipatorischen” Alice-Schwarzer-Jüngerinnen vergleichen):

“Nur jene, welche den radikalen Unterschied zwischen der Bewegung sozialistischer Frauen und bürgerlichen Suffragetten nicht begreifen, können so fragen. Was ist das Ziel der Feministinnen? Sie setzen sich für dieselbe Machtfülle innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft ein, wie sie ihre Ehemänner, Väter und Brüder besitzen.

Was ist aber das Ziel der Arbeiterinnen? Ihnen geht es um die Beseitigung jeglicher Privilegien, die sich aus Geburt oder Reichtum ergeben. Der arbeitenden Frau ist es egal, ob ihr Chef ein Mann oder Frau ist.

Feministinnen fordern abstrakt gleiche Rechte immer und überall. Arbeiterfrauen erwidern: Wir fordern Rechte für jeden Bürger, egal ob Mann oder Frau. Aber wir vergessen dabei nicht, daß wir auch Mütter sind. Deshalb fordern wir den besonderen Schutz des Staates und der Gesellschaft für unsere Kinder.

Die Feministinnen wollen politische Rechte erringen. Doch auch hier trennen sich unsere Wege. Für bürgerliche Frauen sind diese erstrebenswert, um so bequemer und sicherer ihren Weg in der auf Ausbeutung beruhenden Welt gehen zu können. Für Arbeiterinnen aber bedeuten sie einen Schritt auf dem felsigen und schwierigen Pfad, der zum ersehnten Reich der von Ausbeutung befreiter Arbeit führt. (…) Es besteht ein enormer Unterschied zwischen arbeitenden Frauen und den besitzenden Ladies, der Unterschied zwischen einer Dienerin und ihrer Herrin.”

Diese Worte haben auch 100 Jahre nach ihrer Niederschrift nichts von ihrer Aktualität verloren. Und ein internationaler Tag der Frauensolidarität und der Solidarität zwischen Frauen und Männern ist heute sogar notwendiger denn je. Denn wie sieht es trotz formaler verfassungslyrischer Gleichberechtigung (nicht nur) in Bundesdeutschland aus?

Die “Feministinnen” von heute fordern Frauenquoten für die Aufsichtsräte monopolkapitalischer Konzerne und feiern Sprach- und Schriftverhunzungen (wie Setzungen von I, _ oder * im Plural von Worten) als Zeichen der Emanzipation. Und sie freuen sich, wenn jetzt auch Frauen mit der Waffe in der Hand in Aggressionskriege ziehen dürfen oder gar die dafür zuständigen Ministerinnen stellen zu dürfen.

Lohn- oder gehaltsabhängige Frauen fordern im Gegensatz dazu gleichen Lohn für gleiche (und existenzsichernde) Arbeit von Mann und Frau. Sie fordern von staatlichen Behörden ihre Behandlung als selbständige Individuen mit eigenständigen Rechten ein, anstatt z.B. zum Teil einer “Bedarfsgemeinschaft” mit männlichem Haushaltvorstand degradiert zu werden. Dazu gehören auch Forderungen nach eigenständigen Rentenansprüche oder die Abschaffung des allein gehobene bürgerliche Kreise bevorzugenden steuerlichen Ehegattensplittings.

Ein Internationaler Frauentag zur Durchsetzung von sozialen und politischen Rechten, von Menschen- und Frauenrechten ist also auch 2014 immer noch notwendig.

Siegfried R. Krebs

[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]


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