Quelle: Helmut Mühlbacher
Ihr Lieben,
heute möchte ich Euch eine Geschichte von Irma Humbacherzählen:
„Schätze, die man nicht kaufen kann“
„Am Strand des Meeres hatte der junge Fischer Li seine Netze zum Trocknen aufgehängt. Als er am frühen Morgen aus der Hütte trat, sah er mit Erstaunen, dass sich ein riesiger Vogel in den Netzen verfangen hatte.
Nachdem Li die Netze von allen Seiten sorgfältig mit Steinen beschwert hatte, überlegte er, was er mit dem sonderbaren Tier machen könne. Da sprach der Vogel mit menschlicher Stimme: „Höre, Fischer, wenn Du mir meine Freiheit wiedergibst, werde ich Dich reich belohnen.“
Erschrocken befreite Li den Vogel aus den Netzen, worauf dieser ihn aufforderte, auf seinem Rücken Platz zu nehmen. „Ich werde Dich zu einer Schatzinsel bringen, dort kannst Du Dir aussuchen, was Du haben willst.
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Bedenke aber, dass ich nicht mehr tragen kann als zweimal das Gewicht eines Mannes! Wenn Du mehr mitnimmst, dann muss ich Dich mit Deinen Schätzen in das Meer werfen.“Nach einem langen Flug landete der Vogel endlich am Strand einer kleinen Insel. Das ganze Ufer war übersät mit Goldstücken, Münzen, Ringen und Armreifen. Dahinter lagen Hügel von Perlen, Diamanten, Rubinen, Smaragden und anderen kostbaren Edelsteinen, sodass Li geblendet die Augen schließen musste.
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„Wähle von den Schätzen aus, was Dir gefällt“, ermutigte ihn der Vogel. „Ich fliege jetzt fort und hole Dich bei Sonnenuntergang wieder ab. Du hast also Zeit, alles zu betrachten und in Ruhe zu überlegen, was Dir am besten zusagt.“ Dann breitete er seine mächtigen Schwingen aus und flog davon.Zuerst war Lie wie betäubt von dem Glanz der Kostbarkeiten um sich herum. Er konnte nicht den Fuß setzen, ohne auf Gold, Edelsteine oder Perlen zu treten. Nirgend war auch nur ein kleines Stück Erde zu erkennen, so hoch waren die Schätze angehäuft.
Bald schüttelte der junge Mann seine Befangenheit ab und streifte auf der Insel umher. Seine Gedanken beschäftigten sich mit der Auswahl der Dinge, die er mitnehmen wollte: Gold, Gold, Gold!
Während Li seine Wahl traf, erklang plötzlich hinter ihm ein höhnisches Gelächter. Als er sich umdrehte, stand vor ihm ein älterer Mann. Seine Kleidung bestand nur auf armseligen Lumpen. Sein Gesicht war durchfurcht von Gram. Inmitten dieser Kostbarkeiten wirkte dieser von Leid gebeugte Mensch wie ein Spuk.
„Bist Du auch gekommen, um mich von diesem Kram zu erlösen?“, fragte er. „Nimm nur recht viel davon mit, damit ich eine Hand voll Boden freibekomme, auf dem ich etwas Grünes pflanzen kann.“
Li verstand nicht, was der Mann meinte. Da nahm ihn der Mann mit zu seiner Hütte, die aus reinem Gold erbaut war. Vor der Hütte hatte der Mann in mühseliger Arbeit das Gold und die Edelsteine beiseite geräumt. Eine winzige Fläche, nicht größer als eine halbe Hand, war frei geworden.
Erst jetzt fiel Li auf, dass auf der Insel kein Baum, kein Strauch, keine Blume wuchs. Weder das Summen einer Biene noch das melodische Rieseln eines Baches unterbrachen die unheimliche Stille. Nut das Flimmern und Glitzern der Kostbarkeiten ringsumher. Toter Glanz!
Müde setzte sich der Fremde auf den Boden und erzählte Li seine Geschichte: Vor zwanzig Jahren hatte ihn der Vogel auf die Insel gebracht. Seine Gier nach den Schätzen hatte ihn so genarrt, dass er den Vogel bat, hierbleiben zu dürfen, um immer bei den Reichtümern sein zu können. Obwohl der Vogel ihn warnte, dass er dann die Insel nicht mehr verlassen könne, beharrte er auf seinem Wunsch.
Zuerst hoffte er, dass eines Tages ein Schiff vorbeikommen würde und ihn mit einem Teil der Schätze an Nord nähme. Aber seine Hoffnung trog. Später verwünschte er seine Habgier, denn das Leben auf der Insel wurde ihm zur Hölle. Der Vogel brachte ihm zwar täglich Nahrung, doch bleib er taub, wenn er ihn bat, seine Gefangenschaft auf der furchtbaren Insel zu beenden.
Nun hätte er gern den goldenen Käfig verlassen, ohne das Geringste mitzunehmen.
Bettelarm in die Heimat zurückzukehren, schien ihm das größte Glück seines Lebens zu sein.
Hin und wieder brachte der Vogel einen Menschen mit, der, mit Beute beladen, bei Sonnenuntergang heimkehrte. Er allein musste bleiben.
Erschüttert hörte sich der junge Fischer die Geschichte des Mannes an. Dann versank er in tiefe Gedanken. Er sah jetzt die Kostbarkeiten mit den Augen des Leidgeprüften und sie verloren ihren Wert. Endlich stand er auf und lächelte.
„Willst Du jetzt Deine Auswahl treffen?“, fragte die müde Stimme an seiner Seite. „Es wird Zeit, der Vogel wird bald kommen.“ „Ich habe meine Wahl schon getroffen“, antwortete Li und das Lächeln um seine Lippen vertiefte sich. Da nickte der Fremde und wandte sich ohne Fragen ab.
Kurz darauf wurde das Rauschen der Schwingen hörbar. Der Vogel näherte sich der Insel. Da fasste Li nach der Hand des alten Mannes und bat ihn: „Bleib bei mir.“
Verwundert sah der Fremde in das Gesicht des Fischers. „Fürchtest Du Dich? Der Vogel wird Dich sicher und gesund heimbringen. Er hält sein Wort:“
Li schüttelte den Kopf. Er eilte dem Vogel entgegen.
„Wo hast Du denn Deine Last zusammengetragen?“, fragte dieser. „Wir müssen uns beeilen.“ Da wandte sich LI um und legte die Hand auf die Schulter des alten fremden Mannes.
„Hier ist meine Last. Du hast mir erlaubt, einen Schatz im Gewicht eines Mannes zu wählen. Ich wähle den Gefangenen.“
„Kommt“, antwortete der Vogel, „Du aber, Li, bist der Erste, der mich nicht enttäuscht hat. Der Glanz des Goldes und der Edelsteine vermochte nicht, die Stimme Deines Herzens zu betäuben. Du hast Recht. Das Herz eines Menschen ist mehr wert als alle Kostbarkeiten dieser Welt.“
Heil brachte der Vogel die beiden zurück; sie bleiben beieinander und Li sorgte für den alten Mann. Immer wenn er zum Fischfang hinauszog auf das Meer, kehrte er mit reichem Fang zurück.
In seiner Tätigkeit lag der Segen seines Lebens und er erkannte, dass er den größten Schatz erworben hatte, als er die Edelsteine und das Gold auf der Schatzinsel verschmähte.“
Ihr Lieben,
als ich diese Geschichte las, war ich innerlich hin und her gerissen:
Eine Stimme in mir sagte: „Der alte Mann auf der Insel ist doch selbst schuld. Er hat sein Schicksal selbst zu verantworten. Es wäre doch ganz toll, von der Insel so viel Gold und Edelsteine mitzunehmen, wie ein Mann wiegt. Wie Gutes könnte man damit tun!“
Eine andere Stimme in mir aber sagte:„Es geht in dieser Geschichte darum, zu erkennen, dass jeder Mensch wichtiger und wertvoller ist als alles Gold und alle Edelsteine dieser Welt.“
Ich glaube, die zweite Stimme in mir hat Recht.
Wie ich schon des Öfteren betont habe, habe ich nichts dagegen, wenn jemand reich und wohlhabend ist. Entscheidend ist für mich, was wichtiger ist im Leben der Menschen: Der Reichtum oder das Leben eines Menschen?
Manche Menschen kommen mir vor wie Menschen auf der Flucht.
Nie kommen sie ganz zur Ruhe, sie sind sie ganz glücklich, nie ganz fröhlich.
Immer sind sie der Meinung, dieses oder jenes noch haben zu müssen, um dann endlich ruhig, glücklich und fröhlich zu sein. Aber die Erfüllung jedes Wunsches bringt gleich einen neuen Wunsche hervor. Und so finden diese Menschen kein Ende Ihrer Wunschkette und jagen dem Glück, der Ruhe und der Fröhlichkeit hinterher.
Diesen Menschen möchte ich zurufen, mach Dich frei von der Sklaverei des „Habenmüssens“, erkenne, dass das Glück nicht darin liegt, alles zu besitzen, sondern zur Ruhe zu kommen, sich und anderen Menschen Freude zu bereiten und das Glück, das auf Dich bereits wartet, zu genießen.
Ich wünsche mir für diese letzten drei Monate des Jahres, dass wir uns wieder mehr auf die Menschen neben uns, die Menschen in unserer Nachbarschaft und die Menschen, die uns täglich begegnen, besinnen und diesen Menschen Freude, Liebe, Zuwendung, Hoffnung, Zuversicht, Hoffnung und Ermutigung schenken.
Wenn wir so handeln, werden wir selbst sehr glücklich werden und wir werden manchem Menschen das Leben „retten“, indem wir ihm ermöglichen, ein Leben in Hoffnung und Zuversicht zu führen.
In diesem Sinne gilt für mich der alte Satz aus dem Talmud:
„Wer auch nur einen einzigen Menschen rettet, rettet die ganze Welt.“
Lasst uns gemeinsam viele Menschen retten.
Lasst uns gemeinsam Liebe schenken.
Lasst uns gemeinsam die Menschen ermutigen.
Lasst uns gemeinsam Freude verbreiten.
Lasst uns gemeinsam Menschen das Leben „retten“, indem wir ihnen helfen, fröhlich ihren Weg Schritt für Schritt vorangehen zu können.
Ich wünsche Euch einen heiteren unbeschwerten Abend und grüße Euch herzlich aus Bremen
Euer fröhlicher Werner
Quelle: Karin Heringshausen