Was ich von den anderen lernte

Frédéric Gies ist eine Ausnahme im Tanzbusiness. Einer jener raren Tänzer und Choreografen, die sich  bewusst sind, dass ihre Arbeit von verschiedenen Tänzerinnen und Tänzern vor ihnen beeinflusst wurde. Darüber hinaus versteckt Gies  dieses Wissen aber nicht schamhaft, sondern breitet es vor seinem Publikum aus, um ihm einen Einblick in seinen künstlerischen Werdegang zu gewähren.

In seiner Performance „walk + talk“, die im MUMOK während des Impuls-Tanz-Festivals stattfand, tut er nicht genau das, was der Titel verkündet. Denn in der guten Stunde geht der Künstler nicht ruhig vor dem Publikum auf und ab, sondern er tanzt und spricht währenddessen. Ein sehr atemberaubendes Unterfangen. Wer dies nicht glaubt, möge selbst einige wenige Tanzschritte absolvieren und währenddessen sprechen.

Mit meist grazilen Bewegungen, die Arme oft hoch – oder seitlich vom Körper gestreckt, mit einer Mischung aus klassischen und zeitgenössischen Ballett-Schritten, tanzt er durch den Raum und erinnert sich an seine wesentlichen, für seinen Lebensweg wichtigen Vorbilder, die er nur beim Vornamen nennt. Dominique (Bagouet) ist eines davon, Olivia und Bernard, die mit Bagouet tanzten, sind andere. Dazu kommen noch Julia, Allister und Kristina, sowie ein ungenannter Freund, den der Techno-Begeisterte in einem Club in Berlin kennenlernte.

Was ich von den anderen lernte

Frédéric Gies „walk + talk“ (Foto: Thomas Zamolo)


Von Letzterem fühlte er sich derart angezogen, dass er mit diesem nach dem Kennenlernen, das er sehr minutiös beschreibt, so als könne er sich noch genau an jede Minute daran erinnern, dessen Geschlechtsteil mit beiden Händen umfasst und in der Hitze der Techno-Nacht auf diese Weise tanzt.

Der vollbärtige Tänzer, bekleidet mit einem schwarzen Leinen-Damen-Sommerkleid, schafft nicht nur eine Öffnung seiner Tanzdramaturgie zum Publikum hin, er lässt es auch intensiv an seinen Emotionen teilhaben. Dennoch bleibt einiges offen interpretierbar, vor allem die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Tanzstile. Erahnen kann man sie, da Gies tatsächlich neue Bewegungsformen in seine Choreografie einfließen lässt, sobald er über eine andere Tanzbegegnung spricht. Er verbindet jedoch dies alles so gekonnt zu einem fließenden Ganzen, dass man meint, dass nichts von dem, was er zeigt, „Geborgtes Formenvokabular“ ist.

Mit Steve Cohen, der zuvor schon im Museum Leopold zu sehen war, verbindet ihn letztlich auch das rigorose Coming-out seiner sexuellen Präferenz, die er offen anspricht.

Walk + talk“, ein Format, das Philipp Gemacher zuerst in Wien zeigte, erweist sich als lustvolle Nachhilfestunde im Bereich zeitgenössischer Tanz. 


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