Was für die Finanzmärkte unvorstellbar ist, ist im Gesundheitssystem Realität: Der Deckel
Vereinzelt soll es ja noch die strammen Neolibs geben, die an einer Selbstregelung des Marktes glauben; aber eschatologische Lehren sind offenbar unausrottbar.
Die Rufe nach regulatorischen Eingriffen (meist durch den ansonsten abgelehnten Staat) in das freie Spiel von Angebot und Nachfrage kommen immer erst wenn das Pyramidenspiel der Finanzmärkte platzt: Dann wirft man den staatlichen Autoritäten Säumigkeit vor, da sie den Predigern der zweistelligen Profitraten nicht ins Gewissen (LOL) geredet haben. Davor wurde lautstark „Mehr Privat, weniger Staat“ skandiert.
Wenn es um die Hütchenspiele der (Finanz)Märkte geht, huldigt man August von Hayek (http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_August_von_Hayek) und tanzt zu Cole Porter (http://de.wikipedia.org/wiki/Cole_Porter) „Anything goes“.
Wenn es um Lohnnebenkosten (für Erwerbstätige heißt das Gesundheitsausgaben, Pensionsbeiträge, Pflegegeld, …) und staatliche Budgets geht, misst man mit einem anderen Maß und ruft seit Jahren nach „Bremsen“.
Gesundheitsökonomen predigen seit Jahren, dass die angebotsinduzierten Nachfrage am Markt der „Gesundheitsdienstleister“ zu einem unbeschränkten Kostenwachstum führen muss, und fordern „Kostenbremsen“.
Als Argument wird angeführt, dass die Pro-Kopf- Ausgaben mit steigender Ärztedichte ansteigen, da Ärzte (in Ordinationen und Instituten) ihr Einkommen maximieren, indem sie einfach mehr Leistungen anbieten. Dass dies ohnehin nicht so leicht möglich ist, da selbst evidenzbasierte Diagnoseverfahren (z.B. PET beim nicht-punktablen Lungenrundherd) und viele Therapien nicht refundiert werden, weil sich der Hauptverband dagegen sträubt, wird verschwiegen, dass vieles daher von den Patienten aus eigener Tasche bezahlt wird (noch 5 physikalische Behandlungen, weil die nicht mehr von der Kasse übernommen werden), wird stillschweigend akzeptiert, ebenso, dass das Gehalt angestellter Ärzte ohne „Klassegelder“ international noch weniger kompetitiv wäre.
Andererseits ist der „Bedarf an Gesundheitsdienstleistung“ auch für manche Patienten nicht sättigbar. Die Gründe sind mannigfaltig und reichen vom Hypochonder, der sich immer wieder vom System überzeugen lassen will, dass er gesund ist, über die Vereinsamten, für die der Arztbesuch den Hauptteil ihrer Sozialkontakte darstellt, bis zum kritischen Patienten, der prinzipiell mindestens drei Ärzte befragen möchte, weil er den Generalverdacht hegt, dass sein Gesundheitsproblem so schwierig ist, dass es nur durch eine Mehrheitsentscheidung zu lösen ist.
Das Ganze hat nur auf den ersten Blick schon eine „schwäbische“ Logik, denn:
Erstens handelt es sich beim Gesundheitssystem nicht um einen „klassischen Markt“:
In noch viel größerem Ausmaß als an der Börse besteht kein freier Informationsfluss (naturwissenschaftlich basierte Medizin erfordert eine jahrelange Ausbildung und praktische Schulung) und die Bestimmung des Warenwertes „Gesundheitsversorgung“ ist komplex: Der Patient weiß vielleicht, was er gerne hätte („Kuraufenthalt“), ob das auch seinem Gesundheitszustand zuträglich ist („Kurschatten“) mag bezweifelt werden.
Zweitens hängt in unserem System der finanzielle Zufluss in das Gesundheitssystem (im Wesentlichen die Krankenversicherungsbeiträge der beschäftigten Arbeitnehmer und -geber, Steuereinnahmen) primär von der Wirtschaftsleistung (BIP) und nicht vom Bedarf ab.
Drittens kann man Geld, das man nicht hat, auch nicht wirklich nicht ausgeben, da hat die schwäbische Hausfrau und die deutsche Physikerin im Kanzleramt nicht unrecht.
Ehrlich wäre es aber, dann weder von einem „Solidaritätsprinzip“
(https://www.gesundheit.gv.at/Portal.Node/ghp/public/content/DasGesundheitswesenimUeberblicktml_LN.html)
zu sprechen, noch zu behaupten, dass man in sich in der Gesundheitspolitik nur von wissenschaftlichen Kriterien leiten läßt, bzw. dass man die Ärzteschaft noch als Partnerin der Weiterentwicklung des Gesundheitssystems auffasst.
Die tonangebenden Experten (Gesundheitsökonomen) haben entweder keine medizinische Ausbildung, oder wie manche haben zwar irgendeinmal Medizin studiert haben, den Beruf aber wenn überhaupt nur kurz oder in theoretischen Fächern ausgeübt haben und den größten Teil ihres Berufslebens weit weg von Krankenbett, Ambulanz oder Ordination verbracht.
Das Allheilmittel für die angebotsinduzierte Nachfrage im Gesundheitswesen gilt der Deckel:
Der Hauptakteur im extramuralen Bereich (Ordinationen, Kassenambulatorien), der Hauptverband der Sozialversicherungsträger schränkt den refundierbaren Zugang zu Vertragsärzten durch eine Limitierung von „Kassenverträge“ ein. Zusätzlich wird die Anzahl der refundierten Leistungen auf eine Maximalzahl begrenzt (=Deckel).
Mit anderen Worten bezahlt man den zahlenmäßig beschränkten Ärzten nur eine bestimmte Anzahl an Leistungen. Was darüber hinaus notwendig ist, wird eben nicht vergütet. In die übrige Welt übersetzt hieße das, dass z.B. ihre Haushaltsversicherung ihrem Baumeister die Reparatur ihres Hausdaches nicht mehr bezahlt, weil sie nach dem letzten Sturm ohnehin schon die Fensterscheiben ihrer Nachbarn ersetzt hat. Die Konsequenzen sind klar, der extramural tätige Arzt hat wenig Ansporn (außer vielleicht noch den letzten Rest seines Helfersyndroms) die Ordination aufzusperren, nur weil Bedarf besteht und der Ärztenotdienst bzw. das Rettungswesen führt insbesondere in Ballungsräumen zu einer Drift der Patientenströme in den intramuralen Bereich.
Im intramuralen Bereich (Spitalsambulanzen, Spitalsstationen) tun sich die Hauptakteure, die öffentliche und privaten Krankenhausträger, im Vergleich zu den Krankenkassen leichter, weil sie nicht nur vollen Durchgriff auf den Stellenplan der dort Tätigen (Ärzte, Pflege, Medizinische technischen Dienste, …) haben, sondern diese Angestellten auch nicht einfach die Ambulanz oder Station sperren können, wenn ihre Kapazitäten erschöpft sind. Auf ihre Verantwortung müssen sie Triagierung (http://de.wikipedia.org/wiki/Triage) durchführen, darüber hinaus bleibt ihnen als einziges Steuerungswerkzeug die „Wartezeit“, um Patienten wieder aus dem System zu bringen.
Selbstverständlich existiert auch im intramuralen Bereich die Beschränkungen des Sachaufwandes (Anzahl der zur Implantation zur Verfügung stehenden den Gelenksprothesen, Herzschrittmacher, …) als Instrument der Kostendämpfung.
Das Allheilmittel für die angebotsinduzierte Nachfrage im Gesundheitswesen ist extramural und intramural der Deckel:
Ein niedergelassener Arzt darf eben nur eine bestimmte Anzahl an Krankenscheinen, nur eine bestimmte Anzahl an Leistungen (EKG, …) abrechnen,
ein Röntgeninstitut nur eine bestimmte Anzahl an CT- und MR-Untersuchungen abrechnen,
und die Ausgaben im Österreichische Gesundheitswesen sollen an das BIP gekoppelt werden… (http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/422568_Kopf-will-Milliarden-bei-Gesundheit-sparen.html)
Und da stellt sich angesichts der weltweiten Krise der Finanzmärkte, deren bisherigen Bewältigung einen Staat nach dem anderen in die Insolvenz taumeln lässt, doch die Frage, weshalb es die Politik im Sozial- und Gesundheitssystem keinerlei Hemmungen hat, Deckelungen einzuführen, sich andererseits aber seit vier Jahren kaum getraut, dem Finanzsystem, insbesondere den immer größer werdenden (Too big to fail) Banken einen Deckel zu verpassen.
Denken Sie mal daran, wenn Sie in ihren nächsten Ambulanztermin in 6 Monaten bekommen und für die präoperative Magnetresonanzuntersuchung auf das nächste Quartal vertröstet werden …