Was bewirkte Leyendeckers SPIEGEL Titelstory über Grams "Hinrichtung"?

Leyendecker war ein Mythos - ich fange diesen Blogpost mal so an, wie Leyendecker damals seine Titel-Lügenstory über "Den Todesschuss" von Bad Kleinen.
In Kurzform:
  • 1993 der SPIEGEL - Aufmacher von Leyendecker: Grams wurde von einem GSG9-Beamten erschossen. Zeugen: die Besitzerin des Bahnsteigkiosks und ein nicht genannter anderer GSG9-Beamter, der beim Zugriff in Bad Kleinen dabei gewesen sei.
  • Später traten Rudolf Seiters und Alexander von Stahl zurück.
  • Etliche Jahre später kam heraus: Die Behauptung von der "Hinrichtung" Wolfgang Grams stimmt nicht.
  • 2013 entschuldigte sich Hans Leyendecker. Und zwar dafür, dass er seiner Quelle zu sehr geglaubt habe. Er nutzte seinen eigenen "Fehler", um Stimmung gegen BILD-Journalisten zu machen, die Bundespräsident Wulff "fertig gemacht" hätten.
  • Im Zuge der Relotius-Untersuchungen im Hause SPIEGEL fordert von Stahl nun, dass geprüft werde, ob es die von Leyendecker zitierte Quelle überhaupt gegeben habe. Hörenswert hierzu das "Morning Briefing" von Gabor Steinhart (Link).

Man kann den Verlauf dieser Sache gut googeln, aber man muss manchmal wissen, wonach man sucht. Ich will hier nicht tun, was andere gerade tun: die Sache selbst noch einmal aufrollen.
Mich interessiert, welches Motiv Leyendecker gehabt haben könnte, wenn er die ganze Sache -inklusive der Person seiner "Quelle"- erfunden hätte.
Und hierzu kommt man schnell zu einem Ergebnis. Wie immer lohnt es sich, die Quellen zu lesen (den SPIEGEL-Aufmacher von 1993):
"Aus Seelennot" offenbarte sich vorige Woche einer der beteiligten Spezialisten dem SPIEGEL. Der Beamte, der bis Ende voriger Woche noch nicht vom Staatsanwalt vernommen worden ist, berichtet: "Die Tötung des Herrn Grams gleicht einer Exekution."
Eine weitere Zeugin versicherte vorige Woche an Eides Statt, der bereits wehrlos und reglos am Boden liegende Grams sei "aus nächster Nähe" regelrecht hingerichtet worden. 
Die ungeheuerlichen Vorwürfe, im Rechtsstaat Bundesrepublik sei ein mutmaßlicher Terrorist von Spezialisten einer Polizei-Sondereinheit vorsätzlich aus Rache oder im Affekt ermordet worden, fanden in einem ersten Obduktionsbericht für die Schweriner Staatsanwaltschaft neue Nahrung: Danach war Grams durch einen an der Schläfe aufgesetzten Schuß getötet worden. Auch ein zweites Gutachten, von den Grams-Eltern in Berlin bestellt, spricht von einem Nahschuß, wovon "Schmauchspuren auf dem Schläfenbein" zeugten.
Quelle: DER SPIEGEL 27/1993 (Link)
Wir lernen als erstes:
  • Leyendecker stützt sich auf 3 Quellen: Einen Beteiligten, eine Beobachterin (die Kioskbesitzerin) und ein Gutachten (Obduktionsbericht).
  • Leyendecker schreibt dem anonymen "Spezialisten" eine "Seelennot" zu. Moral hat schon damals (mindestens) so schwer gewogen wie Fakten

Dann bewertet Leyendecker, welche Folgen es hätte, wenn der Verdacht stimmen sollte:
Vorbei ist es nach den Toten von Bad Kleinen wohl auch mit der Hoffnung, der bewaffnete Kampf der RAF, die das Scheitern ihrer bisherigen Strategie eingeräumt hatte, könne bald zu Ende sein. Die Terroristen hatten im April letzten Jahres überraschend in einer schriftlichen Erklärung eine "Rücknahme der Eskalation" angekündigt und zugesichert, keine Anschläge mehr auf "führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat" zu verüben.
Ohne "Exekution" also: Die RAF ist Geschichte.
Mit: Die RAF geht weiter.
Und bevor der Eindruck entsteht, dass sei nur eine Phantasie (oder Hoffnung...?) des Autors, zitiert dieser sowohl die RAF als auch das BKA:
Jetzt wird sich die Gewaltspirale, die schon über 50 Menschen das Leben gekostet hat, womöglich weiter drehen. Zum Schluß ihrer Erklärung, in der unter anderem die vorzeitige Freilassung von Langzeithäftlingen der RAF gefordert wurde, drohten die Verfasser: _____" Wenn sie uns, also alle, die für eine menschliche " _____" Gesellschaft kämpfen, nicht leben lassen, dann müssen sie " _____" wissen, daß ihre Eliten auch nicht leben können. " _____" Auch wenn es nicht unser Interesse ist: Krieg kann nur " _____" mit Krieg beantwortet werden. "
Experten des Bundeskriminalamtes rechnen deshalb mit Vergeltungsanschlägen "schon in nächster Zeit".
Erst danach, nachdem Leyendecker die Szenerie gesetzt und bewertet hat, sozusagen einen "Frame" geschaffen hat, zitiert er die anonyme "Quelle":
Der Bericht des Beamten, der sich in wesentlichen Teilen mit der eidesstattlichen Versicherung einer weiteren Augenzeugin deckt, anderen Versionen aber widerspricht, kann die Republik erschüttern, Politiker und Sicherheitschefs ihre Ämter kosten: Danach ist Grams von einem GSG-9-Beamten, noch nicht einmal im Affekt, regelrecht liquidiert worden. Und die Behörden, die in zwei Sondersitzungen des Bundestagsinnenausschusses keine klare Auskunft gaben, setzen offenbar alles daran, den Tathergang zu verschleiern.
Und dann die Kioskbesitzerin, die er namentlich nennt:
Kioskverkäuferin Joanna Baron will von einer Würstchenbude aus das Schockierende genau gesehen haben: _____" Dann traten zwei Beamte an den reglos daliegenden " _____" Grams heran. Der eine Beamte bückte sich und schoß aus " _____" nächster Nähe mehrmals auf den Grams. Dabei sah der schon " _____" wie tot aus. Der Beamte zielte auf den Kopf und schoß, " _____" aus nächster Nähe, wenige Zentimeter vom Kopf des Grams " _____" entfernt. Dann schoß auch der zweite Beamte auf Grams, " _____" aber mehr auf den Bauch oder die Beine. Auch der Beamte " _____" schoß mehrmals. "
Bei dem Kopfschuß, behauptet die Frau, habe sie sogar das Mündungsfeuer der Pistole blitzen sehen. Vor Schreck sei sie anschließend in den einen Quadratmeter großen Wandschrank ihres Kiosks gekrochen und von Bekannten erst nach einer Stunde befreit worden.
Die Kioskbesitzerin "relativierte" kurze Zeit später ihre Aussage, wie die ZEIT damals schrieb (Link).
Der Eindruck, dass die GSG 9 einen RAF-Terroristen hingerichtet habe, hing somit nicht allein an Leyendeckers anonymer "Quelle". Aber diese tätigte die schwerwiegendste Aussage. Übrigens hätte so eine Aussage noch viele weitere Fragen aufgeworfen: War es ein Plan? Wer gehörte dazu?
Für den Fall, dass Leyendecker der Lüge überführt würde, hat er sein Motiv in seinem Titel selbst genannt: Die RAF wäre weiter gegangen.
Und das zu einer Zeit, als diese offenkundig eine Professionalität erreicht hatte, die man zuvor nur von Geheimdiensten kannte (Fälle Herrhausen und Rohwedder)..

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