„Was bedeutet mein Albtraum?“, fragte der Mann im Skype-Coaching.

Von Rkoppwichmann

Als online marketer passives einkommen generieren – davon träumen viele.  Bild: ravnikovstudio iStock

„Goodbye Deutschland!“ heißt eine erfolgreiche Fernsehserie seit 2006, die über Auswanderer berichtet, für die Deutschland mit dem trüben Wetter, den vielen Vorschriften und dem Konkurrenzgerangel im Job zum Albtraum wurde. Stattdessen träumen sie davon, vom Schreibtisch aufs Meer schauen zu können und mit ein paar Stunden Arbeit am Laptop viel Geld zu verdienen.

Mit Online Marketing könne das jeder schaffen, verheißen zahllose Angebote. Viele kaufen die entsprechenden Kurse, geben aber dann bald auf oder scheitern nach einer Weile. Doch mein neuer Klient scheint es geschafft zu haben. Peter Z., 33 Jahre alt, ledig. Er lebe seit zehn Jahren in Mexiko, sei finanziell unabhängig und führe ein tolles Leben.

Ich war neugierig, warum er mich kontaktierte.

„Online marketer war ich schon mit 16 Jahren. Erkannte früh die Möglichkeiten, die das Internet bietet. Hatte nie so Lust auf einen nine-to-five-job. Wollte mich schon immer selbständig machen. Habe mit Websitenerstellung angefangen, dann Affiliate gemacht, mit e-selling und dropshipping Erfahrungen gesammelt. Heute verbreite ich mein Wissen mit eBooks und Youtube-Videos und bin mit 21 Jahren ausgewandert. Erst Spanien, dann Puerto Rico und seit längerem Mexiko.“

Als erstes fiel mir der Telegrammstil auf, in dem Peter Z. sprach. Auch sein Sprechtempo war schnell. Er schien wenig Zeit zu haben.

„Sie sind ganz schön getrieben, oder?“, sagte ich.
„Wie kommen Sie denn darauf?“
„Ihre Sprechweise lässt mich das vermuten“, antwortete ich.
„Punkt für Sie!“

Anscheinend waren wir aus Sicht des Klienten nicht in einem Gespräch, sondern in einem Spiel. Einem Spiel, wo man Punkte machte.

„Was treibt Sie denn?“, fragte ich neugierig, erwartete aber keine weiterführende Antwort.
„Eigentlich treibt mich nichts. Höchstens der Wunsch, mein Geschäft weiter auszubauen, mich weiter zu entwickeln“, war die erwartete wenig ergiebige Antwort.


Ein Albtraum deutet auf eine Spur.

Meine Frage nach der Getriebenheit zielte auf ein mögliches Lebensthema von Peter Z.

Ein Lebensthema ist vergleichbar mit einem Drehbuch, einem Lebensplan oder einem unbewussten Programm, nach dem ein Mensch lebt. Lebensthemen wirken sich in ihrer Zuspitzung oft negativ im Berufsleben und/oder auch privat aus.

Diese Lebensthemen entstehen durch in frühen Jahren gemachte Beziehungserfahrungen. Entweder in Form von Erlebnissen oder Aussagen, die emotional so prägend sind, dass sie maßgeblich das Selbstwertgefühl des Kindes beeinflussen und es zwingen, dafür eine geeignete Strategie zu finden, um damit umzugehen oder fertigzuwerden.

Als Kind ist man – vor allem in den ersten Lebensjahren – völlig abhängig von den Eltern. Diese bestimmen in großem Maß die Möglichkeiten der Person, sich zu entfalten und Konflikte zu bewältigen. Und zwar durch direkte und indirekte Botschaften, durch Verbote und vor allem durch die mit ihnen gemachten Erfahrungen.

Und diese Strategien prägen sich ein, weil sie sich gut bewährt haben.

Als Erwachsener sind uns diese frühen Überlebensstrategien in Fleisch und Blut übergegangen. Wir müssen nicht mehr daran denken oder uns erinnern. Unser Autopilot steuert unbewusst unser Verhalten in den alten Bahnen, wenn eine für uns kritische Situation auftaucht.

Hinter einer äußeren oder inneren Getriebenheit steckt oft der Drang, noch etwas beweisen zu müssen.

Aber es war noch zu früh im Prozess, das zu verfolgen. Ich brauchte noch ein mehr Informationen.

„Wie sieht so ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus“, fragte ich.
„Total entspannt, total easy“, erfuhr ich. „Ich beginne jeden Tag mit einem Bad im Meer. Dann sitze ich ein paar Stunden am Laptop oder telefoniere mit Kunden. Ausgedehnte Siesta, wie das hier in Mexiko üblich ist. Dann vielleicht gegen Abend noch ein bißchen Homework.“

Über sein Privatleben war Peter Z. weniger auskunftsfreudig. Eine feste Partnerin schien er nicht zu haben. Gleichwohl intensive Beziehungen zu zwei Frauen. Die Frage nach Kindern verneinte er.

„Kinder finde ich süß, die mögen mich auch, weil ich lustig bin. Aber eigene Kinder kann ich mir nicht vorstellen. Dieses ständige Angebundensein und die Verantwortung, nein, das ist nichts für mich. Ich habe das bei meinen Eltern gesehen …“

Peter Z. lebte offensichtlich seinen Junggesellentraum. Fast war ich ein bißchen neidisch, denn mein Leben war dagegen nicht so sonnig und easy. Eigentlich kaum ein Leben, das ich näher kannte, war so. Wo war der Haken? Gab es keinen? Ich wusste immer noch nicht, was der Klient von mir wollte.

„Was ist der Anlass, dass Sie mich kontaktierten?“, fragte ich.
„Ich weiß nicht, ob es etwas bedeutet. Aber auf jeden Fall beunruhigt es mich. Und ein Freund hier, der Sie kennt, meinte, ich soll mich mal mit Ihnen unterhalten.“
„Was beunruhigt Sie denn so?“
„Es ist ein Traum, der so in größeren Abständen auftaucht. Am anderen Morgen denke, ich, was für ein Quatsch! Aber der Traum kommt halt immer wieder.“

„Und was passiert in dem Traum?“, wollte ich wissen.
„Er ist immer gleich und relativ kurz. Ich blicke auf ein altes Fabrikgelände mit einem hohen Schornstein. Eine ganze Weile passiert nichts und ich will schon wieder gehen. In dem Moment, wo ich mich umdrehe, höre ich es krachen und sehe, wie der Schornstein einstürzt. Ich wache davon auf, bin schweißgebadet und kann mich nur schwer danach beunruhigen.“

Was sind Albträume und was bedeuten sie?

Ein Albtraum (oder auch Alptraum geschrieben), ist ein heftiger angstbesetzter Traum, von dem man meistens aufwacht. Der Name kommt von den sogenannten „Alben“. Das sind der Mythologie zufolge Kobolde oder Elfen, die schlechte Träume verursachen. Sie sollen unbemerkt auf der Brust des Schlafenden sitzen und dabei Angst in deren Träumen erzeugen.

Ein Alptraum hat ein zentrales Element: das Erleben starker Angst, die den Träumer meist aus dem Schlaf reißt. Die
Inhalte sind häufig:

  • Man fällt oder stürzt aus großer Höhe, oft ins Nichts.
  • Man will weglaufen oder flüchten, kommt aber nicht vom Fleck, ist wie gelähmt.
  • Man hat sich verirrt, weiß nicht wo man ist, niemand hilft einem.
  • Wilde Tiere oder böse Menschen bedrohen einen oder üben Gewalt aus.
  • Man träumt seinen eigenen Tod oder dass man lebendig begraben wird.

Viele Menschen greifen jetzt, um den Traum besser zu verstehen, zu Traumlexika oder entsprechenden Internetseiten. Davon halte ich nichts, weil ich einen Traum, und vor allem einen Albtraum immer als eine ganz persönliche Botschaft aus dem Unbewussten des Klienten verstehe.

Und diese Botschaft gilt es zu entschlüsseln. Das geht am besten mit Sigmund Freuds Technik der freien Assoziation.

Dabei soll der Klient möglichst alles äußern, was ihm während einer Sitzung oder zu einem bestimmten Begriff spontan einfällt. Wichtig ist dabei, möglichst alle Filter, Bewertungen oder Urteile (das ist doch Quatsch, das ist bestimmt unwichtig usw.) über die eigenen Einfälle wegzulassen und alles zu äußern, was in seinem Kopf und im Körper vorgeht.

„Was fällt Ihnen denn ein zu einem alten Fabrikgelände und dem gesprengten Schornstein?“, regte ich bei Peter Z. das freie Assoziieren an.
„Eigentlich nichts“, war die typische Antwort, denn meist muss der Klient erst etwas warten und nach innen hören, was für Einfälle kommen.
„Was könnte Ihnen denn Angst machen bei einem leeren Fabrikgelände?“ fragte ich nach einer Weile.
„Na, dass da nichts mehr ist. Da war mal eine florierende Firma und die ist vielleicht in Konkurs gegangen. Die Gebäude hat man abgerissen.“ Jetzt bemerkte ich in der Stimme des Klienten eine emotionale Bewegung. Sie war belegt, er musste sich mehrmals räuspern.
„Und weiter?“
„Ja, und als letztes ist der Schornstein dran. Da ist der Ofen jetzt aus, also braucht man auch keinen Schornstein mehr. Deswegen wird er gesprengt.“
„Und was daran ist für Sie beängstigend?“,
forschte ich nach.
Peter Z. brauchte wieder eine Weile, um die Assoziationen kommen zu lassen. Plötzlich schlug er die Hand vor die Augen und sagte: „Dass da nichts mehr übrig ist von dem Werk. Dass es spurlos verschwindet. Dass nichts davon bleibt, was jemand mal aufgebaut hat und …“

Der Klient bat um eine Pause und wir unterbrachen die Coachingsitzung für ein paar Minuten.

Ist Deutschland ein Auswanderungsland?

Die Zuwanderung in Deutschland beherrscht immer wieder die Schlagzeilen. Die Abwanderung von Deutschen ist hingegen weniger Thema.

Hier die wichtigsten Fakten dazu:

  • 2018 wanderten rund 165.000 aus, 2019 werden es wohl knapp 180.000 werden. Das ist die Größenordnung kleinerer Großstädte wie Würzburg oder Heidelberg.
  • Das Durchschnittsalter der Abwanderer liegt bei 32 Jahren. Und über 60 Prozent davon sind Fach- und Führungskräfte.
  • Seit 2001 ist sogar eine Million Bundesbürger ausgewandert, vor allem in die USA und in die Schweiz, aber auch nach Österreich und Ungarn.
  • Rund 70 Prozent erwarten im Ausland einen besseren Job und mehr Geld.

Bei vielen Auswanderern spielen wohl auch persönliche Gründe eine Rolle.

Ob das bei meinem Klienten auch so war und wie das eventuell mit seinem Albtraum zusammenhing, wollte ich herausbekommen.

„Wo sind Sie aufgewachsen? Und wie findet Ihre Familie, dass Sie ausgewandert sind?“
„Ich stamme aus einem Dorf in Niederbayern. Mein Vater war Postbeamter und meine Mutter arbeitete als Verkäuferin in der örtlichen Metzgerei. Ich habe noch zwei jüngere Schwestern, die leben heute noch dort.
Meine gesamte Familie hat den Kontakt fast ganz abgebrochen zu mir, seit ich mit einundzwanzig abgehauen bin.“

„Wieso abgehauen?“, fragte ich nach.
„Es war nach einem Streit mit meinem Vater. Meine Eltern waren immer sehr sicherheitsorientiert. Haben ein Leben lang nur für das Häuschen und die Rente gespart. Meine Schwestern genauso. Ich fand das immer so kleinkariert, so durchschnittlich, so spießig. Zu meinem 18. Geburtstag haben sie mir einen Bausparvertrag geschenkt. Das muss man sich mal vorstellen! Da wollte ich nur noch weg.“

„Haben Sie noch Kontakt mit zuhause?“
„Ganz sporadisch. Zum Geburtstag und an Weihnachten ruf ich mal an. Aber wir haben uns wenig zu sagen. Mich interessiert ihr Leben auf dem Dorf nicht. Und sie können sich nicht vorstellen, was ich arbeite und wie ich lebe. Auch zu Freunden in der Schule habe ich keinen Kontakt mehr. Finde ich manchmal schade, aber so ist es.“

„Dann haben Sie sich vermutlich ein neues Leben in Mexiko aufgebaut?“ forschte ich nach.
„Nicht wirklich. Meine Freundin stammt aus Thailand und besucht alle paar Monate ihre Familie dort. Ich habe losen Kontakt zu einigen Einheimischen hier, mit denen ich ein Bier trinke. Aber für die bin ich nur der reiche Gringo. Ich weiß nie, ob das positiv oder negativ gemeint ist.“

Ich bemerkte, dass mich im Kontakt mit Peter Z. die Frage beschäftigte, wie erwachsen er wohl ist. Äußerlich war er das natürlich. Dreiunddreißig Jahre alt, seit Jahren erfolgreicher Online-Unternehmer. Lebte an dem Ort, den er sich ausgesucht hatte. Aber die Beziehung zu seiner Freundin schien mir wenig gereift, die Kinderfrage hatte er für sich noch nicht beantwortet.


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Wann ist man erwachsen?

In der Theorie ist das eindeutig: Ab dem 18. Geburtstag sind wir voll geschäftsfähig. Leider legt unser Gehirn nicht an dem Tag den Schalter auf „Erwachsen“ um. Neurobiologen wissen,  dass es dafür häufig ziemlich lange braucht.

Peter Jones vom britischen Wolfson College Cambridge meint, dass viele Menschen erst mit 30 Jahren den Reifegrad „Erwachsen“ erreichen würden.

„Was wir eigentlich sagen wollen, ist, dass es absurd ist, eine feste Definition davon zu haben, ab wann man von der Kindheit ins Erwachsenenalter kommt“, zitiert die BBC Professor Jones. Der Übergang zum Erwachsensein sei ein fließender Prozess: Bis das Gehirn ganz ausgereift ist, können bis zu drei Jahrzehnte vergehen.

Mein 3-h-Coaching ist auf meiner Seite vor allem ein Prozess des Einfühlens in ein fremdes Leben und die Suche nach einem wesentlichen inneren Konflikt, der hinter dem aktuellen Problem (hier der Albtraum) stecken könnte.

Denn es war vor allem dieser Albtraum, der in dieses sonnige, komfortable Leben nicht passte. Wovor hatte der Klient Angst? Mir fielen wieder die Worte ein, mit denen er seine Angst beschrieben hatte:

„Dass da nichts mehr übrig ist von dem Werk.
Dass es spurlos verschwindet.
Dass nichts davon bleibt und …“

Der Satz hatte ihn emotional stark bewegt, hier war vermutlich eine Spur. Und ich wagte eine ganz direkte Frage:

„Wenn alles so weiter geht in Ihrem Leben, was wird dann übrig bleiben?“
Der Klient antwortete ohne nachzudenken: „Wahrscheinlich nichts. Ich hatte immer nur kurze Beziehungen. Wollte mich nie niederlassen, weil ich den Gedanken, dann hier festzuhängen, vielleicht hier sterben zu müssen, unerträglich fand. Ich will immer unterwegs sein. Und Kinder von mir wird es wohl auch nie geben, weil Kinder einen total einschränken.“

„Hört sich für mich an, als wären Sie auf der Flucht“, bemerkte ich.
„Wieso auf der Flucht?“
„Na ja, Sie wollen keine Wurzeln schlagen, müssen immer unterwegs sein, weil sie das das Ankommen oder Niederlassen nicht empfinden, sondern als Einengung, als Fessel erleben.“
Peter Z. wirkte nachdenklich.

Es war Zeit für ein Experiment, um den Prozess zu vertiefen, und um zu testen, ob ich mit meiner Hypothese über das Lebensthema von Peter Z. richtig lag. Dazu suche ich einen positiven Satz, von dem ich annehme, dass wenn der Klient ihn achtsam ausspricht, er nicht zustimmt, sondern eine heftigen Widerstand in sich erlebt.

Und dieser Widerstand, ein unangenehmes Gefühl, ein ablehnender Gedanke oder eine Anspannung im Körper zeigen, dass wir in der Nähe des inneren Konflikts sind.

„Bitte schließen Sie Ihre Augen, richten Sie Ihre Aufmerksamkeit nach innen und sagen Sie Bescheid, wenn Sie soweit sind“, bereitete ich den Klienten auf das Experiment vor. Nachdem er genickt hatte, sagte ich:

„Ich bitte Sie, mal den Satz zu sagen:
»Ich gehöre hierher.«

Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie gut diese einfache Technik funktioniert. Auch bei Peter Z.

Er riss erstaunt die Augen auf und stieß hervor: „Nein, ich gehöre nirgendwohin. Ich will auch nirgendwohin gehören!!

„Das habe ich vermutet, deshalb dieser Satz. Sie fühlen sich nirgends zugehörig, weil Sie auf der Flucht sind.“
„Auf der Flucht vor was?“
„Wahrscheinlich vor dem Spießerleben Ihrer Eltern. Der Enge Ihres Heimatortes. Dem Sicherheitsdenken Ihres Vaters.“

Der Klient wurde nachdenklich. „Aber ich gehöre nirgendwohin. Mit meinen Eltern habe ich innerlich gebrochen.  Ich gehöre weder nach Deutschland noch hier nach Mexiko. Ob und wie das mit meiner Freundin weitergeht, steht in den Sternen. Ich fühle mich heimatlos.“

„Deswegen hat Sie wohl auch der Traum mit der abgerissenen Fabrik so verstört. Sie befürchten vielleicht, dass von Ihrem Leben auch mal keine Spuren bleiben werden.“


Wenn das Lebensthema bewusst wird.

Wenn ein Klient durch mein Experiment emotional versteht, welcher Konflikt (hier: Nirgendwo dazu gehören wollen) bisher sein gesamtes Leben beeinflusst hat, ist das immer ein schmerzhafter Moment. Auch mein Klient kämpfte sichtbar mit seinen Gefühlen. Denn es fiel ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen, welches unbewusste Drehbuch bisher sein Leben bestimmte.

An dieser Stelle fasse ich meistens meine Überlegungen, wie ich auf den positiven Satz komme, für den Klienten zusammen:

„Sie waren bisher so getrieben davon, das aus Ihrer Sicht spießige Leben Ihrer Eltern zu vermeiden, dass Sie es nicht wagten, irgendwo Wurzeln zu schlagen. Weil Ihnen das wie eine Kapitulation vorgekommen wäre.
Aber man gehört ja immer zu jemandem oder irgendwohin. In ein Land, einen Ort, in eine Straße, zu Nachbarn, zu Freunden, zu einem Partner. Vorausgesetzt, man lässt sich auch nieder. Denn nur so kann man Wurzeln schlagen, denn das dauert eine Weile.“

Ich sah, wie Peter Z. mit den Augen rollte und durch den halb geöffneten Mund Luft abließ. Vermutlich hatte er solche Sätze schon von seinem Vater gehört und lehnte sie jetzt genauso heftig ab bei mir ab.

Wenn das Lebensthema bewusst wird, kommt automatisch Widerstand beim Klienten auf. Das Ego, das bisher das Drehbuch des Überlebens schrieb, kann – und will – die neue Information nicht wahrhaben und bekämpft sie mit heftigen Argumenten.

Der Klient braucht sein Selbst, das von einer höheren Warte aus die Kämpfe des eigenen Egos erkennt und weiß, dass er einen neuen Weg finden muss, um nicht in die alten Muster zu fallen.

„Und was soll ich jetzt tun?“, fragte mich etwas ratlos Peter Z.
„Aufhören zu flüchten und stehenbleiben“, antwortete ich.
„Was heißt das konkret?“

An dieser Stelle im Coachingprozess bin immer vorsichtig. Der Klient sucht oft nach einer schnellen Lösung, wo es nur viele Schritte gibt. Und am besten ist es, wenn die Schritte aus dem Unbewussten des Klienten kommen. Deshalb gab ich die Frage zurück.

„Was meinen Sie, wie könnte das aussehen, wenn Sie nicht mehr flüchten?, fragte ich Peter Z.
„Ich kaufe mir ein Haus hier in Mexiko und mache meiner Freundin einen Heiratsantrag“, war die schnelle Antwort.
„Wollen Sie das denn?“, frage ich verwundert.
„Nicht wirklich.“

Ich spürte, dass mein Klient noch nicht bereit war, etwas zu ändern. Deswegen wäre es grundfalsch, jetzt Tipps für eine Veränderung zu geben, denn ich bekäme nur lauwarme Ausreden.

Menschen die in ein Coaching kommen sind immer ambivalent. Ein Teil will etwas verändern und ein anderer Teil will nichts verändern. Besser ist es, dann den Pol der Nichtveränderung zu vertreten, um zu sehen, was dann passiert.

„Aber Sie müssen nichts verändern“, sagte ich zu Peter Z. „Millionen von Menschen würden mit Freude mit Ihnen tauschen. Ihr Leben funktioniert doch gut. Sie verdienen genug Geld, haben jeden Tag Sonne und Strand und eine Freundin, die Sie in Ruhe lässt.“
„Meinen Sie das im Ernst?“,
fragte mich Peter Z. verwundert.

„Aber natürlich“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Da bin ich aber erleichtert. Und Sie haben Recht. Ganz viele Menschen beneiden mich um mein Leben. Es wäre keine Strafe, wenn es so weiterginge.“

Hier wurde wieder deutlich, dass Peter Z. nicht wirklich etwas verändern wollte. Sonst hätte er meiner Einschätzung widersprochen. Hätte vielleicht gesagt: „Ja, es funktioniert gut, aber so will ich nicht weitermachen.“


Am Ende der Sitzung fragte mich Peter Z., ob ich eine Idee hätte, wie er sein Flüchten beenden könne.

Ich sagte ihm, dass ich mir etwas überlegen würde und er mich nach einer Woche anschreiben solle, dann würde ich ihm meinen Vorschlag mitteilen. Ich hatte zwar schon eine Idee aber mir war der Veränderungsimpuls des Klienten noch nicht stark genug. Meine Idee war, dass er als erstes einen Dankesbrief an seine Eltern schreiben solle.

Doch ich hörte nie wieder etwas von Peter Z.


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