Was bedeutet kalte Nahwärme?

Es klingt auf den ersten Blick merkwürdig, wenn die sogenannte kalte Nahwärme die Wärmeversorgung übernehmen soll. Das gibt es aber wirklich. In diesem Fall schließen sich Kälte und Wärme nicht aus. Es handelt sich dabei um eine Wärmeversorgung mit relativ geringen Temperaturen. Dies sind im Vergleich zu herkömmlichen Wärmenetzen schon fast kalt, daher kommt die Bezeichnung. Was die kalte Nahwärme genau bedeutet, wo ihre Vorteile liegen und welche Förderung es gibt soll dieser Artikel aufzeigen. Hinzu kommt noch ein Beispiel aus der Praxis.

Was ist Kalte Nahwärme?

Eine Wärmeversorgung über Wärmenetze, Fernwärme oder Nahwärme, hat üblicherweise eine Vorlauftemperatur von 70 bis über 100 Grad Celsius. Wärmenetze in dicht bebauten Siedlungen oder im Quartier können auch mit sehr geringen Temperaturen auskommen, zwischen 8 und 30 Grad Celsius. Für die Wärme in den Häusern sorgen dezentrale Wärmepumpen. Durch die geringen Temperaturen besteht nur ein kleiner Unterschied zur Temperatur im Erdreich. Eine Dämmung der Rohre ist damit nicht notwendig, im Idealfall kann das Netz auch Wärme aus der Umgebung aufnehmen. Durch die Rohrleitungen strömt in der Regel ein Wasser-Glykol-Gemisch (Sole) aus Gründen des Frostschutzes.

Diese Wärmenetze bezeichnet man als kalte Nahwärme, physikalisch korrekt als Anergienetze oder auch Wärmenetze 4.0. Von dieser Art der Wärmenetze liest man immer häufiger, sie können in Zukunft an Bedeutung gewinnen.

Auch bei diesen Temperaturen ist eine Wärmequelle vorhanden, die Wärmepumpen in den einzelnen Häusern nutzen, um die notwendige Temperatur für Warmwasser und Heizung bereit zu stellen. Je nach Aufbau des Netzes ist auch ein umgekehrter Betrieb für die Kühlung der Gebäude möglich.

Für die kalte Nahwärme kommen viele unterschiedliche Wärmequellen infrage. Besonders im Hinblick auf den Klimaschutz ist dieses Prinzip der Wärmeversorgung interessant, denn damit ist die Nutzung von Abwärme aus der Industrie oder von erneuerbaren Energien möglich.

Vorteile der kalten Nahwärme

Eine Wärmeversorgung mit dem Prinzip der kalten Nahwärme hat einige Vorteile, die es sehr interessant machen.

  • Die Rohrleitungen benötigen durch die Temperaturen nahe der Umgebungstemperatur keine Wärmedämmung. Es können keine oder nur geringe Verluste im Leitungsnetz auftreten. Im Idealfall kann dadurch sogar Wärme aus dem Erdreich aufgenommen werden.
  • Es können unterschiedliche Wärmequellen zum Einsatz kommen, je nach lokalem Angebot und Verfügbarkeit.
  • In der kalten Nahwärme ist die Nutzung von neuen Wärmequellen möglich. Dazu gehört die Abwärme und erneuerbare Energien, wie Geothermie und Solarthermie. Damit ist diese Art der Wärmeversorgung interessant für die Wärmewende hin zu CO2-freien Heizsystemen.
  • Die Speicherung von Wärme benötigt durch die niedrigen Temperaturen keine aufwändige Dämmung, wird damit deutlich günstiger oder erst möglich.
  • Durch die konstante Temperatur der Wärmequelle erreichen die Wärmepumpen eine Jahresarbeitszahl von 4,0 oder höher.
  • Bei der kalten Nahwärme ist das wirtschaftliche Risiko durch eine geringere Abnahme von Wärme kleiner als bei klassischen Wärmenetzen. Daher wird in der Regel auf einen den unbeliebten Anschlusszwang verzichtet und Eigentümer oder Bauherren haben weiter eine freie Wahl für ihr Heizsystem.
  • Nahwärmenetze sind eine Chance für Bürgerenergiegenossenschaften die lokale Energieversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen und diese selbst zu betreiben.

Förderung für die kalte Nahwärme

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) fördert seit dem 01.07.2017 Machbarkeitsstudien und die Realisierung von Wärmenetzsystemen 4.0. Auch wenn das Temperaturniveau in den Förderbedingungen von mindestens 20 Grad Celsius ausgeht kann diese Förderung auch für die kalte Nahwärme gewährt werden. Die Machbarkeitsstudie muss bei geringeren Temperaturen nachweisen, dass dadurch Kosten, Energie oder CO2-Emissionen eingespart werden.

Diese Förderung für Wärmenetze 4.0 ist das erste Förderprogramm mit dem nicht nur Einzeltechnologien und -komponenten, sondern Gesamtsysteme gefördert werden. Für das BMWi zeichnen sich Wärmenetze der vierten Generation durch hohe Anteile erneuerbarer Energien, die effiziente Nutzung von Abwärme und ein deutlich niedrigeres Temperaturniveau im Vergleich zu klassischen Wärmenetzen aus. Dies minimiert die Verluste, steigert die Effizienz und erleichtert den Umstieg auf Erneuerbare Energien in der Nah- und Fernwärmeversorgung. Solche Systeme können durch die Kombination von Wärmepumpen und saisonalen Großwärmespeichern zusätzliche Flexibilität für den Strommarkt bereitstellen und bieten die Chance, nur schwer dämmbare Gebäudebestände mit hohen Anteilen CO2-armer Wärme zu versorgen.

Das BMWi fördert zunächst Machbarkeitsstudien mit bis zu 60 Prozent, sowie in einem zweiten Schritt die Realisierung eines Wärmenetzsystems 4.0 mit bis zu 50 Prozent der förderfähigen Vorhabenkosten. Informationen zu den technischen Anforderungen und die Antragsstellung erfolgt über das BAFA,

Praxisbeispiele für die kalte Nahwärme

Am anschaulichsten wird die Erklärung der kalten Nahwärme anhand von einigen Beispielen aus der Praxis:

Oberflächennahe Geothermie in Schifferstadt

Auf Initiative und mit Unterstützung der Energieagentur Rheinland-Pfalz hat sich die Stadt Schifferstadt für ein kaltes Nahwärmenetz entschieden. Das Netz wird von den Stadtwerken Schifferstadt betrieben und ist seit dem Januar 2017 in Betrieb. Als Wärmequelle dient hier das Erdreich. Dazu wurden Sonden in einem zentralen Bohrfeld eingebracht und an ein Ringleitungsnetz angeschlossen. In diesem Netz zirkuliert ein Wasser-Glykolgemisch, das die Wärme des Erdreichs, mit seinen ganzjährig konstanten Temperaturen von zehn bis zwölf Grad Celsius, aufnimmt. Die aufgenommene Energie wird über das Ringleitungsnetz zu den Gebäuden transportiert. In den Gebäuden sorgen Wärmepumpen dafür, dass Energie aus dem Netz das gewünschte Temperaturniveau erreicht.

Im Sommer lässt sich das Prinzip umkehren und die Wohnräume wirtschaftlich und ökologisch kühlen. Die aufgenommene Wärme führen die Leitungen zurück ins Erdreich und ermöglichen damit gleichzeitig eine Regeneration des Erdsondenfeldes ( Quelle).

Nutzung der industriellen Abwärme in der Marktgemeinde Meitingen

Die Wärme für das Niedertemperaturnetz in einem Neubaugebiet der bayerischen Marktgemeinde Meitingen soll künftig komplett von der Abwärme aus einem benachbaten Industrie-Unternehmen kommen. Die SGL Carbon GmbH stellt den rund 125 Wohneinheiten industrielle Abwärme in Form von etwa 31 °C warmem Wasser kostenlos zur Verfügung. Durch das ganzjährig hohe Temperaturniveau der Abwärme können die Wärmepumpen sehr effektiv arbeiten.

Das Wasser stammt aus der Kühlung von Produkten, die zur Herstellung Prozesse mit hohen Temperaturen von bis zu 3.000°C benötigen. Um die dabei erstellten Produkte wieder abzukühlen, wird Kühlwasser eingesetzt, das sich dabei auf etwa 30°C erwärmt. Dieses Kühlwasser dient nun als Wärmequelle für die Heizung in dem Neubaugebiet. Wenn Strom aus erneuerbaren Energien zur Verfügung steht, können die Wärmepumpen dann betrieben werden, wenn ausreichend Strom zur Verfügung steht und die Wärme in einem Pufferspeicher lagern.

Die SGL Group und Showa Denko haben sich freiwillig dazu bereit erklärt, das Kühlwasser für 20 Jahre kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Pro Stunde werden ca. 40 Kubikmeter Kühlwasser in die Nahwärmeleitung gespeist. Auf das Jahr gerechnet kann das bis zu 1,5 Mio. Kilowattstunden Energie ergeben - das entspricht der Heizleistung von etwa 150.000 Litern Heizöl. Anschließend wird das energieärmere, abgekühlte Wasser zum Werk zurückgeführt und wieder zur Kühlung genutzt - der Kreislauf beginnt von vorn. (Quelle: SGL Carbon GmbH/ KUMAS Umweltnetzwerk)

Geothermie und Solarthermie im Oberbergischen Land

Im Neubaugebiet von Nümbrecht-Sohnius-Weide im Oberbergischen Land heizen die Bewohnerinnen und Bewohner ausschließlich mit erneuerbaren Energien. Für Bauherren gibt es keinen Anschluss- oder Benutzungszwang an das kalte Nahwärmenetz. Stand März 2017 haben sich mehr als zwei Drittel der Bauherren für die Wärmelieferung aus dem Netz entschieden. Die Konditionen für den Anschluss sind vergleichbar mit einer eigenen Heizungsanlage oder etwas günstiger, so die Energieagentur.NRW in der Projektvorstellung.

Rund 15 Häuser mit Wohnflächen zwischen 110 und 290 qm erhalten aktuell die Wärme aus dem Nahwärmenetz mit ca. 200.000 kWh pro Jahr. Die Wärme wird mit einem Frostschutzmittel/Wasser-Gemisch, der sogenannten Sole, transportiert. Diese hat eine Temperatur zwischen -5 und +20 Grad Celsius. Sie kann also Wärme aus dem Erdreich aufnehmen, da die Rohrleitungen nicht gedämmt sind. Dies können bis zu 50 Watt je laufendem Meter Leitungslänge sein, das ist also praktisch oberflächennahe Geothermie. Für den Fall, dass die aufgenommene Wärme nicht ausreicht, um die Häuser zu versorgen, können eine solarthermische Anlage auf der Sohnius-Weide, gesammeltes Regenwasser oder Abwasser zusätzliche Energie in die Sole einspeisen.

Wenn im Idealfall die Bewohner ihre Wärmepumpen mit Ökostrom betreiben, dann ist eine komplett erneuerbare Energieversorgung realisiert.

Weiterführende Informationen zur kalten Nahwärme

Wem diese Informationen noch nicht ausreichend genug waren, für den habe ich ein paar weitere Informations-Quellen:

Ist die kalte Nahwärme die Lösung für die Wärmewende?

Wenn jemand von der einzigen Lösung spricht, dann bin ich immer skeptisch. So halte ich die Lösung der Wärmenetze mit geringen Temperaturen durchaus für eine Möglichkeit den Anteile der erneuerbaren Energien in der Wärmeversorgung zu steigern. Aber es muss immer ein Einzelfall geprüft werden ob es eine sinnvolle und wirtschaftliche Lösung sein kann. Das wird vermutlich nicht immer der Fall sein. Und welche Wärmequellen stehen zur Verfügung? Eine gute Hilfe ist die Karte der Wärme Hot-Spots, die es für das Münsterland gibt.

Was haltet Ihr von der kalten Nahwärme für die Wärmeversorgung? Kann sie einen Beitrag zum Fortschritt der Wärmewende leisten? Und sind noch Fragen zur kalten Nahwärme offen?


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