Warum wird im Namen Gottes gefoltert?

Ein Gespräch mit dem ira­ki­schen Schriftsteller Najem Wali

BERLIN. (hpd) Den Roman „Ein Ort namens Kumait – die Geschichte einer Beschneidung“ schrieb Najem Wali bereits im Jahr 1989. Doch erst 1997 erschien die­ser erst­ma­lig in Kairo auf ara­bisch, ein Jahr spä­ter auf fran­zö­sisch und im Jahr 2002 auf schwe­disch. Ein sol­cher Tabubruch, der darin bestand, dass Wali die Beschneidung Folter nannte, brauchte acht Jahre, bis sich ein Verlang fand, der den Roman zu dru­cken sich traute.
In den letz­ten Tagen hat sich Najem Wali auch in der Beschneidungsdebatte zu Wort gemel­det. In der TAZ erschien ein Artikel von ihm, in dem er über seine eigene Beschneidung, die er „Folter“ nennt, berich­tet und von den trau­ma­ti­schen Erlebnissen, die er mit ande­ren Betroffenen teilt.

Najem Wali 400x266 Warum wird im Namen Gottes gefoltert?

Najem Wali

hpd: Guten Tag, Herr Wali. Ich habe anfangs ein paar Fragen zur Person an Sie. Weshalb sind Sie in Deutschland? Wollen Sie wie­der zurück in den Irak? Ich hab gele­sen, dass Sie 2004 im Irak waren. Waren Sie danach noch ein­mal dort?

Najem Wali: Ich war im Januar 2011 im Irak und ich habe vor, in jedem Jahr hin­zu­fah­ren. Ich will auch in die­sem Jahr noch ein­mal hin­fah­ren. Es ist jetzt dort sehr heiß, 56 Grad. Gestern hat mich mein Vater ange­ru­fen: er hat ein paar Dattelpalmen auf unse­rem Grundstück gepflanzt und war gerade bei der Ernte. Normalerweise pas­siert das erst in der zwei­ten Augustwoche – aber wegen der Hitze dort sind die Datteln zwei Wochen frü­her reif.

Aber Sie blei­ben hier, sie gehen nicht zurück?

Nein, das geht nicht. Exil ist eine Einbahnstraße. Einmal Exil ist immer Exil. Man ändert sich, das Land ändert sich, die Menschen ändern sich. Jetzt habe ich die Möglichkeit, hin und her zu rei­sen. Meine Heimat nach drei­ßig Jahren ist da, wo ich sitze und wo ich schreibe. Und das ist Berlin-Kreuzberg.

Ist es noch Ihr Irak, den Sie mal ver­las­sen haben?

Nein, nie­mals. Ich sagte ja bereits: man ändert sich und das Land ändert sich. Und gerade im Irak: das Land hat sich völ­lig ver­än­dert. Es waren viele Kriege und Kriege ver­än­dern die Menschen.

Sie sind ja damals vor dem Iran-Irak-Krieg geflo­hen.

Ich bin Ende 1980, also sechs Wochen nach dem Ausbruch des Iran-Irak-Krieges nach Deutschland geflo­hen. Ich habe im Irak Deutsche Literatur stu­diert. Ich war die Ausnahme, all meine Kollegen sind nach Paris gegan­gen; Paris ist die Hauptstadt der Kunst und der Literatur.

Aber Sie waren auch mal in Paris?

Das ist eine andere Geschichte. Das war mein ers­ter Versuch – das war am 14. Juli 1976. Ich war sehr jung und hatte 600 Dollar in der Tasche und wollte Regie stu­die­ren. Das hat dann aber nicht geklappt und ich bin zurück in den Irak gegan­gen.

Da hat die Filmwelt viel­leicht einen Regisseur ver­lo­ren, die Literatur aber einen Schriftsteller gewon­nen.
Dann las­sen Sie uns zu dem Thema „Beschneidungen“ kom­men. Es gibt ja eine unglaub­li­che Medienresonanz. Über­rascht Sie das?

Nein, weil wir in Deutschland leben. Hätte es die­ses Urteil in Frankreich gege­ben oder anderswo wäre das nicht so pas­siert.
Die isla­mi­sche Gemeinde war mode­rat bei der Geschichte. Es ging um den Sohn syri­scher Eltern. Ich kenne auch viele Türken und andere Muslime. Die waren rela­tiv ent­spannt und sag­ten: ‚Wenn die das hier ver­bie­ten, dann machen wir das in der Türkei.‘ Sie wis­sen, dass das ein dis­ku­tier­tes Thema ist.
Aber da es auch um die jüdi­schen Gemeinden geht, ist das in Deutschland ein heik­les Thema. Und des­halb gab es eine Über­re­ak­tion bei der jüdi­schen Gemeinde. Und des­halb auch gab und gibt es diese öffent­li­che Diskussion.
Dabei war das ein Einzelfall und nie­mand weiß, ob andere Gerichte in ande­ren Bundesländern nicht anders ent­schie­den hät­ten.
Nun musste die deut­sche Regierung rea­gie­ren. Noch nie hat der Bundestag einen sol­chen Beschluss gefasst wie in die­sem Falle.

Es ist ja noch kein Gesetz, son­dern eine Empfehlung.

Ja, aber es wirkt ja trotz­dem. Und es wird ein Gesetz geben.
Im Oktober will die Bundesregierung ein Gesetz vor­le­gen und der Bundestag soll dann dar­über ent­schei­den.
Es bleibt die Frage, ob die Gerichte ver­pflich­tet sind, die­sem Beschluss zu fol­gen.

Im Moment noch nicht. Aber es hal­ten sich alle zurück. Bei den Ärzten gibt es eine große Unsicherheit und selbst das jüdi­schen Krankenhaus hier in Berlin führt keine Beschneidungen mehr durch.

Ich glaube nicht, dass man jetzt keine Beschneidungen mehr durch­führt. Ich glaube, Beschneidungen wer­den immer durch­ge­führt wer­den – die Religionen wer­den das ein­fach machen. Es gibt Ärzte und andere Menschen, die das machen.
Viele sagen, das ist ein harm­lo­ser Eingriff und daher nimmt man das in Kauf. Nur wenn es jetzt dazu kommt, dass ein beschnit­te­ner Junge Blutungen hat oder andere Komplikationen auf­tre­ten wer­den wir davon hören. Aber ansons­ten wird das nicht publik wer­den.
Man kann es den Juden jetzt nicht ver­bie­ten im Moment; es gibt kein Gesetz dage­gen. Es gibt im Jüdischen diese acht-Tage-Frist. Das gibt es bei den Muslimen ja nicht. Deshalb bin ich mit zwölf Jahren beschnit­ten wor­den.

Das schrei­ben Sie ja auch in dem TAZ-Artikel am Ende: Die Religionen wer­den sich durch­set­zen. So pes­si­mis­tisch sind wir nicht.

Das ist nicht Pessimismus, das ist ein­fach Tatsache. Religionen haben immer Gesetze umgan­gen.
Egal, was der Gesetzgeber jetzt regelt und ver­bie­tet. Es wird eine Ausnahme gemacht wer­den. Es gibt von jedem Gesetz eine Ausnahme und die ein­zige Regel in Deutschland ist die Ausnahme. Auch in der Sprache. Und daher wird es auch eine Ausnahmeregelung im Gesetz geben.
Das gab es damals auch bei der Abtreibungsdebatte. Es gab dann Ausnahmeregelungen. So wird es auch bei dem Beschneidungsgesetz kom­men. Das meinte ich, wenn ich sage: die Religionen wer­den es wei­ter­hin tun. Dann unter ande­rem Mantel, mit ande­ren Begründungen.

Es mag ja mög­lich sein, dass sich etwas wie ein Beschneidungstourismus für Muslime ent­wi­ckelt. Aber es dürfte unwahr­schein­lich sein, dass man mit einen acht­tä­gi­gen Säugling ins Ausland reist.

Natürlich nicht! Deshalb weise ich ja dar­auf hin, dass es Ausnahmeregelungen geben wird. Und ich denke, der Gesetzgeber sucht genau nach die­sem Kompromiss, um es den Juden zu ermög­li­chen, die Beschneidung durch­zu­füh­ren. Ich glaube, keine Regierung, kein Bundestag will ein Problem mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland haben wol­len.

Gibt es denn nach Ihrer Kenntnis Diskussionen unter Muslimen? In Richtung, dass die jun­gen Männer acht­zehn sind und selbst ent­schei­den kön­nen, ob sie beschnit­ten wer­den wol­len?

Die Diskussion wird nicht nach Außen getra­gen. Aber die Diskussion gibt es seit dem Moment, wo man begann, dar­über zu spre­chen.
Wenn ich das so sagen kann: der ein­zige Vorteil des Urteils aus Köln ist, dass eine Debatte begon­nen hat. Und Diskussionen in einer demo­kra­ti­schen Gesellschaft sind immer gut. Innerhalb der Gemeinde, in der es auch viele säku­lar den­kende Menschen gibt – aber eben auch in der gesam­ten Gesellschaft.
Aber die Beschneidung hat nichts mit Säkularismus zu tun. Sondern mit einem kul­tu­rel­len Ritual. Das ist ein Ritual, das dis­ku­tiert man nicht. Es ist genau wie ein Feiertag. Man denkt dar­über nicht nach. Oder wol­len Sie die Sonntage abschaf­fen? In Israel wird am Samstag nicht gear­bei­tet. In mus­li­mi­schen Ländern nicht am Freitag und hier am Sonntag. Das ist his­to­risch und kul­tu­rell gewach­sen und steht ein­fach nicht zur Diskussion.
Es gibt sol­che Traditionen, über die man nie nach­denkt. Und so war es bis­her auch mit der Beschneidung. Nun über­legt man sich, ob das ein Überg­riff ist, eine Verletzung. Ist das Kastration? Die Debatte hat erst jetzt ange­fan­gen. Und das gefällt mir.

Haben Sie Söhne?

Nein. Es ist auch nicht glaub­wür­dig, wenn ich dar­über nach­den­ken würde, ob ich Söhne beschnit­ten hätte. Wenn, dann würde ich dar­über nach­den­ken, ob man sie nicht frü­her als ich beschnit­ten wurde, beschnei­den sollte. Mein Bruder wurde im Alter von sechs Monaten beschnit­ten. Er hat ganz sicher andere oder keine Erinnerungen daran als ich.

Wenn Sie sagen, dass die Debatte inner­halb der mus­li­mi­schen und jüdi­schen Gemeinden jetzt begon­nen hat; was sind denn da die wich­tigs­ten Aspekte dabei? Spielt denn dabei eine Rolle, dass es viel­leicht doch eine Körperverletzung ist?

Erstens haben die bei­den ver­fein­de­ten Religionen ent­deckt, dass sie Gemeinsamkeiten haben: das Verbot von Schweinefleisch, das Kopftuch, Der Heirat von meh­re­ren Frauen (wie bei den Orthodoxen Juden) und eben auch die Beschneidung.
Was ist die Vorhaut? Die Leute haben immer gedacht: das ist ein Lederstück. Das kann man abschnei­den. Da haben Rabbis und Imame gleich gedacht. Es ist Teil der unhin­ter­frag­ten Kultur. Selbst jemand wie der tür­ki­sche Schriftsteller Semiglou haben gesagt: Deutschland macht sich lächer­lich mit der Diskussion. Das haben auch Leute gesagt, die mei­nen Artikel gele­sen haben: Du wirst Schwierigkeiten bekom­men. Aber nein! Es ist die Wahrheit. Warum soll man diese Wahrheit ver­schlei­ern?
Es hat auch eine Debatte begon­nen inner­halb des Judentums. Wenn man sagt: der achte Tag ist der letzt­mög­li­che, dann fragt man sich doch: Warum gibt es Ausnahmen und wer hat diese Ausnahmen fest­ge­legt? Und zwei­tens: Warum gilt Isaaks Beschneidung als Vorgabe und nicht Abrahams, der erst mit 99 beschnit­ten wurde. Wenn es nun eine gesetz­li­che Regelung in Deutschland machen: warum sol­len wir dort 14 Jahre fest­schrei­ben? Warum nicht neun­und­neun­zig?

Oder alles zwi­schen 14 und 99…

Nun ja, mit 99 gibt es da keine Haut mehr. Das ist ein abge­fuck­tes Stück Leder. Damit hätte sich alles erle­digt. Man hätte alle Freiheit bis 99.
Wichtig ist aber ein­zig, dass diese Diskussion begon­nen hat.

Sie waren – soweit ich weiß – auch mehr­mals in Israel. Wissen Sie, ob es dort Diskussionen zum Thema gibt?

Nein, das ist zu lange her.

Es soll in Nordisrael ja ein­mal eine Initiative gege­ben haben, die sich erfolg­los bis zum Obersten Gericht geklagt hat gegen die Beschneidung.

Wenn das im Norden ist, kann viel­leicht es mit dem Kubbiz Mizra zusam­men­hän­gen?! Das ist auch der ein­zige Ort in Israel, wo man Schweinefleisch isst. Ich habe dar­über geschrie­ben, dass die Schweine mehr für den Frieden geleis­tet als alle Politiker auf bei­den Seiten.
Was das Judentum angeht gibt es wohl auch eine Entwicklung, dass die Beschneidung als sym­bo­li­scher Akt vor­ge­nom­men wird.
Ich denke, das wird auch im Bundestag dis­ku­tiert wer­den. Aber Symbolik wird inter­pre­tiert wer­den.
Es gibt ja auch die Frauenbeschneidung in vor allem afri­ka­ni­schen Ländern. Oder in den Golfländer: wie eine Freundin mir offen­barte, wird dort auch eine eher sym­bo­li­sche Beschneidung prak­ti­ziert. Aber in Afrika z.B und je wei­ter man in den Süden kommt, dort geht es bis zur Verstümmelung. Interessant daran ist ja, dass in Ägyp­ten selbst Christen die Mädchen beschnei­den las­sen.

Das ist ja auch älter als die Religionen. Eher eine über­lie­ferte Kulturfrage.

Ja, und ähnlich ver­hält es sich ja mit der Vorhautbescheidung. In Deutschland muss man daher einen Ausgleich zwi­schen Ethik und Ritualen fin­den.

Sie nen­nen die eigene Beschneidung in Ihrem Artikel ja „Folterung“. Werden sol­che Aspekte denn inner­halb der mus­li­mi­schen Gruppen dis­ku­tiert?

Nein, es wird kei­ner so zuspit­zen und es Folterung nen­nen. Vielleicht, weil man Folter nicht erlebt hat. Ich habe unter Saddam Hussein Folter erlebt und weiß also, wovon ich rede.
Wenn jemand in mei­nem Alter, ohne Betäubung, wenn die Haut zuge­wach­sen und aus­ge­wach­sen ist – nicht wie die Vorhaut eines acht Tage alten Kindes – beschnit­ten wird, dann ist das Folter. Ich habe kürz­lich erfah­ren, dass 8 Tage alten jüdi­sche Jungen eine Narkose bekom­men. Das ist doch gefähr­lich, wenn es sich hier sogar um eine Art Droge han­delte!. Ich habe keine bekom­men und der christ­li­che Arzt Dr. Sûrîn Salîbâ, der mich beschnitt, sagte spä­ter, dass eine Betäubung meine Sexualität beein­träch­tigt hätte.

Es wird ja bei der Beschneidung ein gro­ßes Fest gefei­ert. Es gilt als Initiationsritus. Meinen Sie, dass damit die Jungs von den Schmerzen abge­lenkt wer­den sol­len?

Ja, es ist wie Kommunion: eine Art Aufnahme in die Community. Diese gro­ßen Feiern gibt es nur in der Türkei, im Irak nicht.
Die Jungen sit­zen aber auf einer Art Thron, sie sind beklei­det mit der Dischdascha – einer Art Kleid – wie ein Engel sit­zen sie da. Mit einem biss­chen Blut auf dem Gewand. Es wird Musik gemacht, getrun­ken (aber natür­lich kein Alkohol) – so war es frü­her.
Das Kind darf kei­nen Schmerz zei­gen und wei­nen…

aber sie haben geweint und geschrieen…

ja, die ande­ren Kinder haben viel­leicht auch geschrieen und geweint, als sie allein waren. Aber nicht, wenn die ande­ren dabei sind. Es gibt nicht viele Kinder, die allein in einer Arztpraxis beschnit­ten wer­den. Ich bin die Ausnahme.
Wenn zehn Kinder einen Luftballon haben und einem fliegt der Ballon fort: dann weint das Kind, Wenn aber alle zehn die Ballons flie­gen las­sen, dann lacht es. Deshalb hat man die Beschneidungen immer zusam­men gemacht; also meis­tens Brüder zusam­men beschnit­ten, damit sie den Schmerz nicht her­aus­schreien, son­dern das fei­ern.
Mein Vater hat keine Feier gemacht. Es gab Nachblutungen und ich hatte Fieber und mein Vater wusste, dass ich anders bin und nicht glück­lich.
Ich erin­nere mich an den Tag nach mei­ner Beschneidung: ein Junge, der mit mir in der Schule war, wurde auch beschnit­ten. Als ich ihn fragte, ob es ihm weh­ge­tan hätte, griff der Vater den Freund an den Arm und drückte leicht zu. ‚Nein‘ sagte der Freund, ‚es war schön.‘ Danach konnte ich nicht mehr mit ihm befreun­det sein weil ich wusste, dass er gelo­gen hat.

Sie sagen, dass ihr Vater erkannt hat, dass Sie sen­si­bel waren und die Beschneidung für sie kein zu fei­ern­des Fest. Wäre es denn mög­lich gewe­sen, dass er oder gar Sie die Beschneidung abge­lehnt hät­ten?

Das kam nicht in Frage. Wie hätte sein sein Sohn hei­ra­ten kön­nen? Das gehört ein­fach zur Gemeinde. Man denkt dar­über ein­fach nicht nach. Es ist eine Selbstverständlichkeit wie, dass Freitag Feiertag ist.

Ich komme dar­auf, weil ich las, dass etwas 20 bis 30 Prozent der jüdi­schen Eltern ihre Söhne eigent­lich nicht mehr beschnei­den wol­len. Dass aber der Druck der Gemeinschaft viel zu hoch ist, es doch zu tun.

Ja natür­lich. Es ist über­haupt nicht vor­stell­bar, sich als Eltern oder gar als Kind dage­gen zu ent­schei­den. Das geht nicht weil es Tradition ist. Man denkt dar­über nicht nach. Es ist nor­mal und gehört ein­fach dazu.
Nein, ich wusste ja auch immer, dass ich beschnit­ten werde. Nur nicht wann. Aber es gab nie Zweifel am „das“. Es war ein­fach selbst­ver­ständ­lich.
Wenn nun Deutschland ein Gesetz machen würde, dass die Beschneidung ver­bie­tet, müsste auch die Kommunion abge­schafft wer­den, der Religionsunterricht und die Kreuze in den Klassenräumen.

Generell stim­men wir darin ja überein. Aber der Unterschied ist doch der, dass die Kommunion oder der Religionsunterricht keine kör­per­li­chen Schäden hin­ter­lässt.

Ja aber geis­tige. Und ich bin Intellektueller: für mich ist der Geist genauso wich­tig wie der Körper. Warum ent­schei­den christ­li­che Eltern, dass ihr Kind getauft wird? Mit wel­chem Recht schi­cken sie diese zur Kommunion und Konfirmation und was es da alles gibt.
Es ist unvor­stell­bar, dass ein Kind in die­sen Dingen sei­nen Eltern wider­spricht.

Man kommt nicht aus sei­nem Kulturraum her­aus.

Ja eben! Und daher kommt die Begründung – egal ob bei Körperverletzung oder Gehirnwäsche: Eltern soll­ten das nicht bestim­men dür­fen.

Gut, aber was stel­len Sie sich denn vor, was dann noch als Ausnahmeregelung erlaubt wer­den soll in einem Gesetz?

Das weiß ich nicht. Das ist eine Sache der Juristen und für die Ethik. Ich spre­che nur dar­über. Ich glaube nicht, dass man sol­che eine Sache per Gesetz regeln kann. Wir leben in einer Demokratie und da muss man diese Dinge aus­dis­ku­tie­ren. Man muss abwä­gen zwi­schen der Religion oder Tradition und ethi­schen Werten.
Ich bin jeden­falls gegen Verbote. Verboten ver­drän­gen die Dinge nur. Sie klä­ren sie nicht.

Was wür­den Sie sich denn wün­schen?

Das ist wirk­lich eine schwere Frage. Denn egal was ich mir wün­sche: die Religionen wer­den das wei­ter­hin tun: Beschneiden und Taufen.
Stellen Sie sich vor, es würde ver­bo­ten: dann wür­den sie es im Keller oder Hinterzimmern machen. Darum geht es aber nicht. Es muss jetzt eine Kampagne, eine Debatte darum geben. Und dann sollte es dem Menschen frei­ste­hen, ob er das mit sei­nem Kind macht oder nicht. Die Leute machen mit ihren Kindern doch, was sie wol­len. Das wis­sen wir doch. Wir wis­sen nicht, was bei den Leuten zuhause pas­siert.
Und diese neue Regelung ist keine Lösung, indem man sagt: Kinder sol­len mit 14 ent­schei­den. Das ist lächer­lich. Welches Kind kann mit 14 dar­über ent­schei­den? Es ist noch ebenso abhän­gig von sei­nen Eltern wie mit 10 oder 12. Und es ist ja schlim­mer, wenn die Beschneidung erst mit 14 erfolgt. Da plä­diere ich dann doch eher für die 8 Tage; wenn die Vorhaut noch nicht aus­ge­wach­sen ist.

Sie schrei­ben ja dar­über, dass in ihrer Familie zwei Onkel an der Beschneidung ver­stor­ben sind. Gibt oder gab es so etwas häu­fi­ger?

Ja frü­her. Auch in Europa waren die hygie­ni­schen Umstände schlim­mer als heute. Es war frü­her der Friseur, der als Chirurg arbei­tete. Und wenn man dann eine Entzündung bekam oder Blutungen und starb, dann sagte man ‚Es war Gottes Wille‘.
Aber ver­stehe ich das rich­tig, dass Sie hof­fen, das aus der Debatte her­aus weni­ger Leute ihre Kinder beschnei­den las­sen?
Ja. Denn in der Debatte kommt ja auch her­aus, dass es nicht im Koran steht, dass beschnit­ten wer­den muss. Das sind Hadithe – also ver­mu­tete Aussagen Mohammeds – die das vor­schrei­ben sol­len.
Aber die Aussagen Mohammads sind immer wie­der bestrit­ten wor­den. Es gibt große theo­lo­gi­sche Diskussionen dar­über. Denn einige davon sind so modern, dass man denkt, sie sind vor zwei Monaten ver­öf­fent­licht wor­den. Man kann dar­über also lange dis­ku­tie­ren und es gibt immer wie­der die Meinung, dass es auch gefälschte Aussagen gibt.
Eine Regelung muss gefun­den wer­den. Ich bin aber gegen einen vor­schnel­len Beschluss oder ein Gesetz. Das muss in der gesam­ten Gesellschaft dis­ku­tiert wer­den.
Es ist ekel­haft, dass der Bundestag die­sen schnel­len Entschluss for­mu­lierte. Es ist Heuchelei, denn hätte Deutschland nicht eine beson­dere Stellung zu den Juden, hätte es den Beschluss nicht gege­ben. Denn die mus­li­mi­schen Gemeinden haben doch auch kaum dar­auf rea­giert. Das zeigt, was für eine Heuchelei das ist.
Wenn schon in einer Sprache ein Verb exis­tiert wie in kei­ner ande­ren Kultur: näm­lich „nach­den­ken“ – dann soll­ten wir genau das jetzt tun. Ein Jahre oder auch zwei Jahre, bis man fest­stellt: die­ser Beschluss des Kölner Gerichtes ist so oder so zu wer­ten.
Wenn schon im jüdi­schen Krankenhaus in Berlin zwei Drittel der beschnit­te­nen Kinder Muslime sind, dann zeigt auch das, wie heuch­le­risch die Feindschaft zwi­schen den Religionen ist. Muslimische Väter lie­fern die Schwänze ihrer Söhne zu jüdi­schen Ärzten…

…und Sie wur­den von einem Christen beschnit­ten…

[Erstveröffentlichung: hpd]

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