Warum wir Kernenergie brauchen

Manchmal habe ich ja doch noch Hoffnung für Sie. Ginge es nach mir, dann säße Helmut Kohl zwar im Gefängnis und seine Ehrenwort-Spender gleich in der Zelle daneben, aber dafür, dass die Springerpresse keine Gelegenheit ausläßt, Weihrauch auszudünsten, wo Pech und Schwefel schwer zu überdecken sind, halten Sie sich ganz gut. Vor allem behandeln Sie einen anderen Altkanzler, nämlich Helmut Schmidt, mit einer regelrechten Heldenverehrung; wenn man sich für das Dollste seit Bismarck hält, muß das schon wehtun.

Heute allerdings möchte ich ihm zujubeln, dem Geschichtskanzler, dem Vereiniger von Welten. Zum besten denkbaren Zeitpunkt, nämlich als ein Wirtschaftsminister bereits dafür durch Schlagzeilen gehetzt wurde, dass er vielleicht doch noch für Atomenergie ist, hat Kohl - oder wohl eher einer seiner Ghostwriter- gleich einen kompletten Artikel für die Bild-Zeitung rausgehauen, der nach schwarz-goldener Lesart wohl der wortreichste Protokollfehler aller Zeiten ist.

Wer immer das geschrieben hat, er hat auf jeden Fall gut aufgepaßt, wie man so redet - und entsprechend auch schreibt - wenn man Kohl ist. Die Kunst, Worthülsen mit positiv verknüpften Schlagworten zu verknüpfen: Wieviele davon kriege ich in einem Satz unter, ohne dass er seinen Sinn verliert? Wieviele kann ich zwischen zwei Punkte stopfen, bevor oder gerade damit auch der letzte vergißt, worum es eigentlich geht? Wenn der Mann noch rhetorische Fähigkeiten gehabt hätte, der wäre jetzt noch Kanzler.

Nehmen wir mal diese Passage:

Vor dem Hintergrund des Unglücks in Japan ist Deutschland also gerade jetzt gefordert, seine Verantwortung nach innen wie außen als führende Industrienation und Technologieführer wahrzunehmen und im Rahmen des Machbaren und Möglichen Wege nach vorn zu weisen. Wenn wir jetzt Ruhe und Nachdenklichkeit, Mut, Zuversicht und Führung zeigen, bin ich sicher, dass wir unsere Verantwortung weiter in der Weise wahrnehmen können, wie es die Menschen in unserem Land und unsere Partner in der Welt von uns erwarten.

Ja, ich weiß, es ist hart. 16 Jahre lang war jede Regierungserklärung so, genau so. Die Leute baden sozusagen in Heißluft, sie suchen verzweifelt Halt, irgendwas mit Substanz, und dann kann man eigentlich echt alles hinterherschieben. Nur nicht das hier:

Ein überhasteter Ausstieg wird zum Guten nichts bewirken.

FAIL

Das war halt auch 16 Jahre lang so: Dabei zusehen, wie sich all die zusammengefönte staatmännische Attitüde in einem Schwall kaltem Wasser verabschiedet, und übrig bleibt... ein Oggersheimer.

Heben wir also nochmal ab:

...würde das Fundament unserer Industriegesellschaft aushöhlen, uns technologisch isolieren, unsere Abhängigkeit von weniger sicheren Kernkraftwerken erhöhen und – wegen unserer erhöhten Nachfrage – die Zahl weniger sicherer Kernkraftwerke in zumal unmittelbarer Nachbarschaft unseres Landes womöglich vergrößern. Wer den schnellen Ausstieg ohne Alternative jetzt propagiert, muss auch diese zweite Seite des Ausstiegs offen benennen.

... und landen wir noch mal hart:

Unser Ja, mein Ja jedenfalls, zur Kernenergie ist mir im Bewusstsein des Restrisikos nie leicht gefallen, es war immer nur ein Jein oder, besser gesagt, ein konditioniertes, aber klares Ja zu einer Brückentechnologie.

Eine Brückentechnologie in ein technologisch isoliertes, von unsicheren Kraftwerken abhängiges Zeitalter, aber dafür konditioniert. Konditioniert?

Konditioniert: folgsam, lieb, gehorsam, untertaenig,

Falls Sie mal Synonyme suchen sollten

Da sehen Sie jedenfalls, dass die Merkel eine gelehrige Schülerin ist. Die Herzen seiner Anhänger dürfte er damit auch erreichen: Es vergeht kein Artikel zu dem Thema, in dem mir nicht Fans der Kernkraft eine Millione tausend AKW's in Frankreich aufzählen, die auch dann noch da sind, wenn wir dann ausgestiegen sind. Es wird also garnicht sicherer. Sowas halten CDU-Leute für einen Weg, mich mit der Kernkraft zu versöhnen: Selbst wenn ich alle Reaktoren hierzulande stillege, ist damit nicht gewonnen, weil rund um uns herum zehntausend weitere potentielle GAUs stehen.

Mich fasziniert vor allem das Selbstbewußtsein, das irgendwo dadrin versteckt ist: Kohl sagt auch, wir hätten die sichersten und schönsten  Meiler überhaupt, und ohne unsere Forschung und Entwicklung hierzulande ist die Welt verloren. Nun ist es zwar dank schwarz-gold schon durch deren Verlängerungsbeschluß mit Forschung und Entwicklung vorbei gewesen, aber wenn ich so denke, wenn ich von den weltbesten Ingenieuren schreibe: Und dann trauen wir uns wirklich nicht zu, die alternativen Energien voranzutreiben?

Ist es denn überhaupt kein Ansporn, saubere und umweltschonende Technolgien zu entwickeln und marktfähig zu machen, die einem  nicht mit ein bißchen Pech weite Landstriche verstrahlen?! Wenn wir so geile Atomkraftwerke bauen können (hey, das ist nicht auf meinem Mist gewachsen, aber ansonsten macht das ja wirklich garkeinen Sinn mehr), da traue ich uns nicht zu, eine autarke Stromversorgung mit regenerativen Energien auf die Beine zu stellen? In 15 Jahren?

Überlegen Sie mal, was vor 15 Jahren technologisch undenkbar war - Sie baden gerade ihre Hände drin, nur mal so als Beispiel. Vor 15 Jahren wäre mein Computer nicht mal in der Lage gewesen, all die flirrende Werbung auch nur abzubilden, die er jetzt aus der ganzen Welt in Millisekunden zugeschossen bekommt. All die fehlgeleitete Energie müsste man nur mal anders kanalisieren. Ach ja, man darf  Forschung und Entwicklung für Alternativen dann auch nicht zusammenstreichen, hat Kohl wohl vergessen, aufzuschreiben.

Jetzt aber erstmal das Wetter.

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