Guido Westerwelle steht zur Zeit unter schwerem Beschuss. Aus seiner eigenen Partei gibt es fast täglich Rücktrittsforderungen, selbst von mehreren Landesvorsitzenden. Auch die Medien stellen kaum verhohlen die Frage, ob er noch eine Zukunft als Parteivorsitzender (und auch als Außenminister) hat. Westerwelle selbst hat einen Rücktritt zwar abgelehnt, aber auch nicht definitiv zugesagt, beim nächsten FDP-Parteitag wieder als Vorsitzender zu kandidieren. Täte er dies nicht, dann kann man sich auch kaum eine weitere politische Aktivität Westerwelles vorstellen.
Dennoch wäre ein Rücktritt Westerwelles kaum begrüßenswert. Dies würde nur die Story bedienen, bei den Problemen der FDP handele es sich nur um ein Personalproblem. Würde Westerwelle zurücktreten, würde quasi der ganze Schmutz, der sich in nur etwas über einem Jahr Regierungszeit angesammelt hat, weggespült, und die FDP könnte den Neuanfang wagen, so die Hoffnung vieler. Doch dies sind bloß Hirngespinste. Das Problem der FDP ist nicht Westerwelle, das Problem ist, dass sie eine Partei ist, die als einzige noch ohne jedes Anzeichen von Einsicht am Mantra der sich selbst regulierenden Märkte festhält. Eine Partei, für die Steuersenkungen die Lösung für alles sind, für die Käuflichkeit und Vetternwirtschaft keine Fehler, sondern elementarer Bestandteil politischer Umgangsformen sind.
Würde Westerwelle zurücktreten, besteht jedoch die Gefahr, dass gerade die Mainstream-Medien den verlorenen Sohn FDP wieder in die Arme schließen. Mit einem Vorsitzenden, der, egal wer es ist, sympathischer wäre als Westerwelle, könnte man wieder Zustimmung bei denen erwerben, die Westerwelle durch seine Forschheit abgeschreckt hat. Die Mehrwertsteuersenkungen für Hotels würde man dann wohl symbolisch zurücknehmen als Zeichen des “Neubeginns” der FDP, die Journaille könnte sie endlich wieder feiern. Im Kern würde sich jedoch kaum etwas ändern. Die Kopfpauschale, die völlig verantwortungslose Haltung bei EU-Wirtschaftsfragen, das Waltenlassen der Union bei der Sicherheitspolitik und den Bürgerrechten, und vor allem die völlig unsinnige Forderung (die sich nun leider auch noch langsam durchzusetzen beginnt) nach Steuersenkungen würden freilich bleiben.
Machen wir uns nichts vor: Die FDP wird nicht wieder zur sozialliberalen Partei der 70er Jahre werden. Sie besetzt die marktradikale Position im Parteienspektrum – oder sagen wir besser, die marktradikalste. Im Feld der gesellschaftsliberalen und sozial ausgerichtete Parteien haben sich viel eher die Grünen etablieren können, hinzu kommen die Piraten, außerdem Teile von SPD und der Linken. Und wir müssen es realistisch betrachten: Großindustrie, Finanzwirtschaft und Lobbys werden immer einen politischen Arm finden. Ob nun Westerwelle Vorsitzender ist oder nicht.
Allein Westerwelle für die dramatischen Umfragewerte der FDP (derzeit 3%) verantwortlich zu machen, ist außerdem so verkürzt wie kurzsichtig. Das Problem sind nicht die Personen, es an diesen festzumachen ist im wahrsten Sinne des Wortes populistisch. Das Problem sind die Strukturen, das Problem ist eine immer egoistischer werdende Gesellschaft, in der tatsächlich bei der letzten Wahl über 14% ihr Kreuz bei der FDP machten. Das Problem ist ein Staat, der die Konzepte von Lambsdorff und Co. seit fast 30 Jahren umsetzt. Das Problem ist der “Liberalismus”, wie ihn die FDP versteht. Westerwelle ist dabei nur die Art Politiker, wie sie von unserem System hervorgebracht wird – nur vielleicht ein klein wenig zugespitzt.
Westerwelle zum Sündenbock zu machen, ist also falsch. Unsere Medien”demokratie” neigt aber nun einmal, das dürfte ja bekannt sein, zu Personalisierungen. Und gerade deshalb darf Westerwelle nicht zurücktreten. Er ist quasi nur der konsequente Ausdruck der Politik der FDP, er demonstriert schon an seinem eigenen Verhalten, wie ihre neoliberale Weltanschauung aussieht: egoistisch, rücksichtslos, und dazu noch inkompetent. Erkennen die meisten Menschen nicht die Fehler in den Strukturen, so erkennen sie aber offensichtlich persönliche Fehler. Westerwelle macht die FDP noch unwählbarer, als sie es schon ist – und deshalb muss er bleiben.
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