Warum werden Gaskraftwerke statt AKWs abgeschaltet?

Von Antiatomowl

Wir bräuchten einen schnellen Ausstieg

Aus einem überaus aufschlussreichen Interview zu einer grundlegenden Frage in der Anti-Atom-Zeitung “ausgestrahlt”. Dort werden viele Fragen gestellt, die sich derzeit viele in Deutschland stellen. Die Antworten sind gut und machen verständlich, was derzeit falsch läuft und wer dafür verantwortlich ist.

Der Text ist im Rundbrief Nr. 20 von ausgestrahlt erschienen.

Herr Hohmeyer, Gaskraftwerke werden stillgelegt, die AKW hingegen bleiben in Betrieb. Was läuft da schief?
Solange Sie AKW am Netz haben und einen Marktmechanismus, der rein nach den Grenzkosten geht, sind die AKW deutlich günstiger als ein Gaskraftwerk.

Weil das AKW schon abgeschrieben ist und das Gaskraftwerk höhere laufende Kosten verursacht?

Nein, am Markt werden die Investitionskosten nicht berücksichtigt. Beim Atomstrom wird aber sogar ein Teil der laufenden Kosten, etwa für die Entsorgung des Atommülls, nicht in Rechnung gestellt. Solange das AKW also am Markt ist, wird es die Gaskraftwerke, die hohe laufende Kosten
[=hohe Grenzkosten] haben, verdrängen. Da kommen Sie nur raus, wenn Sie sagen: „Wir schalten das Ding ab.“

Warum sind Gaskraftwerke so wichtig für die Energiewende?

Weil Sie, je mehr Sie auf erneuerbare Energien setzen, flexibel und mit hoher Geschwindigkeit genau die Lücke zwischen der Stromnachfrage und der erzeugung aus Wind und Sonne auffüllen müssen. Dafür taugen AKW genauso wenig wie Braunkohlekraftwerke. Ein modernes Gaskraftwerk fahren Sie im Zweifelsfall in 30 Minuten hoch. Beim Atomkraftwerk können Sie da bis nächste Woche warten. Deswegen muss man auch den Strommarkt anders organisieren: Er muss die Kraftwerke belohnen, die schnell und flexibel sind.

CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne haben nach Fukushima beschlossen, acht AKW stillzulegen – und, dass von den übrigen neun die meisten noch bis 2022 laufen sollen. Sie haben damals geschrieben, man könne das allerletzte AKW schon Ende 2014 abschalten …

Wir haben die verfügbaren konventionellen Kraftwerke angeschaut und die, die damals schon in Bau oder weit geplant waren. Außerdem die Leitungskapazitäten zwischen Nord- und Süddeutschland.

Warum konventionelle Kraftwerke?

Man muss ja jederzeit ausreichend gesicherte Leistung zur Verfügung haben, um die Nachfrage zu bedienen. Es reicht nicht, wenn Sie in der Summe des Jahres genug Strom produzieren. Sie müssen auch in jeder Sekunde den Strom erzeugen, den Sie verbrauchen. Deshalb brauchen wir im Übergang, bis wir nennenswerte Stromspeicher haben, andere, gut regelbare konventionelle Kraftwerke – im Wesentlichen Gaskraftwerke, die, wenn mal kein Wind weht und keine Sonne scheint, die Erneuerbaren ersetzen und ergänzen können.

Und zu welchem Ergebnis kamen Sie?

Allein durch die Gas- und Kohlekraftwerke, die 2011 in Bau oder fast zu Ende geplant waren, hätten wir Ende 2014 genügend Kraftwerksleistung gehabt, um alle AKW problemlos zu ersetzen.

Wäre das nicht ein Klimaproblem?

Nein. Wenn wir mittelfristig den Ausbau der regenerativen Energien und der Speicher beschleunigen, dann können wir, gerechnet über die gesamte Zeit des Umstiegs auf erneuerbare Energien, die anfänglichen Mehremissionen mehr als ausgleichen. Sie müssen bloß, wenn Sie A gesagt haben – „Kurzfristig ersetze ich das Gefahrenpotenzial der Atomkraft durch Gas.“ –, auch B sagen: „Jetzt marschiere ich mit maximaler Geschwindigkeit in ein 100 Prozent regeneratives Energiesystem.“ Die CO2-Bilanz wäre dann unterm Strich deutlich besser als bei dem Ausstiegstempo, das die Bundesregierung derzeit anpeilt.

Wenn man die Kraftwerksliste im Anhang ihrer Studie durchgeht, haben sich drei Projekte mit einer Leistung von zusammen 1.700 Megawatt über 2014 hinaus verzögert. Dafür sind andere fossile Kraftwerke mit zusammen 1.500 Megawatt hinzugekommen.

Das habe ich nicht noch mal untersucht.

Deutschland hat 2012 so viel Strom exportiert wie noch nie. Da müsste doch jede Menge Spielraum drin sein, sofort weitere Reaktoren abzuschalten.

Da haben Sie Recht, im Moment haben wir einen tiefenentspannten Markt:
Wir exportieren sogar, wenn wir wenig Wind und Sonne haben, noch fünf, sechs, sieben Gigawatt. Und das scheint selbst bei einer eigenen Netzlast [=Verbrauch] von 80 Gigawatt sehr entspannt zu sein. Selbst in diesen Hochlastphasen sind also einige AKW in Deutschland nur für den Export gelaufen. Aber man muss sich das natürlich für jede Stunde ankucken – und vom worst case ausgehen.

Was ist denn der worst case?

Wenn es überhaupt keinen Wind und keine Sonne gibt und Sie den gesamten Strombedarf mit konventionellen, Biomasse- oder Laufwasserkraftwerken abdecken müssen. Und das an einem kalten Wintertag mit maximaler Last, die so um die 80 Gigawatt liegt. Dazu brauchen Sie noch eine Reserve, falls irgendwo mal ein Kraftwerk ausfällt.

Von wie vielen Stunden, Tagen, Wochen worst case im Jahr reden wir denn?

So eine Flaute im Winter kann schon mal anderthalb Wochen dauern. Wobei natürlich die maximale Last immer nur ein paar Stunden am Tag nachgefragt wird.
… und das Stromnetz längst ein europäisches ist.

Klar. Das entspannt die Lage zusätzlich. Wir wollten in unserer Studie
2011 bloß zeigen, dass wir so eine Situation auch ganz alleine meistern
können.

Man könnte auch die Nachfrage ein wenig an das Angebot anpassen, um Worst-case-Situationen zu vermeiden, oder?

Natürlich. Das betrifft aber große Industrieprozesse, mit deren Betreibern man sich erst einigen muss, zu welchen Preisen sie bereit sind, ihre Nachfrage temporär zu drosseln. Das ist im Moment im Fluss:
Einige bieten eine Reduzierung ihrer Last schon auf dem Regelenergiemarkt an.

Welche Möglichkeiten gibt es noch, den Strombedarf auch in wind- und sonnenschwachen Momenten zu decken?

Mittelfristig natürlich die Speicher. Die können für eine bestimmte Zeit auch gesicherte Leistung bereitstellen. Wenn Sie mit so einem Speicher bloß über den Tag kommen, kappt das schon die tägliche kurze Spitzenlast. Langfristig werden Speicher sowieso die Lösung sein.
Kurzfristig aber brauchen wir vor allem schnellstartende, gut regelbare Gaskraftwerke.

Könnten das auch viele kleine Blockheizkraftwerke in vielen Kellern sein?

Je kleiner die Einheiten sind, desto günstiger ist sogar ihr Startverhalten: Ein Blockheizkraftwerk benötigt gerade mal 90 Sekunden, um auf Volllast zu kommen. Es muss aber natürlich im Bedarfsfall
zentral vom Netzbetreiber gesteuert werden können. An der Stelle macht der Begriff vom smart grid jede Menge Sinn.

Vor zwei Jahren planten nicht wenige Stadtwerke noch den Bau großer Gaskraftwerke. Damit wollten sie auch unabhängiger werden von den großen Stromkonzernen. Inzwischen liegen viele dieser Projekte auf Eis. Warum?

Die sind ökonomisch tot.
Atomkraft und Braunkohle, zusammen mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, nehmen die Gaskraftwerke in die Zange. Sie bräuchten einen relativ schnellen Ausstieg aus der Atomkraft – dann wären diese Kraftwerke wieder rentabel.

51 Prozent der Bevölkerung sind dafür, die AKW schneller abzuschalten als geplant. Wer noch?

Es gibt eine ganze Reihe von Akteuren im Markt, die froh wären, wenn sie die Atomstromkapazitäten schneller los wären. Sonst gehen nämlich ihre Gaskraftwerke auch noch pleite.

In den aktuellen politischen Diskussionen geht es vor allem darum, wie man den Ausbau der erneuerbaren Energien bremsen kann.

Was Altmaier und Rösler da verzapfen, ist unterirdisch. Das geht richtig an der Sache vorbei. Es ist der vorletzte Versuch, zu verhindern, dass es doch noch zum Umstieg auf erneuerbare Energien kommt.

Wundert Sie das?

Nein.
Die Atomkraftwerksbetreiber und ihre Lobby werden sich bis zur letzten Sekunde wehren, bis sie ganz raus sind. Da geht es um viel, viel Geld.

Dr. Olav Hohmeyer ist Professor für Energie- und Ressourcenwirtschaft an der Uni Flensburg und Mitautor des Kurzgutachtens “Atomausstieg 2015 und regionale Versorgungssicherheit”. Von 2008 bis 2012 war er Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) und verantwortlich für das Sondergutachten “Wege zur 100% erneuerbaren Stromerzeugung”.