!Der Mindestlohn kommt, jedoch nicht flächendeckend. Die mächtige Lobby der Zeitungsverleger hat es geschafft, sich selbst von den gesetzlichen Regelungen auszuklammern. So gilt der vorgeblich flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde nicht für die rund 160.000 Zeitungszusteller in diesem Lande. Warum ausgerechnet Zeitungszusteller? Die Kritik der Medien an diesem lächerlichen Kuhhandel bleibt erwartungsgemäß aus. Willkommen in der Bananenrepublik Deutschland. Von Jens Berger.
Mit zwei Ausnahmen gehören sämtliche Tageszeitungen mit einer Auflage von mehr als 200.000 Exemplaren Familien, die in der Manager-Magazin-Top-500-Liste der reichsten Deutschen vertreten sind. Und das kommt nicht von ungefähr. Allen Unkenrufen zum Trotz ist und bleibt die Verlagsbranche hoch rentabel. Wie viele andere Branchen erwirtschaftet die Verlagsbranche ihre Renditen auch auf dem Rücken von Niedriglöhnern. Neben den zum Teil sehr schlecht bezahlten Journalisten sind es hier vor allem die Zeitungszusteller, die unter prekären Arbeitsbedingungen leiden. Laut Zeitungsbranche würde die Einführung eines Mindestlohns für die Verlage Mehrkosten in Höhe von 225 Millionen Euro bedeuten. Umgerechnet heißt dies, dass jeder einzelne Zeitungszusteller 1.406 Euro pro Jahr mehr bekäme, wenn er mit 8,50 Euro pro Stunde bezahlt würde – für Minijobber ist dies eine gewaltige Zahl. Oder um es kurz und bündig zusammenzufassen: Wenn wir über die Einführung eines Mindestlohns sprechen, geht es dabei vor allem um Berufe wie die des Zeitungszustellers.
Die Macht der großen Verlegerfamilien hat es jedoch verhindert, dass die Zeitungszusteller voll vom neuen Mindestlohn profitieren. Zunächst versuchte Arbeitsministerin Andrea Nahles den Verlegern den Mindestlohn durch einen Rabatt bei den Sozialabgaben für die Zeitungszusteller schmackhaft zu machen. Dagegen lief ausgerechnet der Wirtschaftsflügel der CDU Sturm. Heraus kam ein „Kompromiss“, der besagt, dass Zeitungszusteller erst einmal vom Mindestlohn ausgenommen sind. Die Lobbyarbeit der Verleger hat also Früchte getragen. Es kommt auch nicht jeden Tag vor, dass eine Branche von der Politik ein 225-Millionen-Euro-Geschenkt überreicht bekommt. Da versteht es sich von selbst, dass man dem geschenkten Gaul nicht ins Maul schaut. Oder haben Sie in ihrer Zeitung einen kritischen Artikel über das Millionengeschenk an die Verlegerfamilien gelesen?
Warum nimmt die Politik ausgerechnet Zeitungszusteller vom Mindestlohn aus? Die Begründung der Verlegerlobby ist wahrlich drollig. Da ein Mindestlohn die wirtschaftliche Existenz etlicher Zeitungen verletzen würde, stünde die Pressefreiheit in Gefahr, so vermeldete es das Handelsblatt. Geht es nicht noch ein bisschen grotesker und dreister? Nach dieser Logik sind auch Hungerlöhne für Krankenpfleger gerechtfertigt, da ansonsten ja Krankenhäuser geschlossen werden müssten und die öffentliche Gesundheitsvorsorge in Gefahr wäre. Nach dieser Logik ließen sich in so ziemlich in jeder Branche Hungerlöhne rechtfertigen. Manche Logik glänzt nun einmal vor allem darin, dass sie hanebüchen unlogisch ist. Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut. Sie besagt jedoch nicht, dass die Verlegerfamilien ein durch das Grundgesetz abgesichertes Recht darauf haben, ihre Mitarbeiter auszubeuten und Traumrenditen einzustreichen.
Leider haben die Politiker der Großen Koalition jedoch ganz offensichtlich nicht den Schneid, sich gegen die Erpressungsversuche der Verleger zu wehren. Im Gegenteil, die Ausnahme der Zeitungszusteller aus dem Mindestlohn ist ein gefährliches Indiz dafür, wie wenig Macht die Politik in unserer Gesellschaft eigentlich hat. Nach dem Leistungsschutzrecht tanzt die Bundespolitik nun schon zum zweiten Mal binnen weniger Monate nach der Pfeife der Verleger.
Was die Verleger für dieses „Wohlverhalten“ bieten, dürfte wohl unstrittig sein. Der unausgesprochene Deal scheint folgendermaßen zu lauten: Ihr haltet Euch mit Kritik an der Großen Koalition zurück und wir verabschieden Gesetzte, die Euch gefallen. Man könnte dies auch Korruption nennen, aber so etwas gibt es bei uns ja nicht. Wir sind ja schließlich keine Bananenrepublik. Oder doch?”