Warum Sufis aus Sicht ultra-orthodoxer Geistlicher im Iran gefährlich für die Revolution sind und deshalb immer wieder Attacken ausgesetzt sind

Von Mehriran

27.08.2018Hintergrund

mehriran.de - Das Regime im Iran steht vor ernsten Herausforderungen, die jedes Land nur unter der Bedingung eines unbedingten Schulterschlusses differierender Gruppierungen bewältigen könnte. Doch selbst das früher geschlossen auftretende politische Establishment trägt inzwischen innere Zerwürfnisse offen aus. Zudem erhöht sich die Drangsal der Mehrheitsbevölkerung auf Grund der Wirtschaftskrise und die Not Andersdenkender. So scheut sich das Regime nicht vor entwürdigenden Massnahmen. Seit mehr als 170 Tagen steht das 91-jährige Oberhaupt des Nematollah Gonabadi Ordens, Dr. Nour Ali Tabandeh, unter Hausarrest und Isolation. Der Mann bedarf medizinischer Versorgung. Vermutlich geht es um die Nachfolge des Oberhaupte, die der Staat gerne in seinem Sinne organisieren würde. Üblicherweise wird die Nachfolge in einem Sufi Orden auf Grundlage spiritueller Gesetzmäßigkeiten geregelt. Hier scheint der Staat aus politischem Interesse eingreifen zu wollen, um die 4-8 Millionen Anhänger des größten schiitischen Ordens der Treue gegenüber dem Regime zu verpflichten.

mehriran.de - Mehr als 450 Jahre Haft, über 3000 Peitschenhiebe, mehr als 30 Jahre Exil in weit entlegenen armen Provinzen, Betätigungsverbote, Verbote von Auslandsreisen und Mitgliedschaften in politischen Parteien, sowie Publikationsverbote. Das ist die Bilanz der Urteile gegen 67 Derwisch Frauen und Männer des Nematollah Gonabadi Sufi Ordens im Iran, die im Februar für die Freilassung eines zu Unrecht verurteilten Derwisch Bruders auf die Straße gegangen waren und von Spezialkräften der Polizei brutal attackiert und verhaftet wurden. Weitere Urteile stehen aus.

Es hatte Ende des Jahres 2017 mit einem Kontrollposten einiger Bassidschi Zivilagenten in einer idyllischen Straße im Golestan Viertel begonnen. Einer der Bewohner dieser Straße heißt Dr. Nour Ali Tabandeh[1], 91 Jahre alt. Seine Frau starb schon vor einigen Jahrzehnten, als Regimeverantwortliche den ehemaligen Anwalt, Richter und Vizeminister im Gefängnis quälten. Erst 1997 wurde Tabandeh Oberhaupt des Nematollah Gonabdi Ordens. Die spirituelle Nachfolge regelt der Vorgänger stets mit einem schriftlichen Testament. Es heißt, der größte schiitische Sufi (auch Derwisch) Orden habe zwischen 4 und 8 Millionen Mitglieder im Iran. Sie verstehen sich als schiitische Muslime, die Toleranz, Offenheit und Zugewandtheit als Werte hochhalten.

Der Kontrollposten sollte den Zugang zur Wohnung des greisen Oberhaupts des Nematollah Gonabadi Ordens überwachen. Das Gerücht ging um, es gebe einen heimlichen Haftbefehl gegen das Oberhaupt, um ihn ins Gefängnis zu verbringen und so lange unter unwürdigen Bedingungen festzuhalten, bis sein Leben verlöscht wäre. Dieser Haftbefehl wurde lange dementiert, aber eine verlässliche Quelle hat nach erfolgreicher Flucht aus dem Iran, Dokumente[2]vorgelegt, die diesen Haftbefehl bezeugen.

Der Staat beansprucht sich den unabhängigen Orden einzuverleiben und den Nachfolger zu bestimmen. Die Geschichte erinnert stark an die Vorgänge um den Dalai-Lama in Tibet[3]und den Anspruch der chinesischen Führung auf die absolute Kontrolle über die Gesellschaft.

Zahlreiche Derwische hatten sich am Haus ihres Oberhauptes zu seinem Schutz versammelt und verhinderten die Errichtung des Kontrollpostens. Von Seiten des Regimes wurde immer wieder versichert, es gäbe keinen Haftbefehl. Man forderte die Dewische auf, den Ort zu verlassen. Doch sie trauten den Versprechungen der Regimevertreter nicht und blieben. Der erneute Versuch einen Kontrollposten zu errichten im Februar 2018, führte zu Eskalationen. 

Ein Derwisch und ehemaliger Pasdaran Kommandeur mit Heldenstatus[4]Mohammad Rádschi[5], wurde im Gefängnis zu Tode gefoltert, ein weiterer, Mohammad Salas[6], wurde in schwer verletztem Zustand zu einem Geständnis gezwungen, mit einem Bus drei Polizisten zu Tode gefahren zu haben und nach einem unfairen Prozess zum Tode verurteilt und schnell hingerichtet. Die Fakten[7]sprechen gegen seine Schuld.

Während die Derwische in Teheran zum Teil schwer verletzt und ohne ärztliche Behandlung ins Gefängnis verbracht worden waren, regte sich in der nordöstlichen Provinzstadt Maschad ein bekannter Hassprediger namens Ahmad Alamolhoda[8]. Er verlangte harte Strafen für die Derwische und die Bestrafung ihres Oberhauptes, der nicht die Unruhen verhindert hätte und vermutlich den Befehl gegeben habe, die Sicherheitskräfte zu töten. Weiterhin bediente er die Legende, die von orthodoxen Mullahs aufgebracht wurde, dass Derwische im Iran keinerlei Wurzeln habe und der Orden eine Erfindung der britischen Kolonialisten gewesen sei, um die orthodoxen Mullahs zu schwächen. Alamolhoda erweiterte seine Anschuldigungen: "Es ist ein großer Fehler der Verantwortlichen gewesen, dass sie in den vierzig Jahren der Revolution diesen Kult nicht beseitigt haben. Jetzt ist die Zeit gekommen dies nachzuholen."

Alamolhoda ist kein Unbekannter. Man rechnet ihn der erzkonservativen Geistlichkeit zu. Er bekleidet das religiöse Amt des Freitagspredigers in Maschad und das politische Amt des Stellvertreters des Obersten Führers in der Provinz Razavi-Chorasan. Seine Positionen sind klar und fest umrissen: wer nicht der religiös verbrämten Staatsideologie folgt, ist ein Verräter, ein Anti-Revolutionär und hat schwerste Strafen verdient. Aus dieser Logik erfolgen hetzerische Schriften und Aufrufe friedlicher Gruppen, die sich für die Trennung zwischen Religion und Staat aussprechen, zu diskreditieren, zu verfolgen und entweder zum Schweigen oder zur Kooperation mit dem Regime zu zwingen. Alamolhoda gehört zum Kreis um Ebrahim Raisi[9], dem bei der letzten Präsidentschaftswahl gegen den Amtsinhaber Rohani gescheiterten Hardliner. Die vornehmlichsten Methoden dieser Allianz sind Zwang, Gewalt und mörderische Hetze.

Zu ihr zählen die Brüder Vahid[10]und Said[11]Dschalili, Hossein[12]und Mehdi[13]Taeb. Sie besetzen allesamt Schlüsselstellen im Tiefenstaat. Eine der aktivsten Institutionen Irans, die Propaganda gegen Sufis und andere Andersdenkende verbreitet, ist das Institut für Fragen zu Religionen und Glaubensgemeinschaften (Moasseseyeh Elmieh Adyan va Feragh), das aus Qom nach Maschhad umgezogen ist.

Zu diesem Netzwerk gehören auch Parlamentarier der Fraktion Dschebeh Paydari wie Morteza Aq Tehrani, Ahmed Salek, Ruhollah Hosseinian, Hamid Rezaei, Mahmoud Nabvian, Nasrollah Pejmanfar, Ismail Kusari, Masoud Mirkazemi, Mohammad Soleimani, Habibollah Aghajari, Zahra Tayebazadeh, Amir Hossein, Ghazizadeh, Shahrooz Afkhami, Hossein Tala, Shokrkhoddo Mousavi, Ali Asghar Zarei und Bahram Piranwand. Der Filmemacher Nader Talebzadeh[14], der Ideologe Hassan Abbasi[15]und Pasdar Said Ghassemi[16]gehören zu den eifrigsten Vertretern dieser "Feinde des Westens". Prominentester "Austauschpartner" und Unterstützer dieses iranischen Netzwerkes im Ausland ist Aleksander Dugin[17], ein russischer Politik-Philosoph, der von einer religiös-ideologisch geprägten Staatsführung träumt und in seinen Büchern das die Welt dominierende Großrussische Reich herbeisehnt. Beobachter sprechen von einer weltweiten Vernetzung einiger Neofaschisten, zu denen, neben Dugin, auch deutsche, britische, französische, italienische, griechische und amerikanische Einzelpersonen und Gruppierungen gehören. Einigendes Band ist der Kampf gegen Liberalismus, Demokratie und westliche Werte wie zum Beispiel Meinungsfreiheit.

Sufis bezeichnen sich als unpolitische Menschen. Sie stehen für eine Trennung von Politik und Religion. Im Iran gilt dem Regime eine solche Haltung jedoch als politisches Statement, das gerne auch zum Strafbestand der "Gefährdung nationaler Sicherheit" stilisiert wird. Sufis betrachten ihre spirituellen Ansätze und ihren Glauben als Privatangelegenheit. Zugleich sind sie Bürger ihres Landes und nehmen als solches auch Teil an Wahlen. Bei der Wahl 2005 haben viele Derwische Mehdi Karroubi[18]unterstützt. Sie taten es, weil er als einziger hochrangige Politiker vorhergegangene Angriffe gegen Sufi-Einrichtungen und Mitglieder des Ordens durch Sicherheitskräfte verurteilt hatte. Diesen Umstand nutzt das Regime, um Sufis vorzuwerfen, sie seien eine politische Gruppe und würden gegen den Staat agieren. So haben regional unterschiedlich intensive Hetzkampagnen mit tätlichen Angriffen gegen Sufis[19]und ihre Einrichtungen stattgefunden. Immer wieder stand auch das Oberhaupt[20]des Nematollah Gonabadi Sufi Ordens, Dr. Nour Ali Tabandeh[21], im Fokus von Übergriffen. Der 91-jährige[22]gehörte zu Beginn der Revolution als Vizeminister dem Kulturministerium an. 

Seit den Ereignissen im Februar unterliegt er einem Kontaktverbot zu seinen Derwischen und steht unter Hausarrest, während die Mitglieder des Ordens mehr und mehr in zwei Fraktionen gedrängt werden. Das Regime hat ein fünfköpfiges Gremium bestimmt, das aus regimetreuen langjährigen Mitgliedern des Ordens besteht, das Dr. Tabandeh vertreten soll. Das Gremium hat die Aufgabe für Ruhe unter den Derwischen zu sorgen und vor allem den Anschein zu erwecken, dass sie Ausführende von Dr. Tabandehs Gedanken und Anordnungen seien. Sie vermitteln Botschaften an die Mitglieder des Ordens, die vor allem dazu da sind, das Regime gut dastehen zu lassen und die Derwische in Schach zu halten, angesichts der vielen Inhaftierungen und harten Urteile nach den Februar Ereignissen. 
Ein Teil der Derwische durchschaut das Spiel und hält die Mitglieder des Gremiums für Marionetten des Regimes, die eine Wand zwischen ihnen und dem Oberhaupt bilden. Als treibende Kraft die Botschaften des fünfköpfigen Gremiums zu hinterfragen, gilt der Vertreter der Gonabadi Derwische im Ausland, Dr. Seyed Mostafa Azmayesh, der im Exil in Paris lebt. 

Nachdem der US-amerikanische Außenminister Mike Pompeo[23]am 22. Juli 2018 in einer Rede vor 600 Exiliranern die Situation der Derwische und ihres Oberhauptes erwähnte, versuchte eine hochrangige Delegation der Pasdaran zusammen mit dem fünfköpfigen Gremium Dr. Tabandeh dazu zu nötigen, ein Video von sich aufzunehmen, in dem er eine Gegendarstellung veröffentlicht und alle Vorwürfe gegen das Regime im Zusammenhang mit den Derwischen entkräftet. Dr. Tabandeh ließ sich jedoch zu keiner Gegendarstellung drängen und blieb selbst nach verbalen Angriffen durch die Pasdar bei seiner Aussage: "Sie möchten zu einer Aussage eines Politikers der USA ein Statement von mir haben. Ich kann kein politisches Statement abgeben. Für politische Angelegenheiten ist Herr Zarif (Außenminister Irans) zuständig."

Es heißt, selbst der Präsident Rohani und der Oberste Führer Chamenei seien gegen den Hausarrest. Chamenei verklausuliert solche Anordnungen in folgende Worte: "Wir sollten keine Konflikte innerhalb unserer Gesellschaft schüren, denn der Feind hat ein Interesse daran uns zu spalten und uns zu schwächen, geben wir ihm dazu keinen Anlass." 

Doch das Netzwerk innerhalb der Machtelite hat eine eigene Agenda und weiträumige Spielräume der Machtausübung. Sie scheinen diese Anordnung zu ignorieren.

Manche Kommentatoren[24]spekulieren sogar, dass es einen Militärputsch im Iran geben könnte. Doch die Aussichten einen solchen Militärputsch mit Erfolg aufrecht zu erhalten scheinen gering, denn die Legitimität des Regimes würde auf noch schwächeren Beinen stehen, die Bereitschaft der EU Geschäfte aufrechtzuerhalten, würde wahrscheinlich aufhören und ob die Wirtschaft dadurch wieder in Gang käme, lässt sich bezweifeln.

Was zweifellos feststeht, sind die politischen Urteile durch die Justiz im Iran gegen Menschen, die ihre Meinung vertreten und sich für Rechte anderer einsetzen. Zuletzt waren viele Sufis[25]betroffen, oft sind es Kurden oder Baha'i, Sunniten oder konvertierte Christen, Ahwazis oder Belutschen. Sogar Anwälte[26]wie die Sacharow Preisträgerin Nasrin Soutudeh werden in Haft gekommen. Man wirft Frau Sotoudeh vor, Spionage für ausländische Mächte betrieben zu haben. Verurteil wurde sie in Abwesenheit und bei einem Blitzbesuch bei ihr zu Hause festgenommen. Ihre Protestschreiben an die Behörden, fanden kein Gehör. Auch von Frau Mogherini, der Außenbeauftragten der EU ist nicht viel zu hören. Stattdessen werden Zahlungen in Millionenhöhe an das Regime bekannt gegeben. Nasrin Sotoudeh ist am Samstag, 25.08.2018 erneut in den Hungerstreik getreten, wie so viele Gefangene in der sogenannten Islamischen Republik Iran. Ob sich ihre Situation verbessert, ist ungewiss.

© Helmut N. Gabel, mehriran.de


[1]monitoring.bbc.co.uk/product/c1douo4u

[2]www.amadnews.org

[3]www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/tibet-china-besteht-auf-wiedergeburt-des-dalai-lama-a-1022951.html

[4]www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/tibet-china-besteht-auf-wiedergeburt-des-dalai-lama-a-1022951.html

[5]www.iranhumanrights.org/2018/08/conviction-of-16-sufi-protesters-unprecedented-in-irans-judicial-history/

[6]www.iranhumanrights.org/2018/06/sufi-prisoner-mohammad-salas-buried-after-sudden-execution-without-familys-permission/

[7]www.amnesty.org/en/latest/news/2018/06/iran-sufi-bus-driver-executed/

[8]www.iranhumanrights.org/2018/02/dozens-of-gonabadi-dervishes-hospitalized-in-tehran-as-friday-prayer-leaders-demand-harsh-retribution/

[9]www.zeit.de/politik/ausland/2017-05/iran-massenexekution-islamische-republik

[10]ammarpopularff.com/601/vahid-jalili/

[11]en.wikipedia.org/wiki/Saeed_Jalili

[12]justice4iran.org/human-rights-violator-s-profiles/human-rights-violatorhossein-taeb/

[13]english.alarabiya.net/en/News/gulf/2017/04/16/Iranian-official-admits-Tehran-bid-to-supply-missiles-to-Houthis.html

[14]www.oananews.org/content/news/politics/6th-intl-new-horizon-conf-kicks-mashhad-focuses-jcpoa-al-quds

[15]www.payvand.com/news/13/feb/1211.html

[16]mehriran.de/artikel/prinz-modschtaba-khamenei-sohn-des-falschen-pharaos.html

[17]iranwire.com/en/features/4975

[18]de.wikipedia.org/wiki/Mehdi_Karroubi

[19]english.tau.ac.il/impact/sufis

[20]en.wikipedia.org/wiki/Noor_Ali_Tabandeh

[21]hrwf.eu/iran-dr-noorali-tabandeh-the-head-spiritual-leader-of-the-gonabadi-sufi-order-under-house-arrest-since-20th-february/

[22]www.bbc.com/persian/iran-features-42948479

[23]www.state.gov/secretary/remarks/2018/07/284292.htm

[24]www.aljazeera.com/indepth/opinion/military-coup-iran-180424144510759.html

[25]rsf.org/en/news/sufi-website-journalists-sentenced-long-jail-terms-flogging

[26]english.shabtabnews.com/2018/08/24/fourth-human-rights-lawyer-slapped-with-national-security-charges-in-iran/ 

Zusätzliche Literatur:

irandataportal.syr.edu/wp-content/uploads/the-freedommovementprofile.pdf

seyedazmayesh.com

dorrtv.org

mehriran.de/artikel/die-herren-des-hasses-und-die-qualen-der-menschen.html

eng-archive.aawsat.com/tag/ammariyon

iranwire.com/en/features/4708

english.shabtabnews.com/2017/08/12/mossad-spies-in-close-quarter-to-supreme-leader-iranian-press/

irannewsupdate.com/news/infightings/4093-rift-and-feud-between-rival-bands-at-the-top-of-iran-regime.html

www.crethiplethi.com/ansar-e-hezbollah-recruiting-volunteers-for-suicide-missions-in-bahrain/islamic-countries/iran-islamic-countries/2011/

www.sufism.ir/rahbaran-tarighat/56-en.php

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