Früher waren die Regentropfen anders als heute. Sie waren viel, viel grösser, sehr stachelig und wirkten wirklich plump. Das war aber gefährlich für Mensch und Tier, nicht zu reden von den feineren Exemplaren unter den Pflanzen – denn wenn es regnete, konnten die einen fast erschlagen. Da musste etwas geschehen.
Alle Lebewesen versammelten sich deshalb und überlegten, was zu tun wäre. Vom Virus bis zum Walross waren alle vertreten. Da wurden auch viele Vorschläge gemacht: vom Verbieten des Regens, bis zum Umdrehen: dass der Himmel unten sein sollte und der Boden oben – aber keine der Ideen vermochte richtig zufrieden zu stellen.
Die Treffen wurden nun wiederholt und hatten auch einen Namen: LEBWEVESA (= Lebewesenversammlung). Einmal gab es einen Wettbewerb, an dem man irgendwelche Alternativen zum Regen erfinden sollte. Es war wirklich eine große Beteiligung. Gewinner war der Regenwurm mit der Idee, die Regentropfen zu verkleinern und zudem leichter zu machen. Nun sprachen alle nur noch über diese Idee. Aber eben: wie soll das geschehen. Das wusste der Wurm auch nicht.
Diese Regentropfen waren nicht so einfach zu zerkleinern. Man konnte sie zwar gewaltsam auseinanderbrechen, aber dann verbanden sie sich gleich wieder mit dem erstbesten Tropfen, der vorbeikam, und wurden dadurch sogar noch grösser. Also: Man musste die Regentropfen einerseits an ihrer Eitelkeit packen und sie zugleich kleiner machen.
Zum Glück war bei der nächsten LEBWEVESA auch ein Menschenkind dabei. Dieses erzählte, es hätte bei seiner Mutter gesehen, dass sie sich immer die Finger- und Zehennägel abfeilen würde. Dabei sei die Frau Mama nicht nur überzeugt, dass sie hübscher würde, sondern zweifelsohne würden auch die Nägel leichter und weniger spitz. Das Nilpferd warf der Nilstute einen vielsagenden Blick zu. Klagte sie doch immer, ihre Klauen seien so unglaublich schwer.
Dieser Vorschlag wurde mit großem Interesse aufgegriffen. Es galt jetzt nur noch herauszufinden, wie man diese Idee bei den Regentropfen anwenden könnte. Da kam dann der Vorschlag der Regenfeile. Die Regenfeile sieht ähnlich aus, wie eine normale Feile, aber sie ist wasserfest und hat sehr scharfe Zäckchen, die sehr gut Wasser wegraffeln können. Beim nächsten Regenguss probierten die Schildkröten (denen der Regen wegen ihrem großen Helms sowieso nichts ausmachte) die Feile aus. Siehe da, es gelang, die Tropfen waren sehr eitel und hielten gerne hin, konnte so verkleinert werden und wurden (für die Schönheit) oben rund und elegant. Großer Jubel an der nächsten LEBEWEVESA. Aber es wurde den meisten beim nächsten Regen schmerzlich bewusst, dass es nichts bringt, wenn die Schildkröten die Tropfen kurz vor dem Aufprall noch zufeilten. Das musste viel weiter oben geschehen.
Es fehlte natürlich nicht an Vögeln, die sich freiwillig meldeten, aber beim nächsten Regen zeigte sich, dass die nur ganz wenige Tropfen hinkriegten. Nein, man musste die Tropfen selber anstacheln. So wurde eine große Werbeaktion gestartet, auf denen schön rund zugefeilte Tropfen abgebildet waren und für die Feile geworben wurde. Und siehe da, es gelang: plötzlich glaubten alle Regentropfen, um schön zu sein, müsste man klein, fein und ohne Zacken sein. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich unter den Tropfen die Technik, wie man das machen konnte: mit der Regenfeile. Bald waren alle Regentropfen schlank und fein, und seither hat sich da auch kaum mehr etwas geändert. Hoffentlich wechselt die Mode nie.