Es gibt Projekte in Unternehmen, über die weiß scheinbar jeder Bescheid und es gibt Projekte, die kennt kein Mensch. Stimmt´s? Das hat interessanterweise gar nichts mit der strategischen Bedeutung der Projekte für das Unternehmen zu tun.
Georg leitet ein großes Infrastrukturprojekt in seinem Unternehmen, einer Versicherung. Die Netzwerk-Struktur soll an die gestiegenen Anforderungen angepasst werden. Ein längst fälliges Vorhaben und für die Zukunftssicherung wichtig. Also durchaus strategisch zu nennen. Das Projekt läuft, die Meilensteine werden pünktlich erreicht, es gibt immer mal wieder kleinere Abweichungen, Fehler treten auf und werden beseitigt. Georg ist ein eher ruhiger Projektleiter („Fragen stören eh nur“ ist seine Lieblingseinstellung), ein sehr genauer Fachmann, der das auch von seinem Team erwartet. Außerdem gilt er als QS-Fanatiker, der sich gerne mal in Details verliert. Das Team spricht sich untereinander ab, und ist es gewohnt, selbständig nach Lösungen zu suchen, bevor jemand von außen hinzugezogen wird. Daher wissen auch relativ wenige Kollegen im Unternehmen über dieses Projekt Bescheid.
Hans leitet ein ähnliches Projekt im gleichen Unternehmen. Das Projekt hat einige Abhängigkeiten zu Georgs Projekt. In Hans´ Projekt gibt es laufend Verzögerungen: die Hardware wurde zu spät geliefert, Zusagen von Lieferanten wurden nicht eingehalten, Details in der Auslieferung und Installation übersehen, und so weiter. Hans ist dementsprechend laufend unter Druck und sehr überlastet. Vor lauter Überlastung übersieht er regelmäßig Aufgaben, die er leicht delegieren könnte, aber es lieber „schneller selbst erledigt“. Fragen seines Teams stören ihn eher, im Zweifelsfall kümmert er sich um kritische Dinge lieber selbst. Er gilt als QS-Fanatiker, der sich gerne mal in Details verliert. Das Team ist vorsichtig geworden und sichert sich in kritischen Situationen lieber ab. Da die kritische Situation ein Dauerzustand ist, geht die Arbeit nur zögerlich voran.
Aufgrund der Probleme bei Hans´ Projekt ist die Unternehmensleitung bestens über den aktuellen Stand informiert. Schließlich müssen laufend Entscheidungen getroffen werden, Änderungen genehmigt, Risiken diskutiert, usw. Für Georgs Projekt bleibt entsprechend weniger „Management Attention“ übrig. Einerseits nicht schlecht, dann kann Georg wenigstens in Ruhe arbeiten, sollte man meinen. Das geht so lange gut bis folgende Situation eintritt: In Hans Projekt verschiebt sich aufgrund der Verzögerungen der Fertigstellungstermin soweit, dass Georgs Projekt davon massiv betroffen ist. Im letzten Steuerkreis zu den Infrastrukturprojekten ging es letztendlich darum, welches der beiden Projekt gestoppt und auf später verschoben werden soll. Da alle Beteiligten bestens über Hans´ Projekt informiert waren und wenig über Georgs Projekt, fiel die Entscheidung gegen Georg.
Georgs Projekt lief zwar gut, war aber zu wenig „sichtbar“ im Unternehmen. Kritische Abhängigkeiten konnte Georg zu dem Zeitpunkt, als er von der anstehenden Entscheidung erfuhr, nicht mehr klar vermitteln, da insgeheim die Entscheidung schon getroffen worden war. Eine paradoxe Situation: über problematische Projekte sind Alle gut informiert, glatt laufende Projekte werden übersehen und erhalten nicht die Aufmerksamkeit auf Entscheider-Ebene, die sie bräuchten.
Eine einzige, wichtige Projektleiter-Aufgabe hatte Georg schlicht unterschätzt: für angemessene Sichtbarkeit seines Projektes sorgen.