Warum Schach für Autoren gut ist.

Von Mczarnetzki @m_cz

Hört man auf die gängigen Marktforscher, dann liest der durchschnittliche Leser maximal die ersten anderthalb Seiten, bis er sich entscheidet, ob er das Buch kauft oder nicht. Und bei vielen Indie-Büchern – auch guten! – die ich in letzter Zeit gelesen habe, muss ich sagen: da dauert es länger, bis die Geschichte greift. Und das verschenkt viel Potential.

Woran liegt das? Ich würde es mit einem Schachspiel vergleichen. Schach ist ein unglaublicher spannender und nervenaufreibender Sport (Wer anderer Meinung ist: Ab in die Ecke und schämen!). Allerdings geht er immer von einer allgemein bekannten und recht langweiligen Ausgangsposition aus, wird im Mittelteil stärker, wenn die Kontrahenten ihre Figuren positionieren und wird packend im Endkampf, wo es manchmal nur auf reine Nervenstärke ankommt.

Viele Autoren bauen ihre Geschichten ähnlich auf: zuerst werden alle Figuren positioniert, die Protagonisten vorgestellt, ihr Verhältnis zueinander geklärt, ihre Lebensumstände beschrieben. Gern auch mit Handlung – man will ja zeigen und nicht beschreiben. Dann passiert etwas; der Stein kommt ins Rollen. Konflikte entwickeln sich langsam, spitzen sich zu und werden im Endteil richtig spannend.

Das Problem ist nur, dass die wenigsten Leser so viel Geduld aufbringen. Ich merke es bei mir: Wenn nach dreißig Seiten immer noch alles gemütlich dahin plätschert – wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es besser wird? Möchte ich weitere wertvolle Lebenszeit damit verschwenden, das herauszufinden und am Ende vielleicht enttäuscht werden?

Es ist kein Problem, dass Buch chronologisch zu schreiben, genau so, wie eine Schachpartie von Anfang bis Ende gespielt wird. Aber wenn man sich die Schachanalysen in der Zeitung ansieht: dort wird nie die Anfangsposition gezeigt, sondern eine Stelle aus dem Mittelspiel, die richtig interessant ist.

Warum es also beim Schreiben nicht genauso machen? Chronologisch schreiben, damit die Geschichte richtig gewachsen ist und Hand und Fuß hat. Bevor man sie aber auf den Leser loslässt, eine spannende Stelle aus dem Mittelteil auswählen und alles davor weglassen. Leser mögen es, selbst zu denken und herauszufinden, wer warum genau so gehandelt hat. Sind im Anfangsteil wichtige Informationen enthalten, können die immer noch später eingestreut werden – aber bitte nicht in Form seitenlanger Rückblenden, sondern eher sparsam, kleine Hinweise, damit die finale Lösung nicht kein magischer Trick, sondern eine logische Folge ist.

Das mag hart erscheinen, aber was ist besser: ein Leser, der nach anderthalb Seiten das Buch weglegt, weil er nicht weiß, ob es noch spannend wird, oder ein Leser, der nach
anderthalb Seiten nicht aufhört, weil er einfach wissen muss, wie es weitergeht?

Ein weiterer Vorteil dieser Methode ist, dass die Protagonisten dabei ihre Geheimnisse bewahren und erst Stück für Stück ihre wahren Motive enthüllen. Denn mal ehrlich: welcher Mensch, dem wir in realen Leben begegnen, ist für uns wie ein offenes Buch?