Warum Ratschläge und Hilfe ohne Auftrag meistens schiefgehen.

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„Bitte nicht helfen! Es ist schon schwer genug.“

Diesen ironischen Stoßseufzer hörte ich vor Jahren bei einer Supervision des Pflegepersonals in einer Klinik. Er fiel mir wieder ein, als ich einen Artikel über William Easterley’s Einschätzung des Erfolgs der weltweiten Entwicklungshilfe las:

„Die schlechtesten Resultate wurden dort erzielt, wo am stärksten versucht wurde, den Menschen zu helfen. In Schwarzafrika, wohin seit den sechziger Jahren 600 Milliarden (!) Hilfsgelder geflossen sind, hat sich der Lebensstandard praktisch nicht verändert. … Als einziger Kontinent hat Afrika nicht von der Globalisierung profitiert. Er fällt immer weiter zurück, während die anderen Kontinente wenigstens im Gleichschritt mit den Industrieländern gewachsen sind.“

Aber es geht mir hier nicht primär um Entwicklungshilfe. Über diese Problematik können Sie hier mehr lesen.

Es geht mir mehr um Nöte und Hilfe im alltäglichen Leben. Meine Erfahrungen als Trainer, Coach und Therapeut haben mich über die Jahre folgendes gelehrt:

Nicht jeder, dem es schlecht geht, will Hilfe.

Alle Menschen, die zu mir kommen, haben ein Problem, das sie glauben, nicht allein lösen zu können. Fast alle klagen darüber, dass es ihnen damit schlecht geht, zum Teil schon seit Jahren. Doch nicht jeder, dem es schlecht geht, will auch Hilfe. (Bei den Menschen, die zu mir kommen, sind es ca. 40 Prozent)
Die Frage ist: was wollen die anderen?
Meine Antwort: sie wollen sich besser fühlen – aber keine Hilfe. Sie fühlen sich besser, wenn man ihnen zuhört, ihre Beschwerden, Klagen und Vorwürfe an andere ernst nimmt und versteht. Aber bitte keine Hilfe. Dann erleben Sie heftigen Widerstand nach dem Muster:

  • Das geht nicht.
  • Das traue ich mich nicht.
  • Das hilft nichts.
  • Dafür bin ich zu alt/zu jung/zu dumm/zu intelligent etc.

Nicht jeder, der Hilfe will, will auch etwas ändern.

Viele Menschen wollen geholfen bekommen – aber nichts selbst ändern.

Das ist das gängige Arzt-Patient-Modell: der Patient schildert seine Beschwerden und der Arzt verschreibt ein Medikament oder eine Maßnahme, zum Beispiel einen Cholesterinsenker. Sobald jedoch der Arzt auf die Eigeninitiative des Patienten anspielt: „Kurzfristig wird Ihnen der Cholesterinsenker helfen, langfristig müssen Sie Ihre Ernährung umstellen.“ trennt sich die Spreu vom Weizen.
Denn Geholfen werden ist bequem, etwas ändern meist unbequem.

Geben Sie Ratschläge oder Tipps nie ohne Auftrag!

Hilfe, die wirklich etwas bewirken soll, braucht einen Auftrag. Eine deutliche Aufforderung: „Bitte hilf mir!“
Was oft passiert, ist, dass man einen anderen dabei beobachtet, dass es ihm nicht gut geht oder er mit etwas nicht zurecht kommt.“

  • Ihr Kind müht sich mit einem Puzzle ab und Sie beobachten das.
  • Eine Frau beklagt sich am Abend bei ihrem Mann, wie stressig ihr Tag war.
  • Der Mitarbeiter berichtet, welche Schwierigkeiten er mit dem Projekt ab.

In all diesen Fällen gilt:

Helfen Sie nicht!

Also, nehmen Sie dem Kind nicht das Puzzle weg und lösen Sie es. Sagen Sie der Frau nicht, dass sie ihren Tag besser einteilen müsse und sie ihr gern ein paar Tools aus Ihrem letzten Zeitmanagement-Seminar beibringen würden. Erzählen Sie dem Mitarbeiter nicht, dass wenn er sich überfordert fühlt, sie ihm auch ein leichteres Projekt geben könnten.

All das ist Hilfe ohne Auftrag!

In allen drei Fällen offenbaren Menschen gewisse Schwierigkeiten und wollen ihnen ihre Gefühle mitteilen. Das ist aber kein Auftrag, sondern nur das Mitteilen von Gefühlen. Wenn Sie jetzt gerne helfen (Stichwort: Helfersyndrom), dann können sie diesen Unterschied kaum begreifen.

Jemand hat Schwierigkeiten, er berichtet davon – und Sie interpretieren, dass er ihnen sagen wollte, dass sie ihm helfen sollen. Das dem nicht so ist, merken Sie spätestens, wenn Sie sich anschicken zu helfen (Puzzle oder Projekt wegnehmen, Tipps geben).Das ist aus meiner Sicht auch das Problem der Entwicklungshilfe. Die an Hunger leidenden Menschen haben selten um Hilfe gebeten. Es war das wahrgenommene Elend in den Nachrichten, dass die Gutmenschen aller Nationen veranlasste zu helfen. Frustrierendes Ergebnis für beide Seiten siehe oben. (Eine ähnliches Thema finde ich derzeit die Debatte um ein Grundeinkommen für alle. (Manchen Menschen geht es es finanziell schlechter als anderen? Da muss doch geholfen werden.)

Der Pfadfinder kommt zu spät zum Gruppenabend. Der Leiter stellt ihn deswegen zur Rede.
Der Junge rechtfertigt sich: „Aber ich musste doch noch meine gute Tat tun!“
„Ah, das ist was anderes, was hast du denn getan?“
„Ich habe einer alten Oma über die Straße geholfen.“
„Aber das dauert doch keine 20 Minuten!“
„Doch, die Oma wollte ja nicht!“

In der systemischen Beratungsarbeit unterscheidet man klug zwischen Anlass, Anliegen, Auftrag und Kontrakt.

Hier eine kurze Orientierung wie ich in meiner Coachingarbeit im Erstgespräch die verschiedenen Schritte kombiniere:

1.    Anlass: „Was führt Sie her?“

Hier will ich erfahren, ob es einen Auslöser gibt, einen aktuellen Anlass, gerade jetzt sich professionelle Unterstützung zu holen.
Oft ist es eine Krise oder einfach das Gefühl, so nicht weitermachen zu wollen oder zu können.

2. Anliegen: „Was möchten Sie hier?“

Hier geht es darum, näher zu beleuchten, welche Art von Hilfe oder Unterstützung sich jemand vorstellt.
Viele wollen

  • Was soll heute hier geschehen? (von jedem)
  • Was soll am Ende der Sitzung/der Beratung/der Supervision geschehen sein, dass Sie sagen können (oder: dass jeder sagen kann): es hat sich gelohnt?
  • Problemdefinition und Anliegen von jedem erfragen, auch Nicht-Anwesende (vor allem Überweisende) sollten zirkulär miteinbezogen werden.
    Mögliche Fragen:
    Problemerklärung: Was vermuten Sie, woran es liegt?
    Katastrophenphantasien: Was ist Ihre schlimmste Befürchtung?
    Umgekehrt: Wie erklären Sie es sich, dass es nicht schlimmer ist?
    Lösungsversuche: Was haben Sie bisher versucht? Gab es Ausnahmen?
    Lösungsideen: Was sollte passieren?

3.  Auftrag: „Was wollen Sie konkret von mir?“

  • Was genau wollen Sie dabei von mir?
  • Womit würde ich Sie enttäuschen?

Erst wenn diese drei Fragen hinreichend beantwortet wurden, kann es zu einem Angebot oder einem Auftrag kommen.

Fazit: Wenn Sie glauben, dass jemand Hilfe braucht, helfen Sie nicht gleich. Meist tut man das ja auch nicht, weil der andere sich schlecht fühlt, sondern weil man sich selbst besser fühlen möchte (Stichwort „Schuldgefühle“).

Besser: fragen Sie nach, ob der andere möchte, dass Sie ihm helfen. Und wie diese Hilfe genau aussehen soll. Sie werden sich wundern, wie oft Sie hören werden: „Danke, bitte nicht helfen.“ (Das sagen manchmal schon kleine Kinder.)

kommentarWelche Erfahrungen haben sie mit Helfen gemacht?

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