Warum mehr Überwachung falsch ist

Von Nicsbloghaus @_nbh

Bundesinnenministerium

Bereits kurz nach Ausbruch der Handy-Affäre wurde klar, dass Angela Merkels Empörung bloß gespielt war. Mag sie per­sön­lich über­rascht von der unka­me­rad­schaft­li­chen Manier der Amerikaner gewe­sen sein, poli­ti­sche Konsequenzen in Richtung mehr Datenschutz sehen anders aus. Im Gegenteil, ein Bericht von der Polit-Sendung Monitor deckt auf, Unionspolitiker for­dern in den lau­fen­den Koalitionsverhandlungen mit der SPD sogar einen Ausbau der Über­wa­chungs­me­tho­den – und damit eine anlaß­lose Massenspeicherung der Internetdaten der deut­schen Bevölkerung durch deut­sche Geheimdienste.
von Felix Friedrich

Innenministerium will mehr Über­wa­chung des Internets

Das Bundesinnenministerium for­dert in einem ver­trau­li­chen, eigens für die Koalitionsverhandlungen erstell­ten Forderungskatalogs eine stär­kere Über­wa­chung des Internets. In dem 30-seitigen Papier, auf das die Redaktion der Polit-Sendung Monitor in einem aktu­el­len Bericht ein­geht, ste­chen drei Punkte her­aus. Laut dem Bericht werde mehr Videoüberwachung an öffent­li­chen Plätzen gefor­dert, es sei ein neuer Vorstoß zur Vorratsspeicherung von Daten ent­hal­ten und die Telekommunikationsüberwachung an deut­schen Internetknoten solle aus­ge­baut wer­den. Am meis­ten zu kri­ti­sie­ren ist der zuletzt genannte Punkt. Er betrifft die mas­sen­hafte Über­wa­chung des Internets durch deut­sche Geheimdienste und die anlaß­lose Speicherung per­sön­li­cher Daten.

Demokratische Werte? Fehlanzeige

Um aus Sicht des Innenministeriums die Über­wa­chung des Internets zu per­fek­tio­nie­ren, muss ein stän­di­ger Zugriff auf die Datenströme mög­lich sein. Am bes­ten wer­den diese Daten an gro­ßen Internetknoten abge­zapft. Daher die Forderung, die Telekommunikationsüberwachung an deut­schen Internetknoten aus­zu­bauen. Eine der größ­ten die­ser Datenknotenpunkte befin­det sich in Frankfurt am Main und wird von der Firma DE-CIX betreut. Laut Monitor kön­nen bereits jetzt schon die deut­schen Geheimdienste auf diese Datenströme zugrei­fen – aber nur nach bestimm­ten Wörtern suchen und bestimmte ver­däch­tige Personen abfra­gen. Wenn es nach dem Ministerium von Innenminister Friedrich geht, dann soll sich das ändern, sodass eine voll­stän­dige Speicherung der Daten erfol­gen kann.

Die Idee dahin­ter ist, dass man ohne vor­he­rige rich­ter­li­che Einverständnis auf per­sön­li­che Daten zugrei­fen kann und auf­grund der kom­plet­ten Speicherung der Internetdaten auch auf die inter­net­spe­zi­fi­sche Vorgeschichte des Verdächtigen Zugriff hat. Das Sicherheitsinteresse über­trifft an die­ser Stelle aber die Grundrechte der Bürger. So drückt es auch Ver.di-Chef Bsirske aus: “Ein sol­cher weit­ge­hen­der Eingriff stünde im kras­sen Widerspruch zu den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Vorratsdatenspeicherung und zum Schutz der infor­ma­tio­nel­len Selbstbestimmung. Anlasslose Über­wa­chung gefähr­det die Meinungs-, Presse- und Koalitionsfreiheit und damit zen­trale Grundprinzipien einer demo­kra­ti­schen Gesellschaft.” Zusätzlich kri­ti­siert er die heuch­le­ri­sche öffent­li­che Haltung der amtie­ren­den Bundesregierung: “Sollte dies zutref­fen”, so Bsirske, “so stünde dies im dia­me­tra­len Gegensatz zu den öffent­li­chen kri­ti­schen Einlassungen der amtie­ren­den Bundesregierung zur NSA-Affäre.”

Auch wenn du nichts zu ver­ber­gen hast, willst du alles von dir zei­gen?

Viele Deutsche haben merk­wür­di­ger­weise wenig Vorbehalte gegen eine sol­che Über­wa­chung. Frei nach dem Motto “Wir haben nichts zu ver­ber­gen!” über­se­hen sie dabei die Schattenseiten eines tota­li­tä­ren Über­wa­chungs­staa­tes.

Keine Kontrolle: Bislang wurde geheim­dienst­spe­zi­fi­sche Kontrolle durch die soge­nannte G-10 Kommission aus­ge­übt. In die­sem Gremium sit­zen vier Parlamentarier, die Über­wa­chungs­maß­nah­men der Geheimdienste geneh­mi­gen müs­sen. Stellt man sich aber vor, dass die deut­schen Geheimdienste Zugriff auf nahezu alle Internetnutzungsdaten haben, die durch die deut­schen Datenknoten flie­ßen, dann wird eine effi­zi­ente Kontrolle kaum mög­lich sein. Wie am Beispiel der NSA-Überwachung klar­ge­wor­den ist – und wenn man der Information glau­ben schenkt – wusste selbst Barrack Obama, Präsident der USA, bis vor eini­gen Monaten nichts von der Abhöraktion von Angela Merkels Handy. Wie soll demo­kra­ti­sche Kontrolle durch ein vier-köpfiges Gremium umge­setzt wer­den, sodass Willkür ver­hin­dert wer­den kann?

Generalverdacht: Eine anlass­lose, grund­lose Über­wa­chung ver­däch­tigt alle Bürger. Dabei wer­den viele Rechte der Bürger ein­ge­schränkt. So zum Beispiel das Recht auf Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses und das Recht auf Privatsphäre. Würden Leute es toll fin­den, wenn man Wohnungen durch­sucht, ohne einen Verdacht zu haben? Was wür­den Leute davon hal­ten, dass ihre Familienfotos, Essgewohnheiten, Farbe der Unterwäsche oder die Höhe des Zigaretten- oder Alkoholkonsums über­prüft wer­den kön­nen? Wie wäre es, wenn ein­fach von jetzt an, das Aufhängen von Vorhängen ver­bo­ten wird. Und an alle, die jetzt erwi­dern, dass sie selbst ja nie­mals in das Raster der Verdächtigen fal­len wür­den, eine Frage: Wie sieht die­ses Raster aus? Sind nicht die­je­ni­gen die ver­meint­lich nichts zu ver­ber­gen haben oft­mals genau die Täter? Terroristen fin­det man sicher­lich nicht durch die Suche nach Wörtern wie “Bombe”, “Anschlag” und “Tarnmaske”. Die Suche ver­läuft weit­aus sub­ti­ler – und man weiß nicht, ob man über­wacht wird, weil man gerade auf­fäl­lig wenig zu ver­ber­gen hat. Big Brother lässt grü­ßen.

Einfluss auf poli­ti­sches Verhalten: Ohne es viel­leicht bewusst wahr­zu­neh­men, wird sich unser Verhalten ver­än­dern. Bürger, die bestimmte Meinungen ver­tre­ten, die viel­leicht von vie­len Bürgern nicht akzep­tiert wer­den, wür­den viel­leicht weni­ger Petitionen unter­schrei­ben, weni­ger Online-Foren besu­chen, wenn alles auf­ge­zeich­net wird. Auch Menschen, die nichts zu ver­ber­gen haben, wer­den sich öfters fra­gen, ob sie eine viel­leicht etwas spitz­fin­dige Mail absen­den. Demokratische Akte der Kontrolle und Meinungsäußerung wer­den daher unbe­wusst unter­drückt oder zumin­dest beschränkt.

Weniger Informatenschutz: Journalismus als ein Weg, die Arbeit der Regierung zu hin­ter­fra­gen, Skandale und dunkle Machenschaften auf­zu­de­cken, wird erschwert. Informanten haben grö­ßere Schwierigkeiten, uner­kannt Informationen wei­ter­zu­ge­ben, die zum Aufdecken eben jener Schandtaten bei­tra­gen. Im schlimms­ten Fall kann es dazu füh­ren, dass Regierungen und mit ihr die Geheimdienste dadurch den rei­bungs­lo­sen Ablauf der Demokratie gefähr­den.

Gefahr der Willkürherrschaft: Selbst wenn viele Bürger tat­säch­lich nichts zu ver­ber­gen haben, was pas­siert in einem unde­mo­kra­ti­schen System? Es ist kein gro­ßer Schritt vom Lesen zum Schreiben. Daten kön­nen leicht ver­än­dert wer­den, wenn man erst ein­mal Zugriff zu Daten bekom­men hat. Wie der ara­bi­sche Frühling beweist, kön­nen außer­dem legi­time Ansprüche auf demo­kra­ti­sche Herrschaft rück­sichts­los von der Regierung nie­der­ge­schla­gen wer­den. Zensur, Über­wa­chung und Willkürherrschaft sind die schlimms­ten Folgen. Folgen, die hof­fent­lich in Deutschland nie ein­tre­ten wer­den. Aber den­noch sollte sich jeder fra­gen, ob einer der oben genann­ten Gründe auch für ihn zutrifft, selbst wenn man nichts zu ver­ber­gen hat!

Über­wa­chung der Bürger muss ille­gal blei­ben

Zum Abschluss bleibt nur ein Plädoyer für mehr Datenschutz und ein vehe­men­tes Vorantreiben der neuen EU-Datenschutzverordnung. Die amtie­rende Bundesregierung hat die Bevölkerung belo­gen; sie setzt sich nicht für die neue  EU-Datenschutzverordnung ein. Sie bremst den Fortschritt bewusst aus – und das tut sie nicht, um das gute deut­sche Datenschutzrecht auf euro­päi­sche Ebene zu trans­fer­rie­ren. Nein, im Gegenteil sie ent­schärft es auf natio­na­ler Ebene sogar noch zusätz­lich, um bei der Anti-Terrorbekämpfung im Transatlantischen Club mit­re­den zu kön­nen, und um in Zukunft Mitglied des Five-Eyes-Abkommens zu sein. Was für ein Theater!

Die Kritik am Abhörskandal war bis­lang in ers­ter Linie gegen die Methoden und Praktiken der Amerikaner und Briten gerich­tet. In zwei­ter Linie gegen das Nichtstun der Bundesregierung. Jetzt, wo sich zeigt, was die Gründe für das Nichtstun waren, muss Kritik laut­stark geäu­ßert wer­den. Die Konsequenz aus dem NSA-Skandal kann nicht sein, dass wir ver­su­chen, die Über­wa­chung durch andere Staaten zu stop­pen, indem wir uns selbst stär­ker über­wa­chen und diese Daten anschlie­ßend an andere Geheimdienste wei­ter­ge­ben. Im Gegenteil, die Methoden der Über­wa­chung an sich sind zu ver­ur­tei­len. Die Konsequenz muss sein: mehr Datenschutz – und nicht weni­ger.

Felix Friedrich

[Über­nahme von Die Freiheitsliebe]

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