Warum machen sie das? – Fragen nach den Motiven für Terroranschl äge

Und wieder ein Terroranschlag, diesmal in Brüssel. Wieder viele Tote und Verletzte, wieder Leid, wieder martialische Reaktionen, wieder Solidaritätsbekundungen auf der einen, und wieder Hass und Vereinfachung auf der anderen Seite. Nein: Diesmal berichte ich nicht von den Anschlägen und nicht von den Medien. Es sind die Menschen und ihre Reaktionen, die mich bewegen.

Während die Sondersendungen im Fernsehen und die höhnische Kritik an ihnen in den sozialen Netzwerken wie ein tausendfach einstudiertes Programm ablaufen, inzwischen vertraut, abgedroschen und nahezu ohne jeden Erkenntniswert, habe ich mir die älteste Frage der Welt gestellt: Was bezwecken die meistens recht jungen Männer, die sich da selbst in den Tod sprengen, mit ihrer aktion? Müssen wir nicht, um den Terror zu verstehen, genau diese Frage beantworten?

Die Antworten, die ich höre, sind schablonenhaft und zu einfach. Ich glaube einfach nicht, dass diese jungen Männer Morde und Selbstmorde begehen, um im paradies von 72 Jungfrauen umsorgt zu werden, und ich glaube auch nicht, dass sie damit einfach die Überlegenheit ihres Gottes beweisen wollen. Auch diese fanatisierten Männer wissen, dass ein Terroranschlag den Westen, seine Sicherheitsorgane und militärischen Dienste nur zu noch mehr Gewalt animiert, sie wissen auch, dass jeder Terroranschlag ein willkommener Vorwand für eine imperialistische Außenpolitik ist. Ihren Ländern, ihrer Gemeinschaft tun sie nichts gutes, verhelfen ihr weder zu einem politischen, noch zu einem moralischen Sieg. Warum also werfen sie ihr Leben weg? Für was opfern sie ihre irdische Existenz? Was sorgt dafür, dass ihnen jeder Respekt für das Leben ihrer Mitmenschen in der westlichen Hemisphäre abhanden gekommen ist?

Am 14. September 2001, also drei Tage nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon, mit denen diese neue Zeit des Terrors aus unserer westlichen Perspektive begann, schrieb die Journalistin Gabriele Gillen in ihrem für den WDR produzierten Essay “Der preis der Lüge”: “Muss es uns wundern, dass in den durch Kriege und Armut und Umweltzerstörung verwüsteten Teilen der Erde nach einfachen Lösungen gerufen wird, nach Rache? Wollen wir nicht begreifen, dass der Terror nicht nur eine bösartige, sondern auch eine verzweifelte Antwort auf die Aufteilung der Welt in Arm und Reich, in Sklaven und Herrscher ist? … Überall auf der Welt leben Menschen in einer Situation der permanenten Demütigung und des ökonomischen Desasters. Und überall mischen die USA mit – selbstlegitimiert durch die vermeintliche Verteidigung der Freiheit, aber in Wahrheit immer auf der Seite des Geldes und besessen von der Durchsetzung des eigenen Werte- und Wirtschaftssystems. Die Verbrechen der Macht stehen in nichts den Verbrechen der Ohnmacht nach.” Sind also einfach die USA schuld mit ihren Kriegen, mit ihrem Geldwahn und natürlich mit ihren willfährigen Verbündeten, zu denen auch Belgien, Frankreich und Deutschland gehören? Stehen durch die Terroranschläge die Guten auf, um ihr Recht auf Menschenrechte zu verteidigen gegen die Macht des Bösen, die durch Konsum lockt, durch Geld herrscht, durch Pornographie moralisch zerstört und durch Kriege physisch unterjocht? Sind die jungen Männer, die da mit Fanatismus und ernst in den Tod gehen, die Armee der geschundenen, der Unterdrückten, der Ohnmächtigen, denen kein anderes Mittel bleibt? Menschen wie Martin Luther King und Mahatma Gandhi haben bewiesen, dass es immer auch andere Mittel gibt, die auf die Dauer tatsächlich einen moralischen Sieg herbeiführen könnten, mit dem der Sache des Islam, der arabischen Welt und der sozialen Weltgerechtigkeit wesentlich besser gedient wäre.

Diese Selbstmordattentäter sind einfach egomane Kriminelle, die man nicht verstehen, sondern nur bekämpfen muss. Das sagen und denken viele, je häufiger es Anschläge in der westlichen Welt gibt, die auf das Konto islamistischer Organisationen gehen. Sie verwechseln den Versuch, Ursachen einer Entwicklung zu begreifen, mit einem entschuldigenden Verständnis für die Täter. Ich möchte einfach wissen, welche Gedankengänge Menschen zu so etwas treiben können. Ich wäre beispielsweise niemals in der lage, andere Menschen zu töten, zumindest nicht stolz, geplant und mit dieser durchdachten Grausamkeit. Es gibt aber zweifellos Ursachen für diese Gewalt, die jenseits von Schuldzuweisungen und moralischer Überlegenheitspostulate erforscht, analysiert und dann bekämpft werden müssen.

Es gibt Stimmen, die nach dem neuerlichen Anschlag in Brüssel zur Besonnenheit mahnen. Der islam dürfe nicht wieder als Sündenbock herhalten, unsere ausländischen Mitbürger dürfen nicht wieder über einen Kamm geschoren werden. Das ist richtig, aber das ist nur der erste Schritt. Man muss den Hass begreifen, muss fühlen können, worauf man selbst mit ähnlichem Hass reagieren könnte, um eine Ahnung davon zu erhalten, was Selbstmordattentäter antreibt, und was die machtpolitischen Hintermänner dieser Strategie ausnutzen, um ihre gewaltvollen Hebel bei den fanatisierten Jungen und jungen Männern ansetzen zu können. Wir hier in Deutschland, die wir fühlen, dass uns die Anschläge immer näher rücken, täten gut daran, weder mit Hass, noch mit einer Entschuldigung zu reagieren. Sicher ist nämlich eins: Wenn wir uns Angst machen lassen, dann haben die Hintermänner der Terroristen zumindest eines ihrer Ziele erreicht, welche Motive sie auch immer genau haben. Dass die westliche Welt vor ihnen nicht zusammenbrechen wird, wissen sie längst, und dass sie ihnen immer ähnlicher wird, kann kaum das Ziel dieser Menschen sein.

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