oder Die repressive Transparenz.
Die »Frankfurter Allgemeine« berichtet aktuell von einer neuen Studie. Sie leitet den Bericht wie folgt ein: »Wer kein typisches Vollzeitarbeitsverhältnis hat, verdient weniger - das ist klar. Doch Leiharbeiter, Minijobber und Co haben auch mehr Probleme im Privatleben, zeigt nun eine Studie.« So weit, so erfreulich. Endlich nimmt auch ein konservatives Blatt mal die neue Armut unter die Lupe. Die FAZ merkt allerdings noch in einem Halbsatz an: »... die [Studie wurde] allerdings von einer gewerkschaftsnahen Stiftung mitfinanziert.«
Diese Transparenz ist interessant für eine Zeitung, die über viele Jahre Expertenmeinungen an die Öffentlichkeit brachte und nicht besonders darauf achtete, in welchen Interessenskonflikt diese Fachleute steckten. Bernd Raffelhüschen war einer dieser Kandidaten. Auch ihn hat die »Frankfurter Allgemeine« über viele Jahre hinweg hofiert und als einen Fachmann ausgewiesen, der klare Ansagen zur staatlichen Rente machte und den großen Durchblick hatte. Dass der Mann jedoch Posten in der Versicherungsbranche kleidete und schon alleine deswegen ein großer Anhänger der privaten Alterssicherung sein musste, hat die »Frankfurter Allgemeine« nicht ganz so dramatisch gestört. In dem Falle war ein transparentes Erscheinungsbild für die Redaktion nicht ganz so wichtig. Da biss man sich auf die Zunge.
Wenn aber nun eine Studie erläutert, dass diese wunderbaren Arbeitsplatzmodelle der neoliberalen Revolution, der »Prekarisierung« um mal das entscheidende Schlagwort zu nennen, zu einer Verunsicherung der Lebensumstände in allen Bereichen des alltäglichen Lebens führte, dann muss man natürlich gleich mal durch Transparenz diskreditieren und es herunterspielen. Wenn da eine Gewerkschaft ihre Finger mit im Spiel hat, dann kann es ja nicht richtig sein; dann sind die Thesen so falsch wie alles, was Gewerkschaften in diesem Land derzeit so anrichten, nicht wahr?
In die »repressive Toleranz« beschrieb Marcuse diese »repressive Transparenz« (er verwendete diesen Ausdruck in seiner Schrift nicht) und enttarnte sie als Ausdruck eines totalitären Denkens. Er schrieb: »Andere Wörter können zwar ausgesprochen und gehört, andere Gedanken zwar ausgedrückt werden, aber sie werden nach dem massiven Maßstab der konservativen Mehrheit (...) sofort bewertet (das heißt: automatisch verstanden) im Sinne der öffentlichen Sprache – einer Sprache, die a priori die Richtung festlegt, in welcher sich der Denkprozeß bewegt. Damit endet der Prozeß der Reflexion dort, wo er anfing: in den gegebenen Bedingungen und Verhältnissen. Sich selbst bestätigend, stößt der Diskussionsgegenstand den Widerspruch ab, da die Antithese im Sinne der These neubestimmt wird.« Ein bisschen alltäglicher ausgedrückt: Man kann heute alles sagen und schreiben, aber man kann es immer so sagen und schreiben, dass vom Momentum der Aufklärung nichts übrigbleibt. Man ist mit Ehrlichkeit verlogen gewissermaßen.
Man kann also heute Propaganda ganz nüchtern betreiben. Warum lügen, wenn man ehrlich sein kann? Man berichtet einfach - und ganz süffisant unterbreitet man dann, dass zu der ganzen Thematik noch eine Kleinigkeit zu erwähnen sei und diskreditiert damit das Gesagte gänzlich. Und der Prozess der Reflexion endet just in diesem Augenblick. Man denkt nicht mehr nach, weil man von Parteilichkeit keine Objektivität zu erwarten hat und die Thesen wahrscheinlich ideologisch gefärbt sind. Dass Raffelhüschen parteilich und ideologisch war, konnte man ja nicht wissen - man verschwieg es ja absichtlich. Die gegebenen Bedingungen und Verhältnisse bleiben bestehen. Und Leiharbeit und Minijobs bleiben letztlich doch gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt und sind keine Arbeitsplatzmodelle, die Tristesse und Einsamkeit schaffen.
Es spricht natürlich überhaupt nichts dagegen, wenn eine Tageszeitung die Financiers von Studien nennt und diesen Hintergrund zu bedenken gibt. Aber wenn, dann bitte immer. Als die FAZ einst ganz intensiv Propaganda für neoliberale Reformen machte, da schwieg man sich aus. Da waren die Analysen von Sinn, Raffelhüschen, Hartz, Rürup oder wie sie allen hießen (und noch heißen) unantastbare Erkenntnisse, die man nicht durch Nennung diverser Verquickungen mit der Wirtschaft entweihen wollte. Man wollte die Jungs ja nicht diskreditieren.
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Die »Frankfurter Allgemeine« berichtet aktuell von einer neuen Studie. Sie leitet den Bericht wie folgt ein: »Wer kein typisches Vollzeitarbeitsverhältnis hat, verdient weniger - das ist klar. Doch Leiharbeiter, Minijobber und Co haben auch mehr Probleme im Privatleben, zeigt nun eine Studie.« So weit, so erfreulich. Endlich nimmt auch ein konservatives Blatt mal die neue Armut unter die Lupe. Die FAZ merkt allerdings noch in einem Halbsatz an: »... die [Studie wurde] allerdings von einer gewerkschaftsnahen Stiftung mitfinanziert.«
Diese Transparenz ist interessant für eine Zeitung, die über viele Jahre Expertenmeinungen an die Öffentlichkeit brachte und nicht besonders darauf achtete, in welchen Interessenskonflikt diese Fachleute steckten. Bernd Raffelhüschen war einer dieser Kandidaten. Auch ihn hat die »Frankfurter Allgemeine« über viele Jahre hinweg hofiert und als einen Fachmann ausgewiesen, der klare Ansagen zur staatlichen Rente machte und den großen Durchblick hatte. Dass der Mann jedoch Posten in der Versicherungsbranche kleidete und schon alleine deswegen ein großer Anhänger der privaten Alterssicherung sein musste, hat die »Frankfurter Allgemeine« nicht ganz so dramatisch gestört. In dem Falle war ein transparentes Erscheinungsbild für die Redaktion nicht ganz so wichtig. Da biss man sich auf die Zunge.
Wenn aber nun eine Studie erläutert, dass diese wunderbaren Arbeitsplatzmodelle der neoliberalen Revolution, der »Prekarisierung« um mal das entscheidende Schlagwort zu nennen, zu einer Verunsicherung der Lebensumstände in allen Bereichen des alltäglichen Lebens führte, dann muss man natürlich gleich mal durch Transparenz diskreditieren und es herunterspielen. Wenn da eine Gewerkschaft ihre Finger mit im Spiel hat, dann kann es ja nicht richtig sein; dann sind die Thesen so falsch wie alles, was Gewerkschaften in diesem Land derzeit so anrichten, nicht wahr?
In die »repressive Toleranz« beschrieb Marcuse diese »repressive Transparenz« (er verwendete diesen Ausdruck in seiner Schrift nicht) und enttarnte sie als Ausdruck eines totalitären Denkens. Er schrieb: »Andere Wörter können zwar ausgesprochen und gehört, andere Gedanken zwar ausgedrückt werden, aber sie werden nach dem massiven Maßstab der konservativen Mehrheit (...) sofort bewertet (das heißt: automatisch verstanden) im Sinne der öffentlichen Sprache – einer Sprache, die a priori die Richtung festlegt, in welcher sich der Denkprozeß bewegt. Damit endet der Prozeß der Reflexion dort, wo er anfing: in den gegebenen Bedingungen und Verhältnissen. Sich selbst bestätigend, stößt der Diskussionsgegenstand den Widerspruch ab, da die Antithese im Sinne der These neubestimmt wird.« Ein bisschen alltäglicher ausgedrückt: Man kann heute alles sagen und schreiben, aber man kann es immer so sagen und schreiben, dass vom Momentum der Aufklärung nichts übrigbleibt. Man ist mit Ehrlichkeit verlogen gewissermaßen.
Man kann also heute Propaganda ganz nüchtern betreiben. Warum lügen, wenn man ehrlich sein kann? Man berichtet einfach - und ganz süffisant unterbreitet man dann, dass zu der ganzen Thematik noch eine Kleinigkeit zu erwähnen sei und diskreditiert damit das Gesagte gänzlich. Und der Prozess der Reflexion endet just in diesem Augenblick. Man denkt nicht mehr nach, weil man von Parteilichkeit keine Objektivität zu erwarten hat und die Thesen wahrscheinlich ideologisch gefärbt sind. Dass Raffelhüschen parteilich und ideologisch war, konnte man ja nicht wissen - man verschwieg es ja absichtlich. Die gegebenen Bedingungen und Verhältnisse bleiben bestehen. Und Leiharbeit und Minijobs bleiben letztlich doch gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt und sind keine Arbeitsplatzmodelle, die Tristesse und Einsamkeit schaffen.
Es spricht natürlich überhaupt nichts dagegen, wenn eine Tageszeitung die Financiers von Studien nennt und diesen Hintergrund zu bedenken gibt. Aber wenn, dann bitte immer. Als die FAZ einst ganz intensiv Propaganda für neoliberale Reformen machte, da schwieg man sich aus. Da waren die Analysen von Sinn, Raffelhüschen, Hartz, Rürup oder wie sie allen hießen (und noch heißen) unantastbare Erkenntnisse, die man nicht durch Nennung diverser Verquickungen mit der Wirtschaft entweihen wollte. Man wollte die Jungs ja nicht diskreditieren.
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