Warum ist Internet sexyer als Sozialismus?

Es ist doch immer wieder interessant, wie viel Raum Personaldebatten bei Wenig-Prozent-Parteien in der Berichterstattung unserer notorischen Medien einnehmen. Derzeit ist es allerdings nicht die FDP, sondern die Linke, um deren uneiniges bzw. nicht vorhandenes Führungspersonal eine Riesendiskussion ausgebreitet wird. Macht’s der Oskar noch einmal, oder soll lieber seine Freundin Sahra ran? Darf Dietmar Bartsch endlich mal seinen Ossi-Bonus ausspielen oder soll doch lieber doch eine Frau aus dem Westen wie Katharina Schwabedissen (ich dachte, dass wäre ein Nationalsport der gentrifizierungsgeschädigten Berliner?), den Karren wieder flott machen? Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. Aber immerhin muss wenigstens nicht darüber sinniert werden, warum die Linke derzeit tatsächlich so wenig Zustimmung beim Wahlvolk findet.

Dabei drängt sich die Frage doch auf, warum die alternativen Wähler in Scharen zu den Piraten überlaufen. Denn die Linke hat im Gegensatz zu den Piraten doch ein handfestes Programm, in dem Positionen zu finden sind, die den ganzen Occupy-Blockupy-Leuten eigentlich gefallen sollten: Die Linke will das Verarmungsprogramm nach Hartz abschaffen, sie fordert eine solidarische Rente, den sofortigen Abzug deutscher Soldaten aus Afghanistan, einen vernünftigen Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde und eine Millionär- bzw. Reichensteuer. Sie will die Profiteure der Euro-Krise zur Kasse bitten und den Sozialstaat verteidigen, also statt immer mehr Geld für die Banken auszugeben, lieber mehr Geld für Bildung, Gesundheit und Soziales. Nun kann man natürlich infrage stellen, ob der Sozialstaat tatsächlich eine so wunderbare und menschenfreundliche Einrichtung ist, wie immer behauptet wird – aber das ist eine andere Diskussion, die ich an anderer Stelle auch gern wieder führe.

Heute geht es mir vielmehr um die Frage, warum die Linke es nicht schafft, die Leute so zu mobilisieren, wie die Piraten es tun. Eine Partei, die aus einer Art Spontibewegung notorischer Raubkopierer hervorgegangen ist. Die außer einer Anpassung des Urheberrechts an die Realitäten des Internetzeitalters, freiem Zugang zu sämtlichen Internet-Inhalten und irgendwie mehr Mitbestimmung für alle keine konkreten Forderungen hat. Die überhaupt nur sehr verschwommene Vorstellungen von Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, internationalen Beziehungen und so weiter hat. Die auch ständig ihr Führungspersonal auswechselt – nur sind das ohnehin immer Menschen, die bisher keiner kannte, weshalb das wohl nicht so auffällt wie bei der Linken. Ist es wie einst bei den Grünen der Charme des Selbstgemachten? Die Solidarität unter Dilettanten? Oder,was ich vielmehr vermute, die in Westdeutschland flächendeckend vorhandene grundsätzliche Ablehnung linker Positionen? Weil alles, was irgendwie links ist automatisch mit der DDR in Verbindung gebracht wird, dem sozialistischen (also linken) Deutschland, das, wie in unseren Medien immer und immer wiederholt wird, ein grauer und trostloser Unrechtsstaat gewesen sein soll?

Ist es tatsächlich Unrecht, die Menschen mit billigem Wohnraum und günstigen Lebensmitteln zu versorgen? Für alle Arbeit zu schaffen und ein effektives und für alle zugängliches Gesundheitssystem? Flächendeckende Kinderbetreuung und solide Schulbildung? Ein breites Kulturangebot? Nein, ich will nicht unter den Tisch fallen lassen, dass es Andersdenkende im real existierenden Sozialismus nicht leicht hatten. Aber mit der Obrigkeit in Konflikt geraten konnte man auch im goldenen Westen. Nur anders herum – wer sich zum Kommunismus bekannte, konnte beispielsweise nicht Beamter werden, nicht mal als Briefträger! Und wer im Gesellschaftslehre-Unterricht die falschen Fragen stellte, wurde mit entsprechenden Zensuren diszipliniert. Jedes System trachtet danach, sich selbst zu schützen. Nur sind hierzulande die Methoden subtiler.

Ja, in der DDR wurde es mit der aktiven Volkserziehung manchmal etwas übertrieben. Hierzulande setzt man mehr auf Selbstdisziplinierung – was angesichts der Umstände auch gut funktioniert. Und die Mauer war auch keine gute Idee – jedenfalls nicht auf Dauer. Wäre sie durchlässiger gewesen, könnte es die DDR vielleicht noch geben – natürlich wären viele gegangen. Aber es wäre auch viele wieder zurück gekommen. Und, das darf man nicht vergessen, die DDR machte es Interessierten aus dem Westen auch nicht leicht, ins Arbeiter- und Bauernparadies zu gelangen. Überall wurden Agenten und Spione vermutet, manchmal sicherlich auch zu recht. Aber Verfolgungswahn ist keine gute Voraussetzung, andere von seinem System zu überzeugen. Immerhin das ist nun bewiesen.

Und wenn man auf den neu ausgebauten Straßen durch die frisch renovierten Fassaden der ostdeutschen Städte fährt, sieht auf den ersten Blick alles viel schöner aus als früher. Statt Bibliotheken gibt es jetzt Baumärkte, die Jugendlichen hängen nicht mehr im ohnehin geschlossenen Jugendclub herum, sondern zuhause vorm Computer – ist das vielleicht der Grund, warum eine Internet-Partei derzeit so viel sexyer ist als eine soziale Bewegung oder gar eine sozialistische Partei?



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