Warum interessiert mich, was in Madrid geschieht?

Erstellt am 22. Mai 2011 von Nicsbloghaus @_nbh

Ja, warum? Ist doch Spanien weit weg. Und ich hab keine Arbeitsstelle in Spanien und ich bin auch nicht mehr jung genug, um im Falle von Erwerbslosigkeit unter die “jugendlichen Arbeitslosen” gezählt zu werden. In Deutschland gibt es kein Zweiparteiensystem und der Ausverkauf des Sozialstaates trifft mich nicht so hart.

Und doch! Deutschland ist aus den diversen Krisen – zumindest offiziell – bisher relativ ungeschoren herausgekommen. Wir sind (bisher?) nicht in die Klauen von IWF und Weltbank geraten. Der Weg der Neoliberalisierung läuft hier anders. Leiser. Stiller. Unbemerkter.

Bei uns werden Menschen nicht von einem Tag auf den anderen arbeitslos, weil der Staat das Tafelsilber verkaufte. Aber: verkauft hat er es. Ich erinnere nur an die Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe und den Wassertisch, der einen Volksentscheid zur Offenlegung der Verträge forderte. Dieser Volksentscheid wurde gewonnen; die Verträge sind noch immer nicht offen gelegt. Im Gegenteil:

Das Abgeordnetenhaus hat am 14. April mit den Stimmen von SPD, Linken, CDU und FDP einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt, den Rückkauf von Anteilen an den BWB nicht hinter dem Rücken von Bevölkerung und Parlament zu verhandeln… (Quelle: Wassertisch)

Die Bevölkerung in Deutschland wird nicht einfach so in die Armut geworfen. Sie wird am langen Arm ausgehungert (im wahrsten Wortsinne) – das nennt sich dann “Hartz-IV” oder “prekär beschaftigt” oder “Aufstocker”.
Es gibt genügend Menschen in Deutschland, die mit dem, was sie erarbeiten, ihr Leben nicht mehr bestreiten können. Und es wundert mich ungemein, dass ich diese Menschen nicht auf den Demos und Kundgebungen sehe. Gerade sie wären es, die auch unserem Staat deutlich machen müssen: Es reicht! Wir empören uns!

Es ist nicht allein die Situation in Spanien – oder Griechenland – oder Portugal – oder Italien… es ist das System, das die Schere zwischen Arm und Reich immer größer werden lässt. Und gegen diese Ungerechtigkeit stehe ich auf. Und auf der Straße. Denn dieses System ist auch das staatliche deutsche System.

Seit Schröder/Fischer hat es Einzug auch in Deutschland gehalten. Nur weil Deutschland eine starke Exportnation ist, geht es uns noch halbwegs gut. Und kaum Jemand stellt sich die Frage, auf wessen Kosten wir riesige Umsätze im Export machen können. Dabei ist abzusehen, dass auch diese Blase platzen wird. Und das es beim nächsten mal kein Geld mehr geben wird, dass Banken in den unersättlichen Rachen geschmissen werden kann.
Ich wünschte, das wäre nicht nötig, um die Bevölkerung wach zu machen und darauf aufmerksam, dass uns Spanien viel näher ist, als es der Großteil der deutschen Bevölkerung wahrhaben will. (Es gibt einen guten Grund, dass unsere Medien darüber erst nach einer Woche, als es nicht mehr unter den Teppich zu halten war, berichten.)

Es geht auch um uns! Es geht um unsere und die Zukunft unserer Kinder. Wie wollen wir leben und was wollen wir unseren Kindern hinterlassen? Eine Gesellschaft, in der 5% der Bevölkerung ca. 60% des Vermögens besitzen? Oder eine, in der es gerecht zugeht?

Eine Gesellschaft, in der versucht wird, einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen und demokratisch mitbestimmt über die drängenden Probleme der Zeit zu diskutieren? Oder eine, in der – wie jetzt – wirtschaftliche Interessen das “Wohl des Volkes” bestimmen?
Eine Welt, in der Wenige auf Kosten Vieler leben? – Und damit meine ich auch, dass wir im Westen, wir in Deutschland, auf Kosten nicht so hoch technologisierter Länder leben.

Ich will das nicht! Ich will eine gerechtere Gesellschaft. Hier in Deutschland, in Spanien, in Libyen und Ägypten; in Irak und Iran, in Sudan und Guinea, in Peru und Bolivien…

Es gibt so viel zu tun. Dabei zu stehen, das nur sehen, ist mir persönlich zu wenig. Ich weiß, wie gering meine Möglichkeiten und Mittel sind. Diese aber nicht einzusetzen, wäre ein Verbrechen an der Menschheit. Ich weiß, dass das größenwahnsinnig klingt. Aber wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt?

Ich halte es da mit Arundhati Roy:

Der einzige Traum, den es sich lohne zu träumen…sei der Traum, dass man lebt, solange man lebt, und erst stirbt, wenn man tot ist.

Nic