WEIMAR. (fgw) Rolf Bergmeier, Alt-Historiker und Philosoph mit dem Spezialgebiet Spätantike (4/5. Jahrhundert) hat jetzt ein bemerkenswertes Buch über den Untergang der antiken Kultur in Europa vorgelegt. Wie konnte es kommen, daß die hochentwickelte Zivilisation des Römischen Reiches unterging? Wer trägt die Schuld daran? Gängige Theorien machen dafür lautstark die Völkerwanderung, dem “Germanensturm”, oder die “spätrömische Dekadenz” verantwortlich. Bergmeier geht aufgrund wissenschaftlicher Forschungen auch von einem ganzen Bündel von Gründen aus. Doch für den einzigartigen Kulturbruch und Zivilisationsverfall sieht er eine andere, eine viel wesentlichere Ursache: Das monotheistische Christentum mit dessen Weltflucht, Leibes- und Lustfeindlichkeit und vor allem seiner Feindlichkeit gegenüber jeglicher Bildung. Für den Zusammenbruch von Wissenschaft und Philosophie, von Bildung, Kultur und Kunst, von Medizin zeichne allein eine Priesterkaste verantwortlich, die im vierten “nachchristlichen” Jahrhundert durch das Bündnis von Thron und Altar zu Macht kam und seither nach unumumschränkter Macht über Menschen, Gesellschaft und Staat strebe.
Eingangs beschreibt Bergmeier die griechisch-römische Kultur, die das antike Römische Reich prägte. Wobei er nicht nur auf höchste materielle Leistungen eingeht: “Denn griechisch-römische Kultur ist weitaus mehr. Sie setzt sich mit der Würde des Menschen auseinander, mit den Menschenrechten, mit der Frage nach dem Wert des Einzelnen in einer sozialen Gemeinschaft, definiert den Vorrang des Öffentlichen und fragt, was getan werden muss, um glücklich zu werden. Kurzum, die antike Kultur setzt Werte.” (S.8). Und das, wohlgemerkt, lange, lange vor dem Christentum! Bergmeier verschließt seine Augen natürlich nicht vor der damals herrschenden Sklaverei. Wobei auch das Christentum die Sklaverei nicht in Frage stellte…
Ein Beispiel für den allein aus ideologischen, sprich religiösen, Gründen herbeigeführten allgemeinen Kulturverfall möge genügen: “Verfügte Rom im vierten nachchristlichen Jahrhundert noch über 28 öffentliche Bibliotheken mit Hunderttausenden von Büchern, so quälen sich später Reste von wenigen hundert Büchern ins Mittelalter hinein. (…) Über das Abendland senkt sich das ‘finstere Mittelalter’ herab mit materieller und geistiger Armut, aus der es nur langsam, nach einer kleinen Ewigkeit von fast 1000 Jahren wieder auftauchen wird. ‘Renaissance’ wird das Ende der Finsternis genannt, Wiedergeburt.” (S.8)
Danach geht der Alt-Historiker ins Detail und beschreibt anhand konkreter Beispiele den Stand der antiken Kultur und Zivilisation im 4. Jahrhundert unserer Zeitrechnung: “Das Schul- und Erziehungssystem der antiken Kaiserzeit”; “Bücher und Bibliotheken”; “Kunst”; “Philosophie und Wissenschaften” und schließlich “Europas Wurzeln”. Bergmeier idealisiert nicht, weist immer wieder auf die Klassengeschaft der Antike hin. Dennoch blieben arme und auch Sklaven nicht von schulischer Bildung ausgeschlossen, denn Sklaven schufteten ja nicht nur auf Feldern und Galeeren oder in Bergwerken. Sklaven nahmen wichtige Positionen in Staat, Verwaltung und Patrizierhaushalten ein und diesen konnten sie nur mit hoher Bildung gerecht werden. Zur antiken Kultur habe habe auch religiöse Toleranz und die Achtung fremder Kulte gehört, denn nur so habe das Imperium zusammengehalten werden. Zusammenfassend schreibt er: “Hier am Mittelmeer wird Europa, wird die europäische Kultur geboren. Hier, in der Antike, werden unsere Werte geschaffen. Hier, zwischen dem Kapitol von Rom und der Akropolis in Athen, liegen Europas Wurzeln und nicht im Wüstenstaub Palästinas.” (S.42)
Eingehend widmet sich Autor dann den verschiedenen “Theorien zu den Ursachen des Kulturverfalls”. Diese Kapitel möge jeder selbst lesen und die von Bergmeier angeführten Fakten zur Kenntnis nehmen. Einer Wertung des Wissenschaftlers ist jedoch ohne Abstriche zuzustimmen: “Und wie immer (…) interpretieren Kirchenschriftsteller die Historie aus ihrem eigenen Blickwinkel.” Der Autor weiter: “So dürfte es sich (…) wohl um eine ähnlich dubiose Geschichte handeln, wie die angebliche Taufe Konstantin I. durch den Bischof von Rom mit anschließender ‘konstantinischer Schenkung’ halb Italiens an die christliche Kirche.” (S.83)
Der wohl wichtigste Abschnitt des Buches ist überschrieben mit “Ursache: Die Staatskirche und ihr neues Weltbild”. Dieses soll nicht näher referiert werden, denn es verlangt nach dem aufmerksamen Lesen eines jeden einzelnen.
Einige kurze Zitate zur damaligen Zeit, dem frühen Christentum und der sich aus diesem entwickelnden (Staats-)Kirche mögen genügen: “Die religiöse Welt des Imperium Romanum ist bunt (…) die Bereitschaft, dem nächsten seinen Glauben zu belassen, ist Teil der römischen Kultur und Voraussetzung für gesellschaftlichen Frieden in diesem gewaltigen und vielschichtigen Weltreich. Eine ‘gottgegebene’, einzig richtige Wahrheit gibt es nicht. Selbst die Götter können irren und kein Römer empfindet dies als einen himmlischen Makel.” (S.97)