Warum ich mit dem Bremer Roland nichts anfangen kann – Werners Gedanken zu einem Bremer Wahrzeichen

Von Wernerbremen


„Nicht der Behinderte ist behindert, sondern der Normale, der ihn für behindert hält.“
Alexander Rykow 

Ihr Lieben,

auf dem Foto, mit dem ich diese Geschichte einleite, seht Ihr das weltberühmte Wahrzeichen Bremens, den Bremer Roland. Auf dem Foto unter diesem Absatz seht Ihr den Kopf eines Mannes, der zwischen den Füßen des Rolands in Stein gehauen ist. Dieser Kopf ehrt einen Behinderten, dem Bremen viel zu verdanken hat.

Dazu möchte ich Euch die folgende Geschichte erzählen:
„Die Gräfin Emma und der Krüppel“

Die Gräfin Emma von Lesum war eine Frau von außerordentlicher Frömmigkeit. Seit dem Tode ihres Gemahls Lüdger lebte sie sehr zurückgezogen und fand ihre einzige Freude am Gutestun.
Einst war der Herzog Benno von Sachsen in Lesum zu Besuch bei der Witwe seines verstorbenen Bruders Lüdger. Sie ritten, umgeben von einem stattlichen Gefolge, am frühen Morgen an der Stadt Bremen vorüber, um die Güter der Gräfin, die unter anderem einen großen Teil des jetzigen Stadtgebiets umfassten, in Augenschein zu nehmen.
Da nahten sich, im Vertrauen auf die Milde der Gräfin, einige Abgeordnete der Bremer Bürgerschaft und klagten über den Mangel an Weideland für ihr Vieh. Die Gräfin hörte ihnen mit großer Anteilnahme zu und versprach, ihrer Not abzuhelfen.
Sie wollte ihnen - sagte sie - Weide so viel geben, so viel ein Mann in einer Stunde umgehen könne.

Da wurde der Herzog besorgt, dass die Gräfin bei ihrer bekannten Herzensgüte zu weit gehen und zu viel von dem kostbaren Erbe verschenken möge, das ihm oder seinen Kindern zufiel nach ihrem Tode. "Ihr solltet lieber die Frist auf einen ganzen Tag ausdehnen", sagte er ärgerlich.
Die Gräfin aber überhörte den Vorwurf, der in seinen Wort lag und erwiderte sanft:
"Der Herr hat mich reich gesegnet mit irdischen Gütern, es mag Euer Wort gelten."

Diese Zustimmung der Gräfin kam dem Herzog vollends unerwartet und er sann darauf, wie die Sache rückgängig zu machen sei. Da kam ihm plötzlich ein listiger Gedanke, er verbarg seinen Ärger hinter einer lächelnden Miene und nahte sich mit freundlichen Worten seiner Schwägerin: "Da Ihr ", sagte er, "in dieser Angelegenheit meinen Rat so schnell angenommen habt, so überlasst Ihr es mir auch, die Sache sogleich in die Tat umzusetzen."
Emma willigte arglos in seinen Wunsch ein und nun kam die Tücke des Herzogs zum Vorschein, denn er ritt die Straße hinunter bis zu einem Bettler, bei dem sie soeben vorbeigeritten waren, und dem die Gräfin reichlich Almosen gespendet hatte. Der Herzog hatte im Vorüberreiten recht wohl bemerkt, dass der Mann ein armer Krüppel war. Verwundert folgte ihm der ganze Zug.
"Soll ich also" - wandte er sich schadenfroh an die Gräfin - "dafür sorgen, dass Euer Befehl pünktlich vollstreckt wird, so will ich Euch auch den Mann zeigen, der sogleich seinen Weg antreten möge."
Da brachen die Bürger aus in lautes Wehklagen, dass durch des Herzogs arge List die Freigebigkeit ihrer Wohltäterin so schnöde vereitelt wurde. Emma aber stieg herunter von ihrem Ross, legte ihre Hand wie segnend auf das Haupt des armen Krüppels und betete leise. Die Bürger standen voller Verzweiflung daneben, denn sie kannten den Mann und wussten, dass er sich ohne fremde Hilfe nicht vom Platz bewegen konnte.
Des Morgens brachten ihn mitleidige Menschen an die Straße und des Abends mussten sie ihn wieder heimholen. Der Bettler selbst war über die Aufforderung der Gräfin erstaunt, als sie ihm zuwinkte, aufzubrechen, und sah zweifelnd zu ihr in die Höhe.
"Versuch's doch nur," sagte die Gräfin, und der Krüppel setzte sich in Bewegung. Gehen konnte er nun freilich nicht, da der Gebrauch der Füße ihm gänzlich versagt war; er kroch also auf den Händen und ein Diener der Gräfin folgte ihm, um alle hundert Schritt auf seiner Bahn einen Pfahl einzuschlagen.
Zu Anfang waren die Bürger traurig und die Meisten gingen voller Missmut nach Hause, denn was sollten sie von einem Krüppel schon erwarten.
Der aber kroch und kroch immer gleichmäßig weiter, ohne Ruhe und Rast, und als die Bürger gegen Mittag wieder hinausgingen, wurden sie auf das Angenehmste überrascht, denn soweit das Auge reichte, erblickten sie die hellschimmernden Pfähle in einer langen, langen Reihe und im Hintergrunde in einem ungeheuren Bogen. Die Bürger unterstützten den Krüppel mit Essen und Trinken und so ging es fort und im Abendschein konnte man schon von der Stadt aus deutlich den Krüppel kriechen sehen, wie er näher und näher kam.
Als die Sonne sank, langte er bei der Stadt an und es war eine Weide, eingezäunt viel umfangreicher, als die Bürger ursprünglich gehofft hatten und fast zu groß für ihren Bedarf.
Der Krüppel aber war durch die ungewohnte Strapaze so sehr erschöpft, dass erl, nachdem er das Ziel erreicht hatte, zusammenbrach und starb. Dies war im Jahre 1032.

Den Krüppel aber haben die Bremer zeitlebens in Ehren gehalten und auch die dankbare Nachwelt hat ihn nicht vergessen. Sein Bildnis sieht man zwischen den Füßen der Rolandsäule in Stein gehauen.
Ihr Lieben,

der Bremer Roland wird ja immer als Zeichen der Bremer Stadtfreiheit gepriesen.
Ich gebe gerne zu, dass ich nie viel mit dem Roland anfangen konnte.
Denn was hat er für Bremen eigentlich geleistet? Genau genommen, gar nichts, er hat nur an vielen Kriegen teilgenommen und viele Feinde getötet.
Für mich aber ist jeder Krieg ungerecht und ich begreife bis heute nicht, wie man Menschen dafür auszeichnen kann, dass sie andere Menschen umbringen.
Der Bremer Roland ist als lediglich ein Zeichen für die Freiheit Bremens.
Mir gefallen solche Gestalten wie der Krüppel in unserer Geschichte viel besser.
Er hat für Bremen viel mehr geleistet als der Roland und deshalb ist es gut, dass die Erinnerung an ihn wachgehalten wird.
Für mich ist der Krüppel der wahre Held, nicht der Roland, denn er ist für mich ein großes Vorbild, wenn es darum geht, zu zeigen, was auch der Schwache leisten kann, wenn er ein Ziel hat.

Ihr Lieben,

ich wünsche Euch einen fröhlichen Abend und grüße Euch herzlich aus Bremen
Euer fröhlicher Werner

Das Foto wurde von Karin Heringshausen zur Verfügung gestellt