Seit kurzem hat das Buch von Uwe Lehnert Warum ich kein Christ sein will eine eigene facebook-Seite. Diese ist öffentlich zugänglich, also nicht nur für Nutzer mit facebook-account, enthält zahlreiche Links zu Rezensionen, Interviews und Kommentaren rund um dieses bemerkenswerte Buch und wird ständig aktualisiert. Also: Es lohnt sich, da mal hineinzuschauen und, wenns geht, den Gefällt-mir-Button anzuklicken.
Ich nutze die Gelegenheit, hier meine Rezension zu diesem wunderbaren Buch widerzugeben:
Uwe Lehnert: Warum ich kein Christ sein will
Untertitel: Mein Weg vom christlichen Glauben zu einer naturalistisch-humanistischen Weltanschauung
Gewiss gibt es seit der Aufklärung und auch nach Nietzsche und Dawkins schon eine ganze Reihe hervorragender religionskritischer Werke. Setzt man diese aber einmal rein zahlenmäßig ins Verhältnis zu dem unübersehbaren Wust religiöser, esoterischer, spiritueller, theologischer, erbaulich-frommer und frömmelnder Literatur, so ist jedes Buch mehr, das einer naturalistisch-humanistischen Weltanschauung verpflichtet ist, ein Gewinn. Und dieses Buch ist ein besonderer Gewinn:
Universitätsprofessor Dr. ing. Uwe Lehnert erläutert in überschaubarem Umfang und für den Laien verständlich die philosophischen und vor allem naturwissenschaftlichen Grundlagen einer atheistischen oder agnostischen Weltsicht, und das auf sehr präzise, populäre aber dabei keineswegs simplifizierende Weise. Bereits der erste Teil des Buches über unsere Erkenntnisfähigkeit, die Dimensionen des Makro- wie des Mikrokosmos sowie das Wesen der Naturwissenschaft sollte vor allem für Leser, die sich bisher eher mit philosophischen und geisteswissenschaftlichen Fragen beschäftigt haben, von größtem Interesse sein. Aktuelle Theorien der Astro- und Quantenphysik fließen dabei ebenso ein wie neuere Erkenntnisse der Evolutionsbiologie und der Hirnforschung. Bereits damit gelingt Lehnert der Nachweis, dass Atheismus resp. Agnostizismus eben etwas völlig anderes ist als wieder nur ein Glauben: Er ist einfach die Akzeptanz der Realität.
Am Beginn des Kapitels über seinen endgültigen Abschied von Christentum und Kirche schreibt der Autor über Gerhard Szczesny, einen seiner Lehrer: „Frei von polemischen und aggressiven Attacken, in geschliffener Sprache und gestützt auf ein umfangreiches philosophisches, theologisches und kulturgeschichtliches Wissen entwickelte SZCZESNY seine Position als Nichtchrist.“(S. 193) Und genau dieser Diktion bleibt Lehnert treu, wenn er sich im zweiten Teil des Buches anhand des nicht ganz einfachen Problems der Willensfreiheit, der Frage von christlicher Moral und menschlicher Ethik, des Inhalts der Bibel sowie der Geschichte des Christentums direkt mit Kirche, Religion und Glauben auseinandersetzt: redlich in der Argumentation und konsequent im Denken, gelassen und freundlich in der Sprache aber kompromisslos im Urteil.
Auf diese Weise geht der Autor unter anderem die vieldiskutierte Frage an, ob es der Religion bedarf, um Menschen zu moralischem Handeln zu veranlassen. Er zitiert Bertrand Russell, auf den ja die Analogie des Buchtitels bereits unmissverständlich hinweist: „…dass die Grausamkeit um so größer und die allgemeine Lage um so schlimmer waren, je stärker die Religion einer Zeit und je fester der dogmatische Glaube war.“ (S. 177) – eine Aussage, die man leider nicht nur aus historischer Sicht treffen muss – und legt dar, dass die fundamentalen Menschenrechte sowie eine humanistische Ethik keineswegs aus der Religion hervorgingen, sondern erbittert gegen deren Machtanspruch erkämpft wurden und weiterhin konsequent durchgesetzt werden müssen.
Doch Lehnert lässt es nicht bei der Kritik bewenden. In den beiden letzten Kapiteln entwirft er ein zum religiösen alternatives Welt- und Menschenbild und skizziert ein evolutionär-humanistisches Herangehen an den Sinn des Lebens.
Folgerichtig für seine ganz individuelle Sicht auf die Problematik trägt das letzte Kapitel die Überschrift Mein „Credo“: „…so glaube…ich und bin fest überzeugt davon, dass der Mensch dereinst…das erreicht haben wird, was er einst als Projektion Gott zuschrieb: umfassend wissend, umfassend mächtig und umfassend gütig. … Ist eine solche Vision wirklich nur Selbstüberschätzung, Vermessenheit, frevelhafter Übermut…? … Wären wir überhaupt in der Lage, ein solches Glück zu ertragen? Wenn auch der Weg das Ziel sein kann, dann könnten wir ein solches Glück ertragen lernen, denn unsere Gedanken und Gefühle und unsere Erwartungen und Maßstäbe würden mit dieser beispiellosen Veränderung mitwachsen.“ (S. 348) „Ich denke, dass die Vorstellungen des neuen Humanismus am ehesten in der Lage sind, eine friedliche und glückliche, eine allen Menschen gerecht werdende Zeit anbrechen zu lassen.“ (S. 353)
Warum ich kein Christ sein will ist ein sehr persönliches Buch, fern von jeglichem missionarischen Eifer, der humanistischen Aufklärungsbüchern gern unterstellt wird. Indem er seinen ganz eigenen Erkenntnisweg und seine ganz eigenen Schlussfolgerungen darlegt, lädt Lehnert den aufgeschlossenen Leser zum Gebrauch seines eigenen Verstandes ein – und schafft damit bei aller Ich-Bezogenheit ein Werk von allgemeiner Gültigkeit.
Der Leser ahnt im Verlauf der Lektüre, welch gewaltiger Schatz an Wissen, Lebenserfahrung und -weisheit des Autors dem Buch zugrundeliegt. Es sei dem Suchenden oder dem zweifelnd Gläubigen ebenso empfohlen wie dem überzeugten Atheisten, der nach Argumenten für die geistige Auseinandersetzung fahndet. Es sei Pflichtlektüre für Lebenskundelehrer ebenso wie für Katecheten!
(Erstveröffentlichung: MIZ 1/11)
Einsortiert unter:Literatur Tagged: Bücher, Religionskritik