Warum ich Briefe so schätze!


Warum ich Briefe so schätze!

Quelle: Helmut Mühlbacher


Ihr Lieben,
heute möchte ich Euch eine Geschichte von Bettie B. Youngserzählen:

„Briefkästen“

„Der Familienbriefkasten stand am Ende des achthundert Meter langen Feldwegs.
In dicken, stolzen weißen Großbuchstaben verkündete er allen, die vorübergingen, den Namen der Familie, die hier Post erwartete: BURRES.

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Für uns Kinder war dieser Metallbehälter auf einem Pfosten eine unerschöpfliche Quelle der Erwartung und eine Zusicherung bedingungsloser Liebe.Meine Mutter rief bei uns dieses Gefühl, etwas Aufregendes zu erleben, wohl mit Absicht hervor.
Sie war überzeugt, Kinder müssen durch ihre Erfahrungen lernen. Für Mama hatte alles einen lehrreichen Aspekt und sie war eine meisterhafte Lehrerin.

Jeden Tag um die Mittagszeit ging sie den Feldweg entlang, um die Post zu holen.
Wenn wir Kinder sie an den schulfreien Samstagen auf den Feldweg zusteuern sahen, unterbrachen wir unsere jeweilige Beschäftigung und schlossen uns ihr an, sogar der Hund.

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Unserer Mama bereitete es ein großes Vergnügen, mit uns Kindern zusammen zu sein, und daher begrüßte sie uns dann immer glücklich und neckte uns. Die achthundert Meter weite Reise zum Briefkasten und wieder zurück war für kurze Beine eine lange Strecke, aber sie lohnte sich durchaus.  Während dieser „Ausflüge“ war unsere Mama immer sehr gut gelaunt. Für uns war es eine Gelegenheit, uns in der Liebe unserer Mutter zu sonnen.

Sobald wir am Briefkasten ankamen, nahm meine Mutter die Post heraus und gab, während sie sie flüchtig durchsah, bekannt, ob Post für irgendeines ihrer Kinder dabei war – allerdings verriet sie dann nicht namentlich, wer von uns Post bekommen hatte.
Indem sie so verfuhr, hielt sie uns Kinder allesamt in Spannung, bis wir das Haus erreichten.
 
Erst dann bekamen wir unsere jeweilige persönliche Post. Sie brachte uns bei, die Privatsphäre des anderen zu respektieren und in Bezug darauf, wer von uns an irgendeinem bestimmten Tag Post bekam und wer nicht, gute Verlierer zu sein. „Hier“, sagte sie dann, „das gehört Dir.“
Wir durften alle die an uns adressierte Post aufmachen, ohne dass Mama uns dabei über die Schulter schaute.

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Erstaunlicherweise bekam jedes Kind von Zeit zu Zeit Post.
Und noch erstaunlicher war es, dass jedes Kind etwa gleich viel Post erhielt.
Manchmal traf eine an ein Kind adressierte Zeitschrift ein, manchmal ein Briefchen von einer Tante, einem Onkel, einer Oma, einem Opa oder von der besten Freundin unserer Mama.
Kein Kind ging leer aus.

Selbst Postwurfsendungen trafen wie gerufen ein.
Ganz egal, ob der Name und die Anschrift nun von einem Menschen oder einer Maschine geschrieben worden waren – Post mit dem eigenen Namen darauf zu bekommen, war aufregend und gut fürs Ego.

Die Briefkastentour, bei der wir stets von der erregenden Erwartung durchdrungen waren, unsere eigene Post aufmachen zu können, bildete von dem tag an, wo ich alt genug war, um zu wissen, was Post war, bis zu dem Tag, an dem ich von zu Hause wegging, ein festes Ritual.

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Quelle: Astrid Müller

Erst als ich viel älter war, habe ich begriffen, dass unsere Mutter – während wir Kinder in das Vergnügen vertieft waren, eigene Post zu bekommen, einen eigenen Plan verfolgte.
Auf diesen kurzen Spaziergängen zum Briefkasten und wieder nach Hause erzählte uns unsere Mama manchmal eine Geschichte. Mama nutzte jede Gelegenheit, uns dabei zu helfen, die offenkundigen Wunder der Schöpfung wahrzunehmen und zu sehen. Es gab keinen Vogel, keine Biene, keine Pflanze oder sonst irgendein Phänomen in Fauna und Flora, das unbemerkt blieb.
Das faszinierende Verhalten der Tiere auf dem Boden und in der Luft, die Vielfalt und Schönheit der Farben und Formen und Düfte der Blumen, wie die Bienen zu diesen Blumen fliegen, um deren Pollen zu sammeln, die Sonne mit ihrer schier endlosen Kraft, zu wärmen und strahlendes Licht zu spenden – auf all dies wurden wir aufmerksam gemacht, damit wir es erfassen und würdigen konnten.

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Wir liebten unsere Mutter heiß und innig. Sie war eine optimistische Frau, immer lächelnd, immer quicklebendig, man hörte häufig ihr herzliches, ungezwungenes Lachen, bei dem sie unwillkürlich ihr langes, weiches braunes Haar über die Schultern nach hinten warf.
Der Anblick von Briefkästen, besonders von solchen am Ende langer Wege, hat für mich eine ganz spezielle Bedeutung. Sie erinnern mich an meine Mutter und an die Werte und Anschauungen, die sie so liebevoll vermittelte. Sie verkörperte Freude, Liebe und Achtung und unterwies andere tagtäglich darin.“

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Ihr Lieben,
Briefe waren in den vergangenen Jahrhunderten und Jahrtausenden etwas ganz Besonderes.
 
Der Inhalt der Briefe konnte aus wunderschönen Gedichten, aus Liebeserklärungen, aus Mitteilungen von Eltern an ihre Kinder oder von den Kindern an ihre Eltern oder z.B. einem Reisebericht bestehen.

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Liebesbrief von Rudolf Epp
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Die Briefe zeichneten sich aber nicht nur durch ihren Inhalt aus. Viele Briefe, die uns erhalten sind, wurden auf wertvollem Pergamentpapier verfasst und in wunderbarer Schönschrift geschrieben.
 
Dafür gab es extra den besonderen Beruf des Kalligrafen, des Schönschreibers. Oft wurden Briefe auch, wenn es sich um Liebesbriefe handelte, mit Parfüm getränkt und verströmten dann einen verführerischen Duft, wenn die oder der Empfängerin / Empfänger den Brief öffneten.
Auch in meiner Jugend haben Briefe eine wichtige Rolle gespielt.
Meine Oma und mein Opa, die leider weit von Bremen entfernt wohnten, schrieben mir regelmäßig Briefe, in denen sie mir Mut zusprachen, in denen sie auf meine Briefe eingingen, in denen sie mir ab und zu einen kleinen Schein beilegten, damit ich mir den einen oder anderen kleinen Wunsch erfüllen konnte.
So brachten sie Licht in das Dunkel meiner Kindheit und erhellten mit ihrer Liebe das Elend meiner Jugend.Warum ich Briefe so schätze!
Ich stellte damals etwas Faszinierendes, für mich völlig Unerklärliches fest:
Meine Mutter nahm in meiner Kindheit und Jugend keinerlei Rücksicht auf meine Wünsche und Bedürfnisse. So kam es ihr zum Beispiel eines Freitagsabends in den Sinn, sie müsse mich in der Badewanne gründlich waschen und schrubben (obwohl ich mich von samstags bis donnerstags selbst gewaschen hatte) und sie duldete keinen Widerspruch. Sie hat das später immer damit gerechtfertigt, dass ich immer etwa 3 Jahre jünger aussah, als ich tatsächlich war und dass sie sich deshalb für meine Sauberkeit verantwortlich fühlte.

Der Hinweis auf mein Alter (14) und meine Scham wurden einfach nicht zur Kenntnis genommen und als ich heftig Widerstand leistete – ich trat ihr dabei unbeabsichtigt gegen das eine Schienbein - riss sie mir die Kleider herunter und verprügelte mich derartig heftig mit einem Kleiderbügel, dass fast mein ganzer Körper hinterher krebsrot war und verfrachtete mich dann in die Badewanne, um mich dort ausgiebig und gründlich in schamverletzender Weise zu waschen.
Ich schildere das hier, weil ich nie begriffen habe, dass meine Mutter, die in dieser Beziehung keine Rücksicht kannte und meinen Widerstand brutal brach, es NIEMALS wagte, das Briefgeheimnis zu brechen. Aus irgendeinem Grund hat sie niemals einen Brief, den ich erhielt, aufgemacht.Warum ich Briefe so schätze!

So habe ich mich nach mancher Tracht Prügel, nach manchem entwürdigenden Baden weinend in mein Zimmer zurückgezogen, mich ins Bett gelegt und dort die Briefe, die ich an dem Tag bekommen hatte, gelesen.
In meinem Briefen konnte ich meiner Oma und meinem Opa ungeschminkt mitteilen, was mir geschah und ihre tröstenden Worte und ihre ermutigenden Zeilen in den Antwortbriefen halfen mir dabei, die schreckliche Zeit zu überstehen.
In der Zeit, als ich so zwischen 14 und 18 Jahre alt war, unterhielt ich auch etliche Brieffreundschaften mit jungen Menschen aus verschiedenen Teilen unsere Welt.
Diesen konnte ich zwar meine Sorgen nicht mitteilen, aber durch ihre Schilderungen und unseren Austausch lernte ich viel über fremde Kulturen und kam dadurch auch auf andere Gedanken.

Bis heute bin ich meiner Oma und meinem Opa für ihre wundervollen, liebevollen Briefe dankbar.
In ihrer Tradition schreibe ich auch heute noch gerne Briefe.
Vor etlichen Jahren geriet ich zunächst in die Versuchung, nur noch E-Mails zu schreiben, bis mich einmal mein älterer Sohn Christian darauf ansprach.
Er sagte zu mir: „Lieber Papa. Ich bitte Dich herzlich, schicke mir doch ab und zu wieder einen Brief. Einen Brief kann ich anders als eine E-Mail in die Hand nehmen, ich weiß dann, ich halte „ein Stück von Dir“ in Händen, ich kann den Brief immer wieder in die Hand nehmen, um Deine froh- und mutmachenden Zeilen erneut zu lesen.“

Warum ich Briefe so schätze!

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Wie viel Freude Briefe oder Postkarten auslösen können, sehe ich an meinen zahlreichen Patenkindern, die ich über die SOS-Kinderdörfer habe. Jedem meiner Patenkinder schicke ich regelmäßig alle Vierteljahr einen  Brief und monatlich eine bunte Postkarte aus Bremen.
Es ist so wenig, was wir tun müssen,
und es ist so viel, was wir damit erreichen können!

Mit einem Brief können wir große Freude auslösen:Ein Brief signalisiert: „Du bist mir viel wert!
Ein Brief sagt: „Ich denke an Dich!
Ein Brief kann trösten, wo Leid ist.
Ein Brief kann Mut machen, so Ängstlichkeit herrscht.
Ein Brief kann Hoffnung wecken, wo Verzagtheit zuhause ist.
Ein Brief kann Licht in das Dunkel eines Menschen bringen.
Ein Brief kann Liebe ausdrücken.
Ein Brief kann Versöhnung anbieten.
Ein Brief kann viel mehr als eine E-Mail.

Wir sollten wieder mehr Briefe schreiben,…
Unsere Partnerin, unsere Partner, unsere Kinder und Enkelkinder, unsere Freunde und Bekannten und manch einsamer Mensch, den wir kennen, freut sich riesig darüber…

Ich wünsche Euch nun einen fröhlichen Feierabend und eine gute neue Woche mit viel Freude und etlichen Glücksmomenten und seid herzlich aus Bremen gegrüßt
Euer fröhlicher Werner

Warum ich Briefe so schätze!

Quelle: Karin Heringshausen



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